Katastrophenfilme

Der Offene Kanal für die Rockprominenz: Wie sich die Beatles mit der "Magical Mystery Tour" verkalkulierten. Und es den Rolling Stones kaum besser erging.

Das Leben des Brian endete am 27. August 1967. Brian Epstein, Manager der Beatles, war an einer Medikamentenüberdosis verstorben, seine Schützlinge waren jetzt auf sich allein gestellt. Und ließen bereits vier Tage später via Pressekonferenz verlauten, ihre Geschicke fortan selbst in die Hand zu nehmen. Was dann knapp zwei Wochen später im südenglischen Teignmouth seinen Lauf nahm, war allerdings eher ein Missgeschick. Das erste im künstlerischen Wirken der Beatles, und deshalb eines, das ihren Nimbus als Universalgenies des Pop empfindlich trübte. In Teignmouth in der Grafschaft Devon begannen am 11. September 1967 die Dreharbeiten zum ersten Fernsehfilm der Beatles. Die „Magical Mystery Tour“ nahm Fahrt auf.

Sie waren die Beatles, erfolgsverwöhnt, umschmeichelt, von ihrer eigenen Großartigkeit überzeugt. Was sie berührten, wurde zu Gold. Was sie ablieferten, wurde von Kritikern bejubelt, vom Publikum geliebt und gekauft. Sie konnten keine Fehler machen. Zumindest nicht in kreativer Hinsicht Zudem schien im Spätsommer 1967 einfach alles möglich. Ein neues Zeitalter würde anbrechen, ein ewiger Sommer der Liebe, der Freiheit und der psychedelischen Drogen.

Addiert man all diese Faktoren, verwundert es nicht wirklich, dass die Beatles glaubten, selbst mit den rudimentärsten Regeln des Filmemachens nonchalant brechen zu können. Ein Drehbuch? Wozu? Spontaneität ist besser, wir improvisieren einfach, und alles wird gut. Ein schlüssiger Plot? Aber warum denn? Alle Macht der Phantasie! Professionelle Schauspieler? Brauchen wir nicht. Unsere Freunde, deren Freunde und ein paar Statisten, die wir am Wegesrand finden, werden genügen. Zumindest, wenn sie die richtige Einstellung mitbringen. Es wird bestimmt ein Riesenspaß. Zudem haben wir ja noch Victor Spinetti, bekannt aus Kino aus Fernsehen. Und letztlich: Wir sind die Beatles!

Das kühne Missachten von Regeln kann zweifelsfrei großartige Kunst hervorbringen. Muss es aber nicht. Exemplarisch für die Selbstbezogenheit und Ignoranz aller Beteiligten ist wohl jene Szene, in der aus dem fahrenden Bus heraus eine eher mäßig aufregende Landschaft gefilmt wurde, musikalisch untermalt vom Song „Flying“. Der Witz an der Sache: Die Sequenz erschien abwechselnd in allerlei Farben, schön bunt also und schwer psychedelisch. Der Haken an der Sache: Den Witz konnte kaum jemand kapieren. Denn als die „Magical Mystery Tour“ Weihnachten 1967 im englischen Fernsehen uraufgeführt wurde, besaß der Großteil der Zuschauer lediglich einen Schwarzweißfernseher. Leider war besagte Szene in Schwarzweiß jedoch so mitreißend wie ein Blick in die Waschmaschine kurz nach dem Schleudergang: Da passierte nichts.

Szenische Aneinanderreihungen, deren roter Faden sich nicht gerade aufdrängt, mochten in Fellinis etwa zeitgleich entstandenem „Satyricon“ wunderbar funktionieren, in der „Magical Mystery Tour“ offenbarten sie jedoch, wer hier am Werke war: Amateure. Die Kritik zerriss den Film als belanglose Spielerei, und manche Beatles-Fans, die ohnehin mehr auf „Rock’n’Roll Music“ denn auf bunte Uniformen und indische Gelehrte standen, machten sich ernsthaft Sorgen: Jetzt sind sie offenbar völlig durchgeknallt.

Jedenfalls wollte es im Nachhinein niemand gewesen sein. Paul McCartney, der während der Dreharbeiten schon eifrig an seiner Rolle als künftiger Bandboss feilte, am allerwenigsten. Lennon fühlte sich wie immer missverstanden, Ringo betrachtete es sowieso eher als netten Familienausflug mit Kamerabegleitung, und Harrison hatte auf die ganze Filmerei ohnehin noch nie Lust gehabt. So heißt es zumindest.

Nach über 40 Jahren kann man das Ganze natürlich relativieren. Es gibt sicher aufregendere Möglichkeiten, eine Stunde totzuschlagen, doch letztendlich tut die „Magical Mystery Tour“ auch niemandem weh. Filmkunst wird zwar nicht geboten, dafür aber ein nettes Zeitdokument. Und die Musik ist größtenteils ganz wunderbar. Goo Goo Goo Joob….

Die Liverpooler mit einem eigenen TV-Film? Da konnte und durfte die Londoner Konkurrenz nicht zurückstehen. Weshalb die Rolling Stones Anfang Dezember 1968 ein Studio mieteten, Regisseur Michael Lindsay-Hogg engagierten, ein paar Bands, Freunde und Artisten einluden und das Ganze als „The Rolling Stones Rock’n’Roll Circus“ über den Sender gehen lassen wollten. Immerhin: Zirkusdirektor Jagger ging die Aufgabe ein wenig professioneller an, zumindest die Logistik stimmte. Die Mischung aus Rock’n’Roll und altmodischen zirzensischen Attraktionen hatte durchaus ihren Charme, doch das genügte dem Direktor offenbar nicht. Man sei, hieß es, mit der eigenen Performance die am Ende der aufreibenden Dreharbeiten gefilmt wurde – nicht zufrieden. Weshalb das Werk bis 1996 unter Verschluss blieb. Ganz klar: The Who, die ihr kleines Konzeptwerk „A Quick One (While He’s Away)“ herausdonnerten, spielten die Stones komplett an die Wand. Nur: So schlecht, wie Jaggers Einlassungen vermuten ließen, war der Stones-Gig nun auch wieder nicht. Sein Gesang wirkte mitunter zwar etwas müde und Brian Jones erweckte bisweilen den Eindruck, gerade in einem Fernsehstudio auf Alpha Centauri Gitarre zu spielen, doch auch hier gilt: Als Zeitdokument durchaus empfehlenswert. Und sei es nur, um den einzigen Auftritt von The Dirty Mac zu erleben, mit Keith Richards am Bass, John Lennon als Sänger und Gitarrist, mit Hendrix‘ Kollege Mitch Mitchell am Schlagzeug, Eric Clapton als Solist und Yoko Ono als Tierstimmenimitatorin oder so was ähnliches.

Wenn die Beatles an ihrem Größenwahn gescheitert waren, dann scheiterten die Rolling Stones an ihrer – oder zumindest an Mick Jaggers – Eitelkeit. Und am selbstauferlegten Zeitdruck, das teure Studio möglichst effektiv zu nutzen. Noch mehr aber waren die beiden prominentesten Bands jener Ära Opfer des vorherrschenden Zeitgeistes geworden, der schlichtweg zum Spektakel zwang. Von den Rolling Stones – und noch viel mehr von den Beatles – erwartete man künstlerische Großtaten, simple Konzertfilme wären um 1968 einfach nicht genug gewesen. Es musste gefälligst bunt und schön verrückt sein, oder groovy und far out, um im Idiom der Zeit zu bleiben. In der Theorie prächtig, in die Praxis jedoch schwer umsetzbar, vor allem, wenn man nicht vom Fach war. Und auch noch Substanzen konsumierte, die die Urteilsfähigkeit in welche Richtung auch immer massiv beeinträchtigen konnten. Das Resultat war dann eben eher eine Art Offener Kanal für die Rockprominenz.

Wenn sich Bands heute via DVD selbst darstellen, geschieht das in der Regel auf hochprofessionellem Niveau. Shows werden mit enormem technischem Aufwand routiniert abgefilmt, der Sound kommt in Dolby 5.1., die Special Effects sind womöglich imposant, und als Zugabe gibt es die immergleichen Behind-The-Scenes-Sektionen, Interviews, Studiobesuche und Tourbus-Impressionen. Wenig wird dem Zufall überlassen, denn der Konsument verlangt ein mehr oder minder standardisiertes Produkt, und genau das kriegt er dann auch – ein Produkt. Das sind dann die Momente, wo man den ambitionierten Dilettantismus, die naive Selbstüberschätzung, die von einem nimmermüden Spieltrieb durchwirkte Planlosigkeit einer „Magical Mystery Tour“ mit ganz anderen Augen sieht. Und sich sogar ein bisschen von alledem zurückwünscht.

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