KRÖMERS KRIEG

Spaß findet woanders statt. Das liegt in der Natur der Sache: Das Militär hat einen beschissenen Job. Von dem sogar viele sagen, man müsse ihn nicht machen. Andere unterstützen ihre Truppen, und schicken Unterhalter los, damit Gefreite und Feldwebel etwas zu lachen haben: Special Services nennt man es bei der US Army, wenn Stars das Militär erfreuen. Marlene Dietrich sang und tanzte bekanntermaßen während des Zweiten Weltkriegs für die US-Boys, der Komiker Bob Hope wurde für seine Truppenbespaßung gar zum Ehrengeneral ernannt, und in dem bizarren Video zu „If I Could Turn Back Time“ singt Cher äußerst unpassend gekleidet auf dem Zerstörer „USS Missouri“. Von MTV wurde der Clip nicht wegen der Kanonen zensiert, sondern wegen des Kleides. Auch für deutsche Soldaten, die für den Frieden im Kriegseinsatz sind, stellt die Bundeswehr ein Programm zur Truppenbetreuung auf die Beine. Xavier Naidoo, Til Schweiger, Peter Maffay und Paul Kalkbrenner haben schon die deutschen Camps in Afghanistan besucht. Im Juni vergangenen Jahres setzte sich ein Berliner mit Lakritzbrille ins Flugzeug Richtung Hindukusch: Kurt Krömer. Seit zwanzig Jahren ist er Komiker, seit zehn Jahren angesehener Komiker, und seit einiger Zeit megaerfolgreicher Komiker. Dass der Mann, der auf die 40 zugeht, eigentlich Alexander Bojcan heißt, ist allgemein bekannt und darf -anders als etwa bei Atze Schröder, der bei Nennung seines Klarnamens das Gericht einschaltet -auch so geschrieben werden.

Krömer ist eine Kunstfigur, die so künstlich gar nicht ist. Weil im bauernschlauen, ungelenken, naiven, nervigen und rührenden Krömer-Charakter, dessen Gespräche mit Prominenten in seinen diversen, teilweise preisgekrönten Fernsehshows verlässlich entwaffnend, unkonventionell und urkomisch sind, eine Menge Bojcan steckt -der ähnliche Eigenschaften zu haben scheint. Nur dass er ohne Krömer-Brille und Anzugschultern noch ein bisschen schmaler und zweifelnder wirkt als sein Bühnen-Alter-Ego (aber genauso amtlich berlinert).

Bojcan, das mutmaßt man, wenn er einem nervös über der Kaffeetasse in Kreuzberg gegenübersitzt und auf die Pause bis zur nächsten Zigarette spekuliert, ist keine eiskalte Show-Frontsau. Oder jedenfalls nicht nur. Dass Krömer und Bojcan sich ähnlicher sind als beim Gros der Komiker (außer Helge Schneider) üblich, hat Vor-und Nachteile. Deutlich wird das in dem Buch „Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will“ (KiWi, 9,90 Euro), das von Krömers/Bojcans Erlebnissen und Erkenntnissen während seiner zwei Reisen nach Afghanistan erzählt.

Zur ersten wurde er eingeladen, sagt Bojcan, und das habe ihn doch gewundert: Der Komiker und Pazifist durfte zur Truppenunterhaltung in zwei Camps in und um Kabul, und in eines in der Wüstenstadt Masar-i Sharif reisen, um dort die Moral durch Lachen zu stärken. Bojcan fand das kurios, schließlich hatte er total verweigert, war sogar – ohne Krankenkasse und Meldeadresse -zwei Jahre lang vor dem Einberufungsbefehl untergetaucht, und hatte erst in den Neunzigern durch ein paar vorgeschobene Job-und Ausbildungsangebote reinen Tisch mit dem Wehramt gemacht. „Ich wollte erklären, was da eigentlich los war, mit mir und der Bundeswehr“, sagt Bojcan im Gespräch, und erklärt, dass ihm die Idee, ein Buch zu schreiben, schon vor Jahren angetragen wurde. „Aber was soll ick schreiben? Eine Biografie ist Quatsch, an so etwas sollte man frühestens mit 65 denken.“ Und Fiktionales macht er nicht mal mehr auf der Bühne: Die Geschichten mit wahrem Kern, eben die von Bojcan, kommen besser an.

Die Frage nach dem Sinn des Unternehmens Afghanistan quittiert Bojcan, den wir ab jetzt der Gewohnheit halber wieder Krömer nennen wollen, mit einem Schulterzucken. Immerhin, ein paar Bilder fürs Fernsehen seien da unten ja entstanden, und er habe einiges über das Land gelernt, auch einiges über die Bundeswehr, sicher, „aber danach hatte ich eigentlich noch mehr Fragen, fand das alles noch sinnloser“, das ganze System Bundeswehr, die Hierarchien. Man merkt ihm an: eigentlich wollte er gar nicht dort hin – wie es ja auch im Titel seines Buches heißt. Auf den knapp 200 Seiten erfahren wir einiges über die mühselige Anreise, die raren Zigarettenpausen, in denen immer gleich auf Vorrat geraucht wurde, die Hitze und die schlichten Unterkünfte. Noch mehr allerdings erfahren wir über Kurt Krömer.

