Indifferentes Schildern von nackter Gewalt gilt seit Easton Ellis als hip. STEWART O’NAN will mit „Die Speed Queen“ oberhip sein

Wenn einem schließlich die Decke auf den Kopf fällt und die ganze stumpfsinnige Plackerei, die man Alltag nennt, ihm den Hals zuschnürt, dann rein ins Auto und ab. „Irgendwo unterwegs, das wußte ich, gab es Mädchen, Visionen, alles; irgendwo auf dem Weg würde mir die Perle überreicht werden.“ So formulierte Jack Kerouac die amerikanische Version der Suche nach der „blauen Blume“. Das Jahr war 1957, das Buch hieß „On the Road“. Gerade ist die alte, holperige Übersetzung des Beatnik-Klassikers durch eine elegantere ersetzt worden. Man kann diesen Road-Roman heute nur noch historisch lesen, als einen Urtext der Popkultut Irgendein fahrbarer Untersatz, ein Drogendepot in der Hosentasche und ein paar Leute, die nichts oder nicht viel zu verlieren haben – diese Konstellation gehört zur modernen amerikanischen Mythologie.

Vielleicht war der in Boston geborene Schriftsteller Stewart O’Nan selbst gern so unbefangen, so cool und frei wie damals Kerouac. Aber seit „On the Road“ ist so einiges passiert: Vietnam und Altamont, Yuppie-Rausch und Börsencrash, Reagan und Waco. Bret Easton Ellis schrieb „Unter Null“ und „American Psycho“. Und das Road Movie geriet zum Schlachtfest: In Filmen wie „Thelma und Louise“ und „Natural Born Killers“, in „Kalifornia“ und zuletzt „Kiss or Kill“ mündete die Suche nach den Kicks unweigerlich in Mord, Totschlag und Selbstzerstörung.

Das Genre hat die Unschuld längst verloren und ist zum Schauplatz meist nervtötender Gewaltorgien geworden. Ohne diese Entwicklungen wäre ein Roman wie „Die Speed Queen“ nicht denkbar. O’Nan, dessen Debüt „Engel im Schnee“ die verdeckte Gewalt einer Kleinstadt zum Thema hatte, erzählt diesmal die Story dreier drogenabhängiger Endzwanziger, die wie Zerrbilder der erlebnishungrigen Kerouac-Helden anmuten.

Margie ist mit Lamont verheiratet, beginnt aber irgendwann eine Affare mit Natalie. Eine Zeit lang leben die drei zwischen Fernsehen, Pillen und Pepsi Cola irgendwie zusammen. Als ihnen mehrere lausend Dollar die sie sich zuvor geliehen haben, geklaut werden, stehen sie vor einer ausweglosen Situation: Sie können dieses Geld nicht zurückzahlen, fliehen im Auto und haben bald die Polizei im Nacken. Sie fuhren das Road-Movie als Farce auf, ermorden ein Ehepaar und richten in einem Schnellrestaurant ein entsetzliches Blutbad an.

Das Besondere an „Speed Queen“ ist die Erzählerperspektive: Die nicht gerade mit schillernder Intelligenz ausgestattete Margie sitzt in der Todeszelle und wartet auf ihre Hinrichtung. Rückblickend berichtet sie über die fetalen Ereignisse, indem sie auf Tonband 114 Fragen von Stephen King beantwortet, der aus ihrer Geschichte einen Reißer machen will. Abgesehen davon, daß die Mordgeschichte wegen des fehlenden übersinnlichen Elements keinen typischen Stephen-King-Stoff darstellt, ist das eine geschickte Konstruktion. Der Leser bekommt sozusagen eine Rohfassung vorgesetzt, das mündliche Protokoll. Die grellen Effekte, an die er im Kino und in der Trivialliteratur gewöhnt ist, werden ihm hier vorenthalten. So muß er sich mit der Lebensgeschichte der Figuren auseinandersetzen – und hat die Chance, diese Verbrechen aus dem Kontext heraus fast analytisch zu begreifen.

Allerdings hat O’Nan zur Aufhellung der jähen Gewaltausbrüche wenig beizutragen und erteilt keine sozialpädagogischen Blanko-Absolutionen: Denn immer wieder betont die zum Tode Verurteilte, ihre Eltern treffe keine Schuld. Die Kindheiten von Margie, Natalie und Lamont waren nicht schlechter als die anderer. Ihr Leben bewegt sich im Durchschnitt des white tmsh. Dazu gehört auch, daß Margie sich zu vielem Gedanken macht, so etwa zum Thema Fast Food. Und das liest sich dann so: „Bei Leo’s gibt es Pepsi. Sie würden sich wundern, wie wenig Restaurants Pepsi haben. McDonald’s, Burger King, Wendy’s – alles Coke, Burger King hatte früher immer Pepsi, aber neuerdings nicht mehr. Sie müssen wohl was Besseres ausgehandelt haben.“ Und so weiter. Witz à la Tarantino versagt sich der Autor.

Überhaupt muß man Stewart O’Nans Mut zur Banalität bewundern: Er schreibt bewußt unliterarisch, begibt sich ganz und gar auf die Ebene seiner Hauptfiguren – und steht den Geschehnissen letzten Endes genauso hilfslos gegenüber wie diese. Wie einst Bret Easton Ellis bleibt O’Nan ganz an der Oberfläche; und wie beim „American Psycho“ erschreckt auch hier die Indifferenz, die einer Tüte Pommes frites dieselbe seelenlose Aufmerksamkeit wie den grausamen Morden zukommen läßt.

Von Kerouacs Erlebnishunger bleiben heute nur noch Betäubung und Konsum übrig. Kein Wunder, daß „On die Road“ demnächst von einem traditionellen Epiker wie Coppola verfilmt werden solL Die Rechte an der „Speed Queen“ hat sich übrigens Tarantino gesichert Eventuell, und das wäre wirklich eine gute Pointe, wird er Stephen Kings Job übernehmen und den Stoff ein wenig aufpeppen.

Jack Kerouac: „Unterwegs“. Neu übersetzt von Thomas Lindquist. Rowohlt Verlag 1998. 380 Seiten. 14,90Mark

Stewart O’Nan: JXe Speed Queen“. Übersetzt von Thomas Gunkel. Rowohlt Verlag 1998. 254 Seiten. 39,90Mark.

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