Kinostart der Woche: „A Single Man“. Das Filmdebüt des Modedesigners Tom Ford
Ein wunderschönes Kunstwerk - allein, die Seele fehlt! Findet unser Kritiker Oliver Hüttmann. Heute startet das Regiedebüt von Tom Ford mit Colin Firth in der Hauptrolle in den deutschen Kinos. Kritik und Trailer.
Stilvoll abtreten mit Tom Ford: Das weiße Hemd zum braunen Anzug ist faltenlos gebügelt, die Krawatte exakt geknotet, das Haar akkurat nach hinten gekämmt und das Kinn glatt rasiert. So beginnt George Falconer (Colin Firth) seinen letzten Tag. Der Professor fährt zur Uni, hält noch einen Vortrag, räumt seinen Schreibtisch auf, entzieht sich höflich den Gesprächen. Bei der Bank leert er sein Schließfach, kauft dann Patronen und eine Flasche Whisky. Bei Abenddämmerung liegt der Revolver neben dem Glas.
Eine elegant komponierte, in jedem Detail makellos kombinierte Totenmesse zelebiert der ehemalige Gucci- und Yves-Saint-Laurent-Chefdesigner Ford in seinem Regiedebüt nach dem gleichnamigen Roman von Christopher Isherwood. Man könnte auch sagen, der Film sei maßgeschneidert, so straff sitzt jede Szene. Lange, oft schweigende Kameraeinstellungen bilden den Rahmen für die unterschwellige Dramatik der Story. Ford, dessen eigene Herrenkollektion hier natürlich vorgeführt wird, zeigt in der Bildsprache ein außerordentliches Gespür für Ästhetik und Atmosphäre, die den Werken von Atom Egoyan und Michelangelo Antonioni durchaus ähnelt.
Falconer hat den Unfalltod seines Lebensgefährten Jim (in Rückblenden: Matthew Goode) nicht verwunden. Er lebt nur noch in Schockstarre. Und so wie seitdem das Leben aus ihm gewichen ist, hat Ford dem Film die Farben entzogen. Braun, grau und beige dominieren die Tableaus. Von frostiger Sinnlichkeit ist die Traumsequenz, in der Falconer sich neben dem toten Geliebten auf die Straße legt. Nur wenn etwas Gefühl in ihm aufflackert, werden die Bilder bunt. In knalliges rotes Sonnenlicht getaucht ist seine kurze Begegnung mit einem Stricher, der wie James Dean aussieht (und natürlich von Fords Lieblingsmodel Jon Kortajarena gespielt wird). Die Szene wirkt wie ein Pop-Art-Gemälde. Und sein Besuch bei seiner guten Freundin Charlotte (Julianne Moore), deren Liebe er nie erwiedern konnte, wird mit Alkohol und Musik für Sekunden zu einem emotionalen Strudel.
„A Single Man“ ist zweifellos ein Kunstwerk. Man ist von jedem Motiv beeindruckt, gebannt – nur nicht wirklich berührt. Die versteinerte Verletzlichkeit, die Firth eine Nominierung für den Golden Globe und Oscar eingebracht hat, ist große Schauspielkunst. Jedenfalls sah der Brite nie besser aus. Doch die extrem stilisierte, kühle Schönheit der Oberfläche, die wie ein Trauerflor Falconers innere Abgeschiedenheit illustriert, verschließt einen auch als Zuschauer vor Mitgefühl.
Selbst Falconers modische Perfektion mutet wie ein Schutzschild an. Hoffnung keimt auf, als er sich in einer Bar auf einen Flirt mit dem jungen Studenten Kenny (Nicholas Hoult) einlässt. Als er fürs nächtliche Bad im Meer nach kurzem Zögern seine Kleidung auszieht, fällt auch der Panzer von ihm ab. Aber wie auch immer die Geschichte endet: Von Hauptperson und Film bleibt eine schöne Hülle zurück, der leider die Seele fehlt.
Oliver Hüttmann