Lana Del Rey live in Berlin: amerikanisches Trauma in Technicolor

Man hat darauf gewartet, ob und wann ihre nicht immer Mailänder-Scala-feste Stimme bricht. Doch die in den letzten Monaten sorgsam abgeschirmte Exil-Londonerin Lana Del Rey bleibt bei ihrem Auftritt im Berliner Velodrom in der Spur. Und Adele oder gar Aretha Franklin hat ja hoffentlich niemand von ihr erwartet.

Lana Del Ray ist eine Labormaus. Umgeben von Erfolgsproduzenten wie Guy Chambers, Videomachern wie Woodkid, Friseuren und Stylisten zuzüglich diverser Manager nebst Gesamtimage-Ausdenkern ist es immer wieder hoch interessant, was sie letztlich DARAUS macht. Oder in der Sprache des modernen Fußballs ausgedrückt: Kann sie ihre maximale Leistung abrufen? 

Bislang gibt es da nicht viel zu meckern. Auch die acht Songs der „Paradise“-Edition (als Ersatz für ein kommendes zweites Album) halten die schwierige Balance zwischen traurig, sehr traurig und milde getragen. „Blue Velvet“ von Bobby Vinton hat man schon knödeliger interpretiert gehört. Der große Knackpunkt, auf den einige missgelaunte Kritikerfürsten gewartet haben, ist ihr Live-Vortrag. Kann Labormaus Lana auch große Bühne?

Immerhin hat sie allein in Deutschland weit über 500.000 Alben von „Born To Die“ verkauft. Das Konzert in Berlin wurde aus dem mittelgroßen Tempodrom ins Velodrom mit einer Gesamtkapazität