Keine Epigonen, sondern Diebe

Cotton Mather haben von Strawinsky gelernt, der da sagte, wer Kunst erschaffen wolle, solle nicht borgen, sondern stehlen

Gäbe es in Alabama nicht so lange, staubige Highways, dann wäre Robert Harrison heute vielleicht Schuhverkäufer oder Tankwart. „Ich fuhr eines Tages mit dem Wagen durch den sonnigen Tag und machte, was alle jungen Amerikaner im Auto tun: Ich hörte Radio. Brüllend laut. Bisschen Tom Petty, bisschen Allmans oder so.“ Und weil man damals down south noch nichts von Punk und New Wave wusste, „wurde ich plötzlich fast aus meinem Sitz katapultiert Da lief nämlich ,Green Shirt‘ von Elvis Costello. Ich hielt auf der Stelle an, kniete am Straßenrand nieder und weinte. Dann dankte ich dem Himmel dafür, dass es solche Musik geben kann.“

Und seither glaubt Harrison „ganz fest daran, dass es zwar nie wieder wirklich neue Musik, aber immer wieder Klänge und Sounds in neuen Kombinationen geben wird, die dich berühren, umhauen, glücklich machen“. Nach denen sucht er, inzwischen ins „kulturell doch weitaus spannendere“ Austin umgezogen, jetzt mit seinen Kumpanen Whit Williams und Brad Jones. Und wenn wir nun Cotton Mathers jüngstem Werk „Kontiki“ recht aufmerksam lauschen, dann ahnen wir auch, wie das Trio dabei vorgegangen ist. Erinnerungen an die Beatles und die Kinks, an Petty und die Stones werden ja nicht ganz ohne Gründe wach.

„Unsere Band verfügt über ein interessantes Vokabular aus der populären Musikgeschichte“, gesteht ein lächelnder Harrison, „aber wenigstens sind wir keine Epigonen, sondern allenfalls Diebe.“ Schon der Herr Strawinsky habe gesagt, wer Kunst erschaffen wolle, der dürfe nicht borgen, „der solle stehlen. Inzwischen verstehe ich, was er meinte: Wiederholung steht für Stagnation, Klauen aber heißt, etwas zu seinem Eigenen zu machen und ihm nicht die Seele zu rauben.“

Mit solch solidem, philosophischen Fundament lässt es sich natürlich vortrefflich musizieren. „Wir jonglieren ein bisschen mit dem Diebesgut, bauen uns dann einen Startblock daraus und versuchen danach, etwas Frisches und Vitales zu kreieren.“ Vorwürfe lässt Harrison dabei nicht gelten, schließlich sei doch inzwischen wohl jedem klar, „dass Rock und Pop nie wieder neu erfunden, sondern nur noch ihren Bausteine neu kombiniert werden könne. Wäre sonst ein Marilyn Manson so schier unfassbar unshocking?“

Schon merkwürdig, einen Musiker zu treffen, der gar freudig juchzt, wenn man ihm mal die Zutatenliste für sein Erfolgsrezept unter die Nase reibt „Solange die Leute unsere Platten mögen und spannend finden, bin ich ihnen doch nicht etwa böse, nur weil sie uns den Bestand unserer Asservatenkammer herbeten können. Die nun einmal nicht zu verleugnende Herkunft unserer Bausteine zu leugnen, wäre doch totaler Blödsinn.“

Soviel Selbstbewusstsein nötigt einem nicht bloß Respekt ab, es amüsiert und unterhält überdies prächtig. Auch wenn vor den Bühnen, von denen Cotton Mather den kreativen Eklektizismus predigen, nicht gleich ein jeder betend und weinend auf den Knien herumrutscht: Hoffnung schöpfen wir dort trotzdem. „Immerhin leben wir ja heute in der wohl besten Zeit, die es für uns Musiker je gab.“ Hört man auch nicht so oft.

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