Introspektiv aus Prinzip: Die TripHop-Pioniere PORTISHEAD legen ihr zweites Album vor

Alles, so heißt es, dürfe Kunst sein, aber bloß kein Selbstzweck. Warum eigentlich nicht? Die schönsten Filme erzählen oft nur von ihrer Entstehung, die größten Romane beschränken sich darauf, den Ablauf des Denkens zu dokumentieren. Der Prozeß des Schaffens erweist sich so als zweigleisige Analogie: Liebe, Verzweiflung oder Wahnsinn manifestieren sich im Kunstwerk, ohne daß die Sujets explizit bebildert bzw. beschrieben werden müssen. Keine Ahnung, ob Geoff Barrow – sagen wir: Coppolas „Apocalypse Now“ gesehen oder „Ulysses“ gelesen hat Fest steht, daß dem musikalischen Leiter von Portishead das zweite Album unglaubliche Kraft gekostet hat.

„Nach der Veröffentlichung unseres ersten war ich eine Zeitlang wie gelähmt. Ein ganzes Jahr verwarf ich alles wieder, kurz nachdem ich es angefaßt hatte“, berichtet Barrow. Verständlich, wenn man bedenkt, welche Zäsur das Debüt „Dummy“ 1994 für die moderne Popmusik bedeutete. Der verschleppte HipHop-Beat und die unheimlich hallenden Dub-Schlaufen öffnete die Schleusen für einen Sound, für den sich später alle auf den Namen TripHop einigten. Der schüchterne Barrow sowie die noch schüchternere Beth Gibbons, die für Gesang und Lyrics verantwortlich zeichnet, waren auf einmal die Stars eines Genres. Und das heimatliche Kaff Portishead im Süden Englands, nach dem sich die Band benannt hatte, erschien plötzlich als der Nabel der Pop-Welt.

„Der Druck von außen belastete uns eigentlich nicht mal so sehr; uns machte der eigene Anspruch zu schaffen: Wir mochten uns nicht wiederholen“, so Barrow. „Ich wollte schon aufhören, aber dann gaben mir meine Kollegen neue Kraft, deshalb ist Portishead jetzt mehr denn je eine wirkliche Band.“ Ein wirkliche vielleicht, eine klassische auf keinen Fall. Die Arbeitsweise ist einmalig. „Wir haben ein paar Monate lang basic tracks aufgenommen und auf Vinyl pressen lassen, um daraus dann die Grundelemente der Songs zu sampeln. Es ging uns darum, den fast perfekten Sound zu finden – einen, der frei ist von Reminiszenzen. Deshalb haben wir auch im Gegensatz zu früher keine bekannten Soundtrack-Samples verwendet.“

Das Album, sachlich und trefflich „Portishead“ betitelt, ist eine perfekte Kunstwelt. Ein Kosmos aus Klang. Die Liebe, der Wahnsinn und die Verzweiflung, von Beth Gibbons mit einer Stimme besungen, die du vorher noch nie gehört hast, hallen in jedem Detail dieser klaustrophobisch verwinkelten Sample-Architektur nach. Schon allein deshalb, weil nichts so simpel ist, wie es zunächst klingt: Glaubt man einen Theremin heulen zu hören, ist es ein manipulierter Moog. Und ein Gitarrenriff kann, in den richtigen Hall gekleidet, üppig wie ein Streichersatz tremolieren.

Natürlich liegt auch „Portishead“ inhaltlich ein Drama zugrunde – das Drama des Künstlers, der zwar eine Welt schafft, die die Welt da draußen abbildet, indem er ihr gesamtes Repertoire an Stofflichkeit repräsentiert – die in ihrer Reproduktion aber sogar schöner strahlt, auch wenn die ganze Zeit das Licht ausgeknipst ist.

Authentizität liegt Portishead so fern wie Theatralik. Da sollte man sich nicht von Beth Gibbons täuschen lassen, die singt als wäre das Ende der Welt beschlossene Sache. Am Ende ist meist die Liebe, und so sehr man sich an Gibbons‘ Schrecken gewöhnt hat: Portishead bewegen dich doch.

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