Jacco Gardner: Gefangen im Paralleluniversum

Der Niederländer Jacco Gardner feiert den Rock der 60er-Jahre – ohne Retro-Rezeptur.

Jacco Gardner ist ein Nerd und weiß das gut zu verbergen. Der Niederländer spielt ein Dutzend Instrumente, sammelt altes Equipment und bildet die psychedelische Rock- und Popmusik der späten 60er-Jahre so liebevoll nach, als hätte er sie gerade erst erfunden. Sein zweites Album heißt „Hypnophobia“ und enthält, was der Titel verspricht: somnambule, traumverhangene, mitunter bedrohlich wabernde Drones, größtenteils jedoch herrlich versponnene Songs und Soundscapes, die neben den vordergründigen Psychedelic-Melodien eine breite Palette von Krautrock über Art Rock bis hin zu Folk bieten.

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„Ich lag in der Dunkelheit, doch mein Gehirn wollte nicht abschalten“, sagt Gardner über seine Erfahrung mit Schlafangst. Einige der besten Ideen seien ihm in jener Übergangsphase zwischen Wachsein und Wegnicken gekommen. Dagegen schaudert es ihn bei der Vorstellung, was sein Gehirn nicht speichert, wenn ihn die Müdigkeit übermannt.

Einfach wegdriften

„Es ist das Grausamste in der Welt, dass das meiste von dem, was Menschen nachts träumen, am nächsten Morgen schon wieder vergessen ist.“ So gesehen verwundert es nicht, dass seine Musik oft wie ein Versuch klingt, etwas Unbewusstem nachzuspüren, das nicht Greifbare zu vertonen, sich selbst die Möglichkeit zu schaffen, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen, einfach wegzudriften. Das sei für ihn ein ganz normaler Zustand, der jedoch in krassem Widerspruch zur gesellschaftlichen Norm stehe. „Schon in der Schule heißt es ständig: ‚Träum nicht!‘ oder ‚Aufgewacht!‘“

Gardner hat sich diesen Zustand als kreative Quelle bewahrt. Als Künstler wird man eben nicht so schnell unter Esoterik-Verdacht gestellt oder schlicht als Spinner abgetan, wenn man das Lavieren und Schweben verteidigt oder es gar kultiviert. Geholfen haben ihm dabei vor allem seine beiden älteren Brüder und seine Schwester, die alle drei bereits Musiker waren, als er die Blockflöte gegen Synthesizer und Gitarren tauschte.

(Photo by Paul Bergen/Redferns)
(Photo by Paul Bergen/Redferns)

Dagegen musste er zu seiner Überraschung feststellen, dass seine Klassenkameraden herzlich wenig mit seiner Leidenschaft anfangen konnten. Schließlich fand er in seiner Geburtsstadt, Hoorn, aber doch noch einen Freund, mit dem er seine erste Band gründete. Dessen Vater gewährte ihm außerdem Zugang zu seiner umfangreichen Plattensammlung. „Das war eine Offenbarung für mich“, erinnert sich Gardner. „Im Radio und Fernsehen lief nun mal nicht die Musik, die mich interessierte.“

Studienfach: Brian Wilson und Phil Spector

Als irgendwann auch das Internet seinen Wissensdurst nicht mehr stillen konnte, ging er an eine Kunsthochschule in der Gemeinde Hilversum, wo er Komposition und Produktion studierte. Dort machte man ihn auch mit dem Werk von Brian Wilson und Phil Spector vertraut und ermutigte ihn, sein Songwriting progressiver zu gestalten.

Viel Aufhebens mag er von dieser Phase seines Lebens nicht machen. Nur so viel: „Es half mir, mit Akkorden zu experimentieren. Andere Musiker arbeiten sicher intuitiver als ich. Einen Song zu schreiben ist für mich wie eine Maschine zu bauen, bei der man nicht weiß, wie sie nach der Fertigstellung funktionieren wird.“

(Photo by Paul Bergen/Redferns)
(Photo by Paul Bergen/Redferns)

Ohne faden Retro-Beigeschmack

Intuition, handwerkliches Können, Mut zum Experiment: Nicht die schlechtesten Voraussetzungen für einen Mittzwanziger. Verschmerzbares Manko: Gardners fehlender Drang zur Selbstdarstellung. Bescheiden stellte er seine Talente in den Dienst der kalifornischen Allah-Las, für die er bei Konzerten Keyboard spielte. Die zweite Reihe scheint ihm völlig zu genügen.

Bleibt zu hoffen, dass „Hypnophobia“ die ihm gebührende Aufmerksamkeit bekommt. Dass das Album keinen faden Retro-Beigeschmack hat, dürfte ebenjenem Umstand geschuldet sein, dass sich Gardner nicht als Adept der Äußerlichkeiten versteht, sondern als Forscher, der das Neue im Alten sucht. „Manchmal ist es mir schon ein bisschen peinlich, dass ich die gleichen Phasen durchlaufe, die Leute vor Jahrzehnten erlebt haben“, gesteht er. „Es ist wie ein Paralleluniversum.“

Paul Bergen Redferns
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