Insekten im Sturm

Die notorisch zarten Isländer Sigur Ros spielen jetzt auch fröhlich in Stadien

Bei der letzten Platte hatten ‚wir viele Songs bei den Soundchecks auf Tour geschrieben. Sie dann erst zwei, drei Jahre später im Studio aufzunehmen, war manchmal geradezu schmerzhaft, obwohl letzten Endes auch ein guter Lernprozeß für uns“, erinnert sich Bassist Georg „Goggi“ Holm vor dem Sigur-Ros-Konzert im Münchner Circus Krone an die Arbeiten zum kryptischen letzten Album „()“, von der Band selbst gerne als „leere Leinwand“ beschrieben.

Anstatt mit der neuen Platte an die Tristesse des Vorgängers anzuknüpfen, besann sich das isländische Quartett auf die Qualitäten seines internationalen Debüts. Vor allem die Streicher-Arrangements auf „Takk…“ erinnern bewußt an „Agetis Byrjun“, sollen laut Holm „lebendiger, fast schon Disney-esk“ sein. Entstanden ist dabei ein für Sigur Ros-Verhältnisse kurzes, jedoch verspieltes Album, energiegeladen, farbenfroh, bisweilen geradezu fröhlich – und ungeplant. „Oft genug entsteht unsere Musik aus einer Abfolge von Unfällen“, sagt Holm. „Man tritt aus Versehen gegen die Bassdrum, und das klingt so seltsam, daß man sich entschließt, etwas daraus zu machen.“

Auch ein auf einem New Yorker Flohmarkt erstandenes Vibraphon und eine von Björk ausgeliehene Celesta sorgten für unerwartet kreative Momente – ganz abgesehen davon, daß die die Band auch das traditionelle Instrumentarium nur selten im eigentlichen Sinne des Erfinders einsetzt. Nie wird das deutlicher als auf der Konzertbühne. Dort sehen die vier bisweilen aus wie eine richtige Rockband klingen aber nur sehr selten so.

Unkonventionell ist des öfteren auch die Wahl der Säle, in denen Sigur Ros auftreten. Für die USA-Herbsttournee zum Beispiel plant die Band ein Konzert in der alterwürdigen Hollywood Bowl. „Das war einfach eine Idee, die an uns herangetragen wurde – und wir waren natürlich begeistert“, erklärt Holm. „Natürlich werden ¿wir nie und nimmer alle 18000 Karten verkaufen können, aber wenn 10000 kommen, wäre das schon eine tolle Sache, ähnlich wie unser Konzert in der Radio City Music Hall in New York vor einigen Jahren. Es macht Spaß, an den berühmten Orten der Musikgeschichte zu spielen. Als wir heute hier im Circus Krone ankamen, sahen wir die Fotos der Beatles an der Wand. Auf der gleichen Bühne zu stehen wie sie, ist für einen Mann in meinem fortgeschrittenen Alter schon etwas ganz Besonderes!“

Überraschend dagegen, daß die Texte nach dem lautmalerischen Gesang auf „()“ nun wieder auf Isländisch verfaßt sind. „Wir haben uns mit Stift und Papier bewaffnet die Rough-Mixe angehört und alles notiert, was uns durch den Kopf ging. Als wir unsere Notizen verglichen, hatten wir fast immer dieselben Begriffe aufgeschrieben. Aus diesen Stichworten machten wir kleine Geschichten, die oft nur eine Empfindung oder eine Atmosphäre widerspiegeln.“

„Hoppipolla“ zum Beispiel beschreibt das Gefühl, als Kind im Regen durch die Pfützen zu springen. „Ich bin mit der Musik Leonard Cohens aufgewachsen, dabei habe ich gelernt: Man kann über alles singen, aber man muß die richtigen Worte dafür finden“, sagt Holm.

Doch nicht nur als Textautoren sehen sich die Isländer – die früher die Phantasiesprache in ihren Songs als „Hopelandish“ bezeichneten – in die Pflicht genommen, auch als Botschafter ihres Landes tragen sie inzwischen Verantwortung – wenn auch eher unfreiwillig. „Die Universitäten in Island verzeichnen einen Boom ausländischer Studenten. 98 Prozent dieser Menschen gaben als Grund, warum sie Isländisch lernen wollen, Björk und Sigur Ros an!“

Die isländische Tourismus-Industrie sagt – „Takk…“.

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