Jan Fuhrhop über seine erste Bekanntschaft mit VIVA PLUS, falsche Erwartungen und den finalen Sieg der knallbunten Mehrheitstauglichkeit

Eine 16er Mutter kann man nicht mit einem 22er Schlüssel anziehen. Passt nicht, geht nicht. Man braucht das passende Werkzeug. Dass diese Binsenweisheit nicht nur für den Heimwerker gilt, sondern auch für die deutsche Fernsehlandschaft, hatte VIVA-Chef Gorny schon erkannt, als er vor einem Jahr erklärte, „“Viva Zwei“ sei von Anfang an nur „ein „Tool“ gewesen, um MTV in Schach zu halten. Doch leider waren es die falschen Menschen, die das alternative VIVA-Aschenputtel angezogen hatte: Gorny hatte die Herren mit den Geldsäcken gerufen, doch die rückten die erhofften Werbespots nicht raus. Gekommen waren die Geister, die nachmittags lieber Apokalyptika als ‚N Sync sehen und sich in Nischen wohl fühlten, in denen Nils Ruf sein Kamikäzchen füttern durfte. Da die Werbegelder ausblieben und „“Viva Zwei“ defizitär arbeitete, war die Einstellung des Formats nur eine Frage der Zeit. Ein neues „Tool“ musste her – eines, das passt. Als Partner wurde der Medienriese AOL Time Warner gewonnen und heraus kam das „CNN des Musikfernsehens“, obwohl der Name eher wie ein Waschmittel klingt.

Am Montag, dem 7. Januar, war es soweit – „“Viva Plus“ ging auf Sendung. Zuvor war kreuz und quer durch Deutschland gecastet worden: Daunenbejackte Jungs und bauchnabelgepiercte Mädels wollten auf jeden Fall Teil des „“großen, glitzernden Dings“ sein, das „“funky, stylish, kreativ“ werden sollte (Eigenwerbung). Fehlt nur noch der schlimmste Satz von allen: „“Viva Plus“ ist kein Sender – es ist ein Lebensgefühl.

„“Viva Zwei“-Anhänger befürchteten seit Gornys Ankündigung, den Sender und mit ihm einzigartige Programme wie „“Zwobot“, „“Supreme“ und „“Wah“ zu beseitigen, den Ausverkauf einer Institution, die ihnen etwas bedeutete – und die doch nur ein „“Tool“ war. Die Wütendsten unter ihnen schickten Mails an Gorny und starteten eine Widerstands-Website: „“Viva Zwei Resistance“. Im Gästebuch der Charlotte-Roche-Fanseite (slow-backward.de) fordert jemand: „Viva Plus muss zerstört werden.“ Aber vielleicht ist das Neue ja gar nicht so schlecht? Vielleicht etwas poppiger – muss ja nicht unbedingt schlimm sein.

Also reingeschaltet. Und: Es ist schlimmer. Das CNN-Prinzip funktioniert so: Hibbelige Teenies berichten als „Korrespondenten“ per wackliger Digi-Kamera und senden authentische Bilder aus den „angesagtesten Metropolen“ der Welt – Los Angeles, London, Berlin, Hamburg und Köln®. Köln heißt aber Cologne – weil cooler und stylish.

Der erste Tag ist Cologne-Day. Das merkt man daran, dass zwischen Nu Metal- und Kylie-Clip ein aufgedrehtes Mädchen durch die Stadt rennt und berichtet, dass sie gerade durch die Stadt rennt. Die Stadt heißt Cologne, denn heute ist ja Cologne Day.

Und noch etwas soll an den großen Nachrichtenbruder aus den USA erinnern: Am unteren Bildrand laufen ständig Schriftbänder mit „“Topnews“ aus der Popwelt sowie Telefonnummern, unter denen man sich Videoclips wünschen kann. „“Viva Plus“ ist selbstredend interaktiv, ein Mitmachsender – der allerdings eher an „9 Live“ erinnert als an CNN. Die Clips, die man sich wünschen kann, laufen ohnehin den ganzen Tag.

Dafür, dass man mit den Topnews versorgt wird, sorgen natürlich auch die VJs. Die Moderatorin, deren Namen mir schon wieder entfallen ist, (aber keine Frage, er war stylish oder kreativ oder beides) starrt mit aufgerissenen Augen in die Kamera: „“Wenn Britney Spears mit Justin Schluss macht, erfahrt ihr das bei ‚Viva Plus‘ zuerst!“ Wahrscheinlich wird dann live zur LA-Korrespondentin geschaltet, und die sagt dann betroffen: „“Britney hat mit Justin Schluss gemacht! Back to Cologne.“ Verknallte Teenies können sich ein Loch in den Schmetterlingsbauch freuen: Sie dürfen per SMS Botschaften an die Community richten! In den Schriftbändern tauchen dann Bekenntnisse auf, die eigentlich in lokalen Anzeigenblättern unter „“Sonstiges“ laufen:

Hallo, Bär. Ich hab Dich gaaanz doll lieb. Dein Hase.“ Wenn man nicht der Bär ist und auch nicht in den Hasen verliebt, ist man in erster Linie genervt. Doch der Gorny Dieter versucht zu beruhigen: Vielleicht würden ja auch Sendungen wie „“Wah“ irgendwann eventuell irgendwo noch ihren Platz finden, wenn sich der Sender erst einmal etabliert habe. Soll ich mir dann etwa den Wecker stellen, damit ich mir wie ein Aussätziger nachts um drei eine verschämte Stunde lang Clips ansehen darf, die nicht in der Dauer-Rotation laufen?

Was mit „“Viva Zwei“ als Experiment begonnen hatte, fügt sich jetzt als „“Viva Plus“ ein in die glatte Mainstreamwelt des Musikfernsehens. Inzwischen gibt es allenfalls noch kleine Inseln auf anderen Sendern, die man nur findet, wenn man die Fahrt durch die schwere See der knallbunten Mehrheitstauglichkeit überstanden hat.

Mit „“Viva Zwei“ ging ein Projekt zu Ende, das offensichtlich nie als das geplant war, als was es von den Zuschauern verstanden und angenommen wurde. Vermutlich war es ja auch naiv zu glauben, es würde ein Fernsehsender einfach nur deshalb existieren, weil er gut ist.

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