Jörg Gülden hat nun den Weg entdeckt, der ihn aus der Tristesse der Rock-Lexika ins pralle Pop-Wunderland führt: im Internet

Alle zerbrechlichen Gegenstände im Umkreise von fünf Metern entfernt? Die Schaumstoffpolsterung der Wohnzimmerwände auf lückenlose Dichte überprüft? Im Sessel Platz genommen und die Sicherheitsgurte straffund korrekt geschlossen? Gut, dann kann die Dichterlesung ja beginnen: „Gebildet auf einer Laune durch eine Gruppe gebohrte kunstkursteilnehmer auf der Suche nach freien Getränken, Australia’s fuhr Mental as Anything prankish fort, eine Karriere zu schmieden, die über einigen Dekaden überspannt, ihr Zungenrestliches fest errichtet in der Backe überall in der Dauer ihres Bestehens.“

Bader- und Huelsenbeckgestählte Dadaismus-Scholaren haben natürlich sofort erkannt, dass es sich hier um die genial in Szene gesetzte Biografie einer australischen Popgruppe handelt. Der Rest der Menschheit jedoch hat längst das Teak-Beißholz geshreddert und winselt nun nach dem Notarzt mit einer Kurpackung Valium. Geben wir hier (dem Rest), der sich der ihm mal verliehenen Gabe der Kindersprache offensichtlich schämt, mit einer weiteren, fundierten Aussage bezüglich Mental as Anything flugs den Rest: „Ihr erstes Gig wurde in einem nahe gelegenen Hotel, mit einer Lachetabellenumhüllung ab behelfsmäßiges Stadium gehalten.“ – Geil, gell?

Aber wer bitte sind die verwegenen Gesellen, die anno ’99 das hohe Lied des Dada so verzüglich singen? Leider keine, die man mit Wonne drücken, denen man vor Begeisterung auf die Schultern klopfen könnte. – Schade, aber wähn Der Genius, der aus schnödem HipHop ein blumiges „Hüfte-Hopfen“ werden ließ, der all die Pop-Producer zu „Knallproduzenten“ degradierte und den Space-Rock gar als „Raum-Felsen“ in ein völlig neues Universum katapultierte, ist leider unser Blechkollege Computer. Oder besser gesagt: ein in ihm werkelndes, hundsmiserabebt gestricktes Übersetzungsprogramm, das aber – wie man’s auch aus anderen Trash-Gattungen kennt so außerirdisch grottenschlecht ist, dass aus faktisch korrekten und grammatikalisch perfekten englischen Texten (in unserem Falle Band-Biografien) unerschöpfliche Fundgruben, ja die wahrsten Schatztruhen voll an unfreiwilligen Komik-Preziosen werden.

Bevor aber die Karte mit den Koordinaten besagter Schatzinsel und dem genauen Fundort hier publik gemacht werden soll, gibt’s als weiteren appetker noch die volle Kelle Gourmet-Dada der Güteklasse „Schlagmetall“: „Obwohl der Führer der Gruppe Lemmy Kaminster hatte, versehen seine Wurzeln im hart-hard-rocking Raum-Felsen Hawkwind mit einem Band, Motörhead störten nicht mit den progressiven Tendenzen seiner alten Gruppe und beschließen, die schweren Bikerfelsenelemente mit Hawkwind der Geschwindigkeit des punkfelsens zu verstärken. Motörhead nicht war punkfelsen – sie sich bildete, bevor the Sex Pistols und sie die Hölle-für-Lederbilder von bikers zuviel liebten, um sich mit Sicherheit-festgesteckt anzupassen, zerrissen T-shirts vom punk – aber sie waren das erste Metallband zum Vorspannen dieser Energie und, im Prozeß, stellten sie Geschwindigkeit-Metall und Schlagmetall her.“ – Schlaghammerhart, gell?

Ein Mensch, der ein Übersetzungsprogramm in die Tasten klopfte, dank dem aus schnödem Punkrock dann trutzige „Punkfelsen“ erwuchsen und popelige safetypins (Sicherheitsnadeln) ab „mit Sicherheit-festgesteckt“ zu literarischen Weihen gelangten, hat zumindest seine Nominierung für den Nobelpreis verdient. Oder sehen Sie das anders, Herr Reich-Ranicki? Den Grass und sein Jahrhundert“ haben Sie schließlich auch exakt eingeordet.

Genug der Präliminarien, hinein in die Wunderwelt, in der „tanzen-knallen“, „synthwäschen“, „Dreispannweitepounders“ oder „Knallerfblge“ nicht etwa Singular auftauchende Fremdwörter sind, sondern in schöner Regelmäßigkeit, von A bis Z, von Abba bis Zappa, der revolutionär neuinterpretierten Syntax ihre Sahnehäubchen aufzusetzen wissen: „AMG – All-Media Guide“ nennt sich jenes Anarcho-Unternehmen, das im Internet unter http: //www.allmusic .com nun die Geschichte der Popmusik derart gründlich neu geschrieben hat, dass selbst Lester Bangs, Julie Burchili oder Diedrich Diederichsen wie Zwergschulmeister der 50er Jahre aus der Wäsche schauen.

Wie schon gesagt, in englischer Sprache kommen die Schelme mit ihren Bios im Tarngewand korrekter Schreiberlinge bescheiden einher, doch über uns Mitteleuropäer ergießen sie ein Füllhorn dadaistischer Geniestreiche – die EU soll wenigstens mal was zu lachen haben -, denn neben der germanischen Pop-Neugeschichtsschreibung gibt es hier noch schleudertraumatische „Knallfelsen“-Versionen für Franzosen, Italiener, Spanier und Portugiesen. Und wer auch nur einen Satz auf Spanisch liest, so wurde mir unlängst vor Ort bestätigt, den rafft nach spätestens sieben Sekündchen ein mortaler Lachkrampf der Stärke zehn dahin.

Aber kein schlechtes Wort über die AMG-Guerilleros, haben sie sich doch trotz des heutigen Dauerbombardements mit musikalischen Fliegenschissen nicht vom leuchtenden Pfad der Erkenntnis abbringen lassen: dass Pop subversiv sein soll – und bleiben muss. Abo ab ins Internet zu Dada-Pop! Ab musikalische Untermalung empfehlen wir The Fugs, die frühen Mothers oder ab definitive Dröhnung the warst band even The Shaggs! Kongenialer Trip!

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