Exklusiv: Jane’s Addiction verklagen Perry Farrell wegen Körperverletzung

Die Klage wirft Perry Farrell außerdem vorsätzliche Zufügung seelischen Leids, Fahrlässigkeit, Pflichtverletzung und Vertragsbruch vor

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Die Jane’s-Addiction-Mitglieder Dave Navarro, Eric Avery und Stephen Perkins haben Klage gegen Frontmann Perry Farrell eingereicht, nachdem es im September 2024 zu einer Auseinandersetzung auf der Bühne zwischen Navarro und Farrell gekommen war, die zur Absage der Reunion-Tour und zur Auflösung der Alternative-Rock-Band führte.

Die Klage, die beim Superior Court im Los Angeles County eingereicht und von ROLLING STONE eingesehen wurde, wirft Farrell Körperverletzung, vorsätzliche Zufügung seelischen Leids, Fahrlässigkeit, Verletzung der Treuepflicht und Vertragsbruch vor. Zudem wird behauptet, dass der Gruppe durch die Tourabsage und die Einstellung aller Bandaktivitäten, einschließlich der Pläne für das erste Album der klassischen Besetzung seit „Ritual de lo Habitual“ von 1990, über 10 Millionen Dollar Verlust entstanden seien. Farrell soll außerdem alle ausstehenden Rechnungen der Gruppe im Zusammenhang mit der abgesagten Tour begleichen.

„Die Band kann infolge des Verhaltens des Beklagten, einschließlich seiner plötzlichen, gewalttätigen Ausbrüche und seiner erwiesenen Unfähigkeit, als Frontmann und Sänger der Band zu agieren, nicht mehr funktionieren“, heißt es in der 36-seitigen Klageschrift. „Die physischen, emotionalen und finanziellen Schäden, die der Beklagte angerichtet hat, haben die Kläger, ihre Familien und Angehörigen tief getroffen, und es ist an der Zeit, dass der Beklagte die Konsequenzen für sein Handeln trägt.“ (Vertreter von Farrell reagierten nicht sofort auf eine Anfrage zur Stellungnahme.)

Hinter den Kulissen der Band

Die Klage gewährt Einblick in die internen Abläufe von Jane’s Addiction und offenbart, dass Navarro ab 2022 monatlich 25.000 Dollar aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung bezog, nachdem ihn Long Covid zur Tourpause gezwungen hatte. 2024 erklärte sich Navarro bereit, für eine Europa- und Nordamerika-Tour zur Band zurückzukehren.

„Navarro beendete seine monatlichen Berufsunfähigkeitszahlungen in Höhe von 25.000 Dollar, um mit der Band wieder zu arbeiten“, heißt es in der Klage. „Hätte Navarro die Zahlungen nicht eingestellt, hätte er angesichts seines Zustands diese wohl noch über Jahre erhalten. Über Monate hinweg bereitete sich Navarro körperlich und mental intensiv auf die Tour vor, unter anderem mit Hilfe von Ärzten, Ernährungsberatern und Therapeuten.“ (Die Klage enthüllt auch, dass er seine Hochzeit in Schottland verschob, um die Tour zu ermöglichen, was ihm 50.000 Dollar an Anzahlungen bei verschiedenen Dienstleistern kostete.)

Demokratische Bandführung gefordert

Eine Bedingung der Tour sei laut Klage gewesen, dass die Band demokratisch agiere. Im Streitfall sollte eine einfache Mehrheit über das weitere Vorgehen entscheiden. „Das Mehrheitsprinzip hatte gute Gründe“, heißt es in der Klage. „Perry hatte die ungeheuerliche Angewohnheit, Entscheidungen der Band zu übergehen und alles auf sich und [seine Ehefrau] Etty zu beziehen.“

Etty Lau Farrell tanzte über Jahre hinweg bei zahlreichen Shows von Jane’s Addiction auf der Bühne, was immer wieder Spannungen in der Band hervorrief. Laut Klage wäre der Tourauftakt 2024 in Las Vegas beinahe geplatzt, als Farrell darauf bestand, ein Video seiner Frau und anderer Tänzerinnen in der Wüste auf der Bühne zu zeigen. Die anderen Bandmitglieder widersprachen.

„Während Fans bereits in das Theater strömten, befanden sich die Kläger in ihren Garderoben und versuchten, einen Weg zu finden, wie die Show dennoch stattfinden konnte“, heißt es in der Klage. „Etty schrie die Kläger an, dass die Band ‘keine Demokratie’ sei, wenn es um Tänzerinnen gehe. Sie wiederholte, dass Perry nach Hause gehe und die Tour vorbei sei. Glücklicherweise konnten das Bandmanagement und Live Nation Perry überreden, die Tour fortzusetzen, und er kehrte kurz vor Beginn der Show zurück.“

Alkohol, Aussetzer und Bühnenchaos

Mit fortschreitender Tour habe Farrell zunehmend erratisch agiert, zwischen den Songs unzusammenhängend ins Mikrofon gesprochen und Probleme gehabt, die Töne zu treffen. „Kläger (und andere Anwesende) beobachteten während der Tour regelmäßig, dass Perry in stark alkoholisiertem Zustand auf der Bühne erschien“, heißt es. „Er trank häufig Wein auf der Bühne und lallte. Perry verfiel oft in lange, wirre Abschweifungen zwischen Songs – ohne erkennbaren Grund, außer zu seiner eigenen Belustigung. Die Probleme mit Perrys Auftritt verschärften sich meist im Laufe des Abends, je betrunkener er wurde.“

Eskalation in Boston

Die lang schwelenden Spannungen eskalierten schließlich am 13. September 2024 beim Auftritt im Leader Bank Pavilion in Boston. Während einer chaotischen Version von „Ocean Size“ schubste Farrell Navarro gegen Ende seines Gitarrensolos, worauf Avery und Crewmitglieder sie trennen mussten. Die Band beendete das Konzert nicht, und Fanvideos verbreiteten sich binnen Minuten weltweit.

„Perrys wiederholter und unprovozierter Angriff auf Navarro war besonders schmerzhaft“, heißt es in der Klage, „da Perry wusste, dass Navarro weiterhin geschwächt war und unter den Folgen von Long Covid litt.“ Der Angriff habe zudem traumatische Erinnerungen an den Mord an Navarros Mutter 1983 ausgelöst.

Die Auseinandersetzung setzte sich offenbar hinter der Bühne fort. „Niemand konnte Perry hinter der Bühne beruhigen“, heißt es weiter. „Als Navarro ihn wegen seines gewalttätigen Ausbruchs zur Rede stellte, schlug Perry ihm erneut unerwartet ins Gesicht – auf die linke Seite. Navarro wurde verletzt.“

Tour-Aus, Band-Aus

Navarro sah sich laut Klage nicht mehr in der Lage, mit der Band weiterzumachen. Um die Tour zu retten, versuchte er, einen Ersatz für sich zu finden. Doch auch Avery und Perkins entschieden, dass sie nicht weitermachen wollten. „Die Kläger hatten berechtigterweise Angst und fühlten sich unwohl, erneut mit ihm aufzutreten“, heißt es. „Es war auch offensichtlich, dass Perry nicht in der Verfassung war, die Tour fortzusetzen, bei der er ohnehin kaum performen konnte.“

„Dave Navarro, Eric Avery und Stephen Perkins hatten große Hoffnungen, den ursprünglichen Geist der Band wiederzubeleben und darauf aufzubauen. Das gelang ihnen zunächst – im Studio und auf der Bühne“, erklärt Band-Anwalt Christopher Frost in einem Statement gegenüber Rolling Stone. „Aber … sie taten dies mit einem vierten Bandmitglied, das entweder nicht willens oder nicht in der Lage war, auf einem akzeptablen Niveau aufzutreten, und das die Tour immer wieder zu sabotieren drohte.“

Frost ergänzt, Farrell habe „alle Pläne für ein Revival von Jane’s Addiction abrupt und einseitig beendet“ und seine Bandkollegen mit einer nicht erfüllten Tour und einem Plattenvertrag im Regen stehen lassen. „Dave, Eric und Stephen wollten es nicht so weit kommen lassen. Aber ihnen wurde Unrecht getan, sie wollen, dass die Wahrheit ans Licht kommt, und sie verdienen eine Lösung.“

Auch finanziell war die Tour-Absage ein schwerer Schlag

Vor der Tour veröffentlichte die Gruppe die neuen Singles „Imminent Redemption“ und „True Love“. Laut Klage existierten außerdem acht instrumentale Tracks, die nach der Tour fertiggestellt werden sollten. Das ist nun unmöglich, obwohl ein Vertrag mit ADA, einer Tochtergesellschaft der Warner Music Group, mindestens zwölf Songs vorsah. „Kläger und Beklagter könnten persönlich haftbar gemacht werden, z. B. für die Rückzahlung des Vorschusses an ADA“, heißt es.

Auch finanziell war die Tour-Absage ein schwerer Schlag. Jedes Bandmitglied hätte laut Klage 210.000 Dollar für die Nordamerika-Tour erhalten sollen. Zudem schuldet die Band ihrem Management, Geschäftsmanagement und Anwaltsteam 240.000 Dollar an ausstehenden Provisionen.

„Eine erfolgreiche Tour hätte als starkes Marketinginstrument für das neue Album bei ADA gedient und die Plattenverkäufe aufgrund gestiegenen Interesses gesteigert“, so die Klage weiter. „Sie hätte zudem die Beziehung zu Live Nation gestärkt, das bereits über weitere Tourneen gesprochen hatte.“

Seit dem Zusammenbruch der Tour hält sich die Band bedeckt. Navarro sagte kürzlich dem „Guitar Player“, dass die Band am Ende sei. „[Die Auseinandersetzung auf der Bühne] hat das Leben der Band für immer zerstört“, sagte er. „Und es besteht keine Chance, dass die Band je wieder zusammen spielt.“

Andy Greene schreibt für den ROLLING STONE USA. Hier geht es zum US-Profil