Jetzt auch auf Deutsch: John Cheevers „Die Lichter von Bullet Park“

Der Kampf mit jedem einzelnen Tag im Vorort: Der Roman "Die Lichter von Bullet Park" von John Cheever erscheint fast 30 Jahre nach seinem Tod in deutscher Übersetzung.

In einem gottlosen und absurden Universum jeden Montagmorgen aufzustehen, zu duschen, sich zu rasieren, zu frühstücken und dann den Zug, das Auto zu nehmen und sich zur Arbeit zu begeben, ist auch für die ausgeglichensten Charaktere eine ernsthafte Prüfung, wird sie doch Woche für Woche abgenommen. Über das Leben mit der Routine, mit all der nach sich ziehenden Schwermut, den Ausbruchsversuchen und Desillusionierungen haben amerikanische Romanciers in der Nachkriegszeit so berichtet, dass es mit einigem Abstand wie ein gemeinsames Großkunstwerk wirkt, dessen einzelne Teile sich nur in Nuancen unterscheiden.

Richard Yates’ Figuren waren rasend in ihrer Verzweiflung und Spielball ihrer Süchte, Philip Dick (wenn er nicht Science Fiction schrieb) nahm stärker den apokalyptischen, zuweilen ins Jammerige gehenden Grundton der 50er- und 60er-Jahre auf, John Updike war am präzisesten, wenn es um die Schilderung der kleinen, alltäglichen Nackenschläge, das Erleben des eigenen Alterns und die beklemmende Grundstimmung, dass das doch nicht alles gewesen sein kann, geht. John Cheever nutzt alle genannten Zutaten – den exzessiven Suff, die schal gewordenen Träume, die verhassten Depressionen -, doch ist er unter den großen amerikanischen Romanciers wohl noch der Versöhnlichste; einer, der in die Abgründe hineinlugt, ohne in jeden einzelnen zu stürzen, einer, der dem Leben seine Herzenswärme belässt.

John Cheever, Jahrgang 1912, hat viele Jahre in der Vorstadt mit seiner Frau und seinen drei Kindern gelebt. Er hat die Mittelschicht verachtet und war doch ein Teil von ihr. Und er war ein Alkoholiker, der den Morgen mit Gin begann. Diese Bestandteile finden sich allesamt in „Die Lichter von Bullet Park“ (Dumont; 19,90 Euro) wieder. Der Roman aus dem Jahr 1969 gilt als Blaupause für die TV-Serie „Mad Men“, was vielleicht eine falsche Erwartungshaltung weckt. Es geht nicht um die Werbeindustrie, der Sexismus fehlt, nicht der Arbeitsplatz ist der zentrale Raum, sondern das eigene Heim in einem Vorort von New York, in der Siedlung Bullet Park (immerhin: Don Draper wohnt mitsamt seiner Familie bis zur Scheidung in der Bullet Park Road). Es scheint eine schöne Eigenheimsiedlung zu sein, mit Gärten und Swimmingpools und geräumigen Häusern, die einem Werbeprospekt für glückliche Immobilienbesitzer entstammen könnte. Nur der passende Mensch muss noch entwickelt werden. „Yale, eine mittelmäßige Ehe, drei Kinder und 23 Jahre bei der Universal Tuffa Corporation“, sagt einer der Bewohner von Bullet Park, „ach, warum bin ich so enttäuscht, warum ist das ganze Leben an mir vorbeigegangen?“ Und eine alte Frau, die ihr Haus verkaufen will, erzählt vom letzten Tag ihres Mannes, der das Esszimmer gestrichen hatte und dabei mit sich selber sprach. Er sagt: „Ich ertrage das nicht mehr“, geht in den Garten und erschießt sich. „Was er damit meinte, weiß ich bis heute nicht“, sagt die alte Frau.

„Die Lichter von Bullet Park“ ist eine zweigeteilte Geschichte. Es gibt Mr. Hammer, der nach Bullet Park zieht und in Ich-Form von allen Niederschlägen berichtet, bis er am Ende selbst zum Rasenden wird und auf den jungen Tony Nailles losgeht. Dass er bei der Wahl der Ehepartnerin unvorsichtig war, ist schon früh zu erfahren, als seine Frau ihn vor Gästen runtermacht. „Du wirst den Rest deines Lebens einsam sein. Du bist ein einsamer Mann, und ein einsamer Mann ist ein gottverlassenes Wesen.“ Wenn er sie anschaut, kann er sich nur daran erinnern, „wo ich überall von ihr abgewiesen worden war“. Und dann gibt es noch Nailles, seinen Konterpart, sie sind so miteinander verbunden, wie Hämmer und Nägel es nun einmal sind. Der 34-Jährige ist ein rechtschaffener Mann, der seine Frau Nellie und seinen Sohn Tony ernährt. Er glaubt an die Heiligkeit der Ehe – und sein Schwanz, was für eine seltene Einheit, glaubt auch daran:  Er war „ein domestiziertes Organ mit einem Faible für Hausmannskost, Kaminfeuer und Nellies Schenkel“. Nailles weiß, dass die Umwelt seine Monogamie, seine Zufriedenheit mit dem Leben in der Siedlung seltsam findet. Cheever macht aus Nailles keinen tumben, reaktionären Pantoffelhelden, sondern jemanden, der aufmerksam durch die Welt geht und den Vorurteilen seiner Mitmenschen entgegenzusetzen weiß: „In jedem Theaterstück wird auf den Vororten rumgehackt, aber ich verstehe nicht, was am Golfspielen und Blumenzüchten so schlimm sein soll.“ Genau, was eigentlich? Nailles ist kein Zerrbild eines weißen Mittelschichtlers, auch ihn überkommen Wutattacken, und auch er verzweifelt gelegentlich daran, dass das Glück an die Menschen nicht ausgeteilt wird „wie die Erdnüsse am Ende eines Kindergeburtstags“.

Berühmt geworden durch die Romane „Falconer“ und die „Geschichte der Wapshots“, hat Cheever, der 1982 starb, mit „Bullet Park“ sein verwirrendstes Werk hinterlassen, komplex im Aufbau und mit reichlich surrealen Begebenheiten. Der Roman ist niederschmetternd und greift einem an die Gurgel. Doch man spürt Cheevers Aufbegehren, den trotzigen Willen und die Stärke, in den Kampf mit jedem einzelnen Montagmorgen zu ziehen. 

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