Kante – Die irdische Liebe

Die Hamburger Band Kante hat den Traum vom perfekten Album aufgegeben und findet neue Freude am Zusammenspiel

Es ist tierisch heiß, und es liegt was in der Luft, die Gesichter der verschwitzten Menschen in der U-Bahn sind angespannt und in Kriegsfarben bemalt. „Die Hitze kriecht die Straßen lang/ Das Fieber steigt, die Stadt vibriert/ Meine Nerven vibrieren/ Irgendetwas passiert.“ Es ist der Tag des WM-Eröffnungsspiels in München, und ich bin auf dem Weg zum Interview mit der Gruppe Kante in der Nähe des Marienplatzes. Der Titelsong ihres neuen Albums „Die Tiere sind unruhig“ ist der ideale Soundtrack für diesen Tag. „Die Innenstadt wird kontrolliert/ Ich fühl, wie sich die Spannung staut/ Und das Warten darauf, dass irgend etwas passiert.“

Stadt, Körper, Kontrolle schon nach wenigen zitierten Zeilen ist klar, dass hier die gleichen Themen verhandelt werden wie schon auf den ersten drei Alben der Band. Und doch ist alles anders. Nicht nur, weil die „Z“-Reihe der Albumtitel („Zwischen den Orten“, „Zweilicht“, „Zombi“) beendet ist. Wer hätte schließlich gedacht, dass man einmal einen Kante-Song als heimliche WM-Hymne mitsingen könnte? Immerhin haben die fünf Hamburger mit ihrem Debüt „Zwischen den Orten“ mal als Post-Rock-Formation begonnen, also als eine Gitarrenband, die Pathos und vermeintliche Authentizität der Rockmusik ablehnte und sich stattdessen an den schlanken Strukturen der elektronischen Musik orientierte. Zwar wagte man sich für den Nachfolger „Zweilicht“ bereits stellenweise ans Popsongformat, aber über all diesen am Computer erdachten und arrangierten Stücken standen Talk Talk, (Free-)Jazz und Robert Wyatt. Es ging um das Erarbeiten und Re-Kontextualisieren von musikalischen Einflüssen, nicht einfach um das zeitgeistige retromäßige Plündern der Musikgeschichte. Noch deutlicher wurde das schließlich in den komplexen Texturen von „Zombi“, auf dem die Grenzen zwischen Elektronikjazz, Folk und Pop ganz verwischten.

Die Arbeiten an diesem opus magnum waren eine harte Belastungsprobe für Kante, Gründungsmitglied Andreas Krane stieg aus, und es war nicht sicher, ob sich der Rest der Band dann überhaupt noch zu einer weiteren Zusammenarbeit würde aufraffen können. „Da war der unter Hamburger Bands nicht ganz unbekannte Drang, ein Meisterwerk erschaffen zu müssen, oft auch ohne Rücksicht auf Verluste“, meint Ex-Blumfeld-Bassist und Kante-Sänger Peter Thiessen, der aus den Problemen gelernt hat und dieses Mal, um lange Diskussionen zu vermeiden, viel am Computer vorgearbeitet hat, bevor er die Songs der um Florian Dürrman am Bass erweiterten Band vorstellte.

Das alles im Hinterkopf, ist es umso erstaunlicher, wie „Die Tiere sind unruhig“ nun klingt. Hymnisch geht es los im Eröffnungs- und Titelstück (ein Kollege nahm gar das böse Wort „C-o-l-d-p-l-a-y“ in den Mund), das apokalyptische „Ich hab’s gesehen“ klingt wie Stoner-Rock, „Die längste Party der Geschichte“, inklusive Rap-Einlage des Türstehers der Hölle (alias Gitarrist Felix Müller), geht tatsächlich in die Beine.

Die hitzige Bilderwelt der Texte scheint sich in der Musik zu spiegeln, die Gitarren reiben aneinander, der Sound ist direkt und wirkungsvoll. „Für mich war’s wie ein Wunder, mit wie viel Spaß und Energie die Band an das neue Material herangegangen ist“, berichtet Thiessen begeistert und nennt tatsächlich die Beatsteaks als Inspirationsquelle. Wohl auch, weil Kante mit denen den Produzenten teilten. Moses Schneider arbeitete parallel zu „Die Tiere sind unruhig“ am fetten Gitarrenrock der Tote-Hosen-Freunde. „Wir kannten die ja vorher gar nicht. Aber Moses Volksmusik

hat uns immer erzählt, was er mit denen so macht, und denen hat er von uns erzählt. Da entstanden ganz neue spannende Verbindungen.“ Kante-Schlagzeuger Sebastian Vogel ergänzt: „Moses hat uns dazu ermutigt, die Songs auch mal einfach loszulassen. Wir wollten immer noch ein Take mehr spielen, aber er hat gesagt: ,Das ist doch schon gut so‘.“ Thiessen: „Wir haben einfach darauf verzichtet, hier noch ein Detail einzubauen und da noch einen Part. Es ging uns dieses Mal nicht um Perfektion.“

Trotz dieser neuen Arbeitsweise sieht Thiessen jedoch keinen Bruch mit der Vergangenheit. „Ich habe das Gefühl, hier Dinge, die mich schon lange beschäftigen, erstmals richtig auf den Punkt gebracht zu haben.“ Besonders stolz ist er auf das traurig-schöne „Die Hitze dauert an“ am Ende. „Das ist für mich ein sehr wichtiger Song, weil da vieles zur Sprache kommt, was uns gerade bewegt. Lange Beziehungen oder Freundschaften, in denen man feststellt, dass nicht immer alles so perfekt läuft. Da kann man entweder sagen: Es geht nicht mehr weiter. Oder: Ist schon okay so, man kann mit diesen Fehlern leben. Irdische Liebe hat Ingmar Bergman das genannt.“ Sepp Herberger hätte gesagt: Fünf Freunde sollt ihr sein!

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