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Das Rätsel um Jim Morrisons verschwundene Büste

37 Jahre lang war Jim Morrisons berühmte Marmorbüste verschollen. Die Geschichte ihres Verschwindens führt tief hinein in die Mythen, Obsessionen und Schattenseiten der Rockverehrung.

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Im Mai 1988 erhält der Fotograf Antoine Le Grand einen seltsamen Anruf. Zwei junge Männer behaupten, die legendäre Marmorbüste von Jim Morrison vom Friedhof Père Lachaise gestohlen zu haben – ein dreihundert Pfund schweres Denkmal des „Lizard King“.

Sie wollen keine Namen nennen, nur Bilder. Le Grand trifft sie in einer eleganten Wohnung im 14. Arrondissement. Die Statue steht zwischen ihnen, besprüht, vom Wachs vergangener Opfergaben überzogen, die Nase abgeschlagen. Die beiden nennen sich „X“, rauchen, lachen nervös und lassen sich maskiert fotografieren, als wären sie Figuren in einem postpunkigen Kunstprojekt.

Die nächtliche Flucht mit dem Moped

In einem zeitgleichen Videointerview erzählt einer der Männer – jung, mit rasierten Seiten und Sonnenbrille – ihre Version des Coups: In einer Frühlingsnacht seien sie mit dem Moped zum Friedhof gefahren, hätten die Büste aus ihrer Halterung gedreht, durch die Gräber gerollt und in einer Mülltonne hinaustransportiert. Auf der Flucht gehe ihnen der Sprit aus, die Statue fällt, bleibt aber heil. Sie sehen sich nicht als Diebe, sondern als Retter vor den Vandalen, die Morrisons Grab entweihten.

Doch ihre Geschichte bleibt unbelegt. Niemand wird verhaftet, das Kunstwerk bleibt verschwunden – und das Verbrechen wird zur Legende.

Am 16. Mai 2025 meldet die Pariser Polizei auf Instagram: „Nach 37 Jahren wurde die Büste von Jim Morrison gefunden.“
Das beigefügte Foto zeigt sie, mit Schnüren umwickelt, auf einem rostigen Rollwagen in einem Lagerhaus. Die Polizei spricht von einem „Zufallsfund“ im Zuge einer anderen Durchsuchung, ohne nähere Angaben.

Vom heiligen Schrein zum Tatort

Seit Morrisons Tod 1971 ist sein Grab einer der berühmtesten Orte der Popgeschichte. Der Sänger war nach Paris geflohen, um zu schreiben und Abstand zu gewinnen. Wenige Monate später fand ihn seine Freundin Pamela Courson tot in der Badewanne. Herzversagen, laut Bericht – keine Autopsie. Er wurde heimlich beerdigt, ohne Grabstein oder Inschrift.

Fans machten den Ort selbst kenntlich – mit Graffiti, Flaschen, Rosenkränzen. 1981 schuf der junge Bildhauer Mladen Mikulin aus Zagreb die Büste, ohne Zustimmung der Familie, aber mit Genehmigung der Stadt Paris. Sie zeigte Morrison als Dionysos – und wurde rasch zum Zentrum eines wilden Kults.

Jim Morrison
Jim Morrison

Familienärger und die Nacht des Diebstahls

Für Morrisons Familie war der Ort bald ein Albtraum. Seine Schwester Anne Chewning und ihre Tochter Tristin Dillon beklagten Vandalismus, nächtliche Feiern, sogar Sexorgien am Grab. Morrisons Mutter erwog, den Leichnam umzubetten. Oder, halb im Scherz, die Büste in die Seine zu werfen. Wenig später war sie verschwunden.

Der vermeintliche Moped-Diebstahl klang abenteuerlich, doch bald tauchten Zweifel auf. Ein Augenzeuge, der Amerikaner Andrew Sarnow, berichtete, bereits zwei Monate früher gesehen zu haben, wie Menschen mit der Büste hantierten – und machte Fotos. Ein Brief des Friedhofs bestätigt später: Der Diebstahl geschah im März, nicht im Mai 1988. War es ein Insiderjob?

Ein Grab als Mythos und Belastung

Für die Pariser Friedhofsverwaltung war Morrisons Grab weniger Heiligtum als Belastung. „Wenn wir ihn loswerden könnten, würden wir es sofort tun“, klagte der Friedhofsleiter 2004. Doch der Zustrom riss nie ab. Bis heute pilgern Fans an den Ort, trinken, singen und weinen dort.

Nun, da die Büste zurückgekehrt ist, will die Familie sie nicht mehr am Grab sehen. „Meine Eltern mochten sie nicht“, sagt Chewning, „weil sie sie nicht ausgewählt hatten.“ Stattdessen soll sie in ein Pariser Museum wandern, als Symbol eines übersteigerten Kults.

Das unruhige Nachleben des Lizard King

Jim Morrison war fasziniert vom Tod, vom Überschreiten der Grenze. Dass sein Grab, seine Statue, sein Name selbst nach Jahrzehnten noch Mythen erzeugen, scheint folgerichtig. Die wiedergefundene Büste ist kein bloßes Kunstwerk – sie ist ein Echo.

Ein Symbol für den Hunger der Nachgeborenen, einem Idol zu begegnen, das sich zu Lebzeiten schon entzogen hatte.
Und vielleicht, wie Gitarrist Robby Krieger sagt, „genau das, was Jim wollte: dass das Ende nicht das Ende ist.“

Dies ist eine gekürzte Fassung eines Textes von ROLLINGSTONE.com. Den kompletten Essay lesen Sie HIER.

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