Keine Ahnung! Kein Problem!

Was Laienspiel-Gruppen seit Jahren machen, soll jetzt den TV-Spaß retten: Improvisations-Fernsehen wie "„Schillerstraße"

Im deutschen Fernsehen ist es karrieretechnisch keine Behinderung, wenn man nicht den Hauch einer Ahnung davon hat, was man gerade tut oder tun soll.

Der Beweis ist täglich zu ertragen. Nicht nur in Privatsendern, auch bei den Öffentlich-Rechtlichen tauchen ständig Menschen auf, die gerade mal ihren Namen aussprechen können, ansonsten aber sichtlich nichts am Hut haben mit Sinn oder gar Verstand. Sie moderieren Boulevardmagazine und 90er-Jahre-Shows, oder sie reden über Sport und Schicksale.

Das funktioniert erstaunlich oft, weil viele Zuschauer es offenbar mögen, wenn die in der Kiste nicht viel heller sind als die auf der Couch davor. Gerne artet das zu einer Panelshow aus, bei der ein paar Verhaltensblonde sich spontan den gequirlten Quatsch abpressen, der ihnen just in diesem Moment durch den Kopf flutet Keine Ahnung haben ist also der traurige Normalfall, und Normalfälle sind nun mal nicht wirklich unterhaltend.

Da lag es nahe, aus der Unzulänglichkeit eine Kunstform zu entwickeln, die aus der Not des Mangels die Tugend der Spontaneität destilliert. Die Idee zu improvisierten Programmen kursierte schon eine Weile, doch die ersten Verfechter wurden von den Programmchefs der Sender meist mit der Empfehlung, sich doch dringend mal psychologischen Beistandes zu versichern, zur Tür gewiesen.

Das ging so lange gut, bis Olli Dittrich und Anke Engelke im ZDF mehrfach ein „Blind Date“ verabredeten und bewiesen, dass sich Spontaneität und intelligentes Spiel vereinen lassen. Immerhin wurden die Auftritte des Duos ein Achtungserfolg, der möglicherweise auch die Entwicklung der „Schillerstraße“ beförderte. So heißt auf jeden Fall die Reihe, die dem von Misserfolgen geschüttelten Sender Sat l in diesem Herbst einen der wenigen nennenswerten Erfolge bescherte. Das Konzept der Show ist so einfach, dass man auch selbst hätte drauf kommen können. Da treffen sich vier ausgewiesene Komiker in der Wohnung der Komödiantin Cordula Stratmann. Was dort passieren wird, weiß keiner. Es gibt nur ein Grundthema wie etwa „Die Heizung ist kaputt“ oder „Cordula hat Liebeskummer“. Der Rest ergibt sich und wird befördert von den Anweisungen, die der „Lindenstraßen“-Schauspieler Georg Uecker einzelnen Akteuren via Ohrstecker schickt Im Normalfall stellt sich dann auf der Bühne ein veritables Chaos ein, weil keiner weiß, was der andere gerade eingeflüstert bekommt „Die Leute mögen, dass sie zusehen können, wie wir stocken und scheitern“, sagt Stratmann, die allerdings nur zu gut weiß, dass auch diese Just-In-Time-Komik gewissen Regeln folgen muss: „Wir müssen miteinander spielen und die Angebote der Mitspieler annehmen. Das ist eine hohe Kunst, besonders für Einzelkämpfer.“

Auf jeden Fall wird in der „Schillerstraße“ so erfolgreich miteinander gespielt, dass man im Sender beschlossen hat die Sendezeit zu verdoppeln und den Sendeplatz zu optimieren. Ab Januar dauert die „Schillerstraße“ daher eine Stunde und beginnt statt freitags um 22.15 Uhr schon donnerstags um 20.15 Uhr.

Wo Erfolg ist sind auch Kopisten nicht weit. Dementsprechend geht der früher in Sachen Innovation führende Sender RTL am 7. Januar mit einem Me-Too-Format an den Start Das heißt „Frei Schnauze“, Mittelpunkt ist Komiker Mirco Nontschew, die Mimen sind ähnliche Typen wie in der „Schillerstraße“. Besonderheit: Die Regieanweisungen gibt das Studiopublikum. Lustigerweise wird „Frei Schnauze“ auf dem alten Sendeplatz der „Schillerstraße“ laufen und auch noch von derselben Produktionsfirma an RTL geliefert, von Hurricane, die sich (auch mit „Genial daneben“) derzeit zum Spezialisten fürs Impro-TV entwickelt Die schönste Form des Improvisierens beherrscht aber nach wie vor immer noch der Mann, der mit „Blind Date“ der Kunstform den Weg geebnet hat Wenn Olli Dittrich auch im nächsten Jahr erneut seinen liebenswerten Spinner „Dittsche“ in einem Hamburger Imbiss philosophieren lässt, dann wird das tatsächlich wieder live im WDR Fernsehen zu sehen sein. Und es wird allen Nachmachern eine Mahnung sein, dass spontanes Theater erfolgreich sein kann, ohne zwangsläufig und permanent auf den nächstliegenden Witz zu setzen, denn „Dittsche“ ist Ahnungslosigkeit in ihrer schönsten Form. Bitte anschauen, Olli Geissen.

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