Denn wie erspielt man sich eigentlich ein Publikum, das bis an die Zähne bewaffnet ist? Und dazu noch auswärts? Ihn habe von Anfang an interessiert, wie man Humor in einem Kriegsgebiet einsetzt, ohne sich über die Opfer lustig zu machen, erklärt Krömer. „Klar war auch, dass wir nicht über die Soldaten herziehen wollten. Das wäre zu einfach. Das hätte man schließlich in einer Berliner Kaserne oder irgendwo anders in Deutschland als Fernseh-Sketch drehen können.“

Nicht über, sondern mit den Menschen lachen – ein Prinzip, das man eher aus dem ökumenischen Gottesdienst kennt als aus der modernen deutschen Comedy, deren Wesen es ja in der Regel ist, sich über eine bestimmte Gruppe von Menschen zu erheben (und die dann auszulachen). Doch der Komiker Krömer kann das. Seine Präsenz auf der Bühne ist durch die durchscheinende Authentizität stets angenehm ambivalent: Aus einem bestimmten Blickwinkel heraus betrachtet ist er ein unberechenbarer Spötter, der über Gott und die Welt herzieht und demokratisch gegen alles ätzt, egal, wo es herkommt und wie sein sozialer Status ist. Verschiebt man den Blickwinkel nur minimal, sieht man plötzlich eine verlorene Gestalt, die verzweifelt versucht, sich selbst aus der gerade eben noch veräppelten Gosse zu ziehen.

Die drei Afghanistan-Auftritte Krömers funktionierten dementsprechend: Erst zögerlich, dann befreiter und herzlicher lachten die Soldaten und raren Soldatinnen über den Mann aus dem Fernsehen, dem sie ansahen, dass er das arme Würstchen nicht nur spielte. Der mitgereiste „Zeit“-Journalisten Peter Kümmel, dessen ausführlicher Bericht auch im Buch abgedruckt ist, fand die schönsten und schlauesten Worte für die Situation: „Das ist Krömers Prinzip: Er beleidigt die anderen und tut dann so, als sei er selbst beleidigt worden. Er ist unverschämt und spielt den Getroffenen. Er spielt einen Soldaten, der von den Soldaten -Schmarotzer am Hindukusch -nichts weiß und auch nichts wissen will. Das Publikum erkennt die Wahrheit hinter dieser Komik.“

Krömer selbst erkennt vor allem die Analogie zu seinen ersten Auftritten als noch unbekannter, bettelarmer Witzbold in der Berliner „Scheinbar“, der sich sein anfangs verdattertes Publikum im Schweiße seines bebrillten Angesichts erspielen musste. Und geht bei der Gelegenheit gleich noch weiter zurück, in die Zeiten des Tagelöhners und Lehrenabbrechers, die Zeiten, als Bojcan den Krömer (er) fand, und sich entschied, Künstler zu sein. Diesen steinigen Weg zur Karriere beschreibt er mit viel Bitterkeit, tief sitzendem Stolz über das „Geschafft haben“, und dem Siehste!-Trotz des verkannten Genies: „Wenn mich etwas in meinem Leben anstachelt, dann sind das Menschen, die zu mir sagen:,Das kannst du nicht machen.'“ Immer wieder habe er allein und against all odds gehandelt, und es allen Zweiflern gezeigt. Zwischen den Zeilen ahnt man, wie tief die Verletzungen noch immer in ihm puckern.

Mit den Journalisten „an sich“ hat Krömer demzufolge ebenfalls große Probleme. Schließlich sind auch sie es, die ihn lange verkannt haben, und die nach wie vor kritisch reagieren könnten. „Wenn ich ehrlich bin, ist Peter Kümmel, nach Günter Wallraff, der zweite Journalist in meinem Leben, vor dem ich Respekt habe. Er hätte auch, wie andere Journalisten, ganz einfach von zu Hause aus in seinem Elfenbeinturm sitzend, das Geschehen aus der Ferne betrachten und einen Artikel schreiben können“, notiert Krömer in naiver Ignoranz gegenüber den versierten und mutigen Kriegsreportern. Und führt im Gespräch dazu aus:“Wir sehen hier in der ,Tagesschau‘ Afghanistan immer nur im Zusammenhang mit Tod, Soldaten und Taliban.“ Immerhin, dass es durchaus Dokumentationen und Reportagen über den Wiederaufbau und humanitäre Projekte gibt, weiß Krömer schon -aber die würden immer ins Spätprogramm abgeschoben.

Anfang dieses Jahres ist Krömer dann sogar noch einmal nach Kabul geflogen, weil ihn das Thema nicht losgelassen hat. „Wir haben ja alle den Blödsinn schlucken müssen, dass wir unsere deutsche Freiheit am Hindukusch verteidigen“, schreibt er. „Und so waren wir, was unsere erste Reise betrifft, ja eigentlich mehr in Deutschland gewesen als in Afghanistan.“ Beim zweiten Besuch, „auf eigene Tasche“, wurde er von seinem Co-Autoren Tankred Lerch, seiner Managerin und einem Kameramann begleitet, der Bilder machen sollte für eine Dokumentation und die Krömer-Shows. Statt der Unwirklichkeit und Militaristik des Camps sollte nun das afghanische Volk im Mittelpunkt stehen. So füllte Krömer die wenigen Reisetage mit -in gesicherten Autos und mit aufmerksamer Begleitung getätigten -Ausflügen durch das Land. „Ich hatte noch Fragen“, sagt Krömer im Gespräch.“Wie organisiert man sich seinen Tag da, wie geht man mit der Ausgangssperre um? Und wird in einem Krisengebiet überhaupt gelacht?“

In dem Teil Kabuls, in dem die Kriegsflüchtlinge hausen, beobachtet er Kinder, die in Flip-Flops im Schnee stehen, und er sieht prächtige Hallen, in denen geheiratet wird. Durch vorherige Vermittlung werden Krömer und sein Team zum Essen eingeladen, und sind zu Gast bei einer liberalen Familie, deren Töchter den Gästen unverschleiert gegenübertreten. Er besucht einen kleinen Fernsehsender, und schaut sich blutbefleckte Tatorte an, wo durch Schusswechsel und Anschläge Menschen starben.

Wenn man diese Schilderungen liest, möchte man im Komiker Krömer gern den Augenzeugen Alexander Bojcan erkennen, der sich fragt, was er eigentlich in diesem Land zu suchen hat und wie er helfen kann. Aber lange hält diese Wallung nicht an. Denn als Krömer sich an seinen Begleiter Bahram wendet, der ihm die ganze Reise über Rede und Antwort steht, obwohl er westlichen Journalisten sonst keine Auskünfte gibt, analysiert er scheinbar verständnisvoll: „Du gibst keine Interviews, weil die Berichterstattung, egal wie lange du mit den Journalisten redest, immer nur auf das zusammengekürzt wird, was man sowieso schon weiß.“ Und Bahram nickt zustimmend. Das ist der Moment, in dem der Kriegsberichterstatter wider Willen, der Journalistenhasser und Komiker Kurt Krömer seine persönlichen Erfahrungen als verkanntes Genie ohne Rücksicht auf völlig unterschiedliche Hintergründe mit einem politischen Sachverhalt vermischt:“Weltweit die gleiche Scheiße, sage ich zu Bahram. Nun lachen wir beide.“

Am Ende werden sich diejenigen, die Gags am laufenden Band erwarten, ebenso die Haare über Krömers Aufzeichnungen raufen wie jene, die sich gern von investigativen und kritischen Analysen hätten überraschen lassen. Das Aufschreiben und Strukturieren seiner Erlebnisse in Buchform sei „ein Kampf“ gewesen, seufzt er. Sein Buch soll, darauf pocht der Autor im Vorwort, nicht in erster Linie lustig sein, nicht „Humor mit Dümmlichkeit und Verdrängung“ gleichsetzen. So ist es ein Sammelsurium absurder Situationen geworden, untermalt von manchmal schönen, manchmal fehl am Platz scheinenden Gags und One-Linern wie „ein Holzofen, der heißer ist als Jorge Gonzales auf Stöckelschuhen“. Doch oft fehlt ihm neben einer Haltung schlichtweg die Schreiberfahrung.

„Eine richtige Erkenntnis habe ich nicht“, antwortet Krömer schließlich auf die Frage nach dem Sinn des ganzen Unternehmens. Krömer, der nach dem Interview wieder vor das Café rauchen geht, und bald zurück ins Studio muss, wo er gerade die Einspieler schneidet, hat das getan, was er auch auf der Bühne am besten kann: Irritieren, Erwartungen nicht erfüllen, sich zwischen die Stühle setzen. Nur ist er dabei ziemlich hart hingeplumpst.

Bundeswehr und Isaf

Drei Auftritte absolvierte Kurt Krömer bei seiner Afghanistan-Reise im Juni 2012 vor deutschen Truppen. Einen im Headquarter der Nato-Aufbaumission Isaf im Zentrum von Kabul, einen weiteren im Camp Warehouse am südöstlichen Rand der Hauptstadt und den dritten im Camp Marmal in der Wüstenstadt Masar-i Sharif im Nordosten des Landes. Er vergleicht diese Reise in seinem Bericht mit einem Aufenthalt im Robinson-Club. „Es ist mir, ausschließlich hinter dicken Mauern eingesperrt, nicht möglich gewesen, das gesamte Land kennenzulernen, geschweige denn mit der Bevölkerung des Landes in Kontakt zu treten.“ Daher kehrte der Komiker im Januar 2013 noch einmal nach Afghanistan zurück (Foto li.), um auch das Alltagsleben in Kabul näher kennenzulernen und die Hintergründe des Konfliktes besser zu verstehen.

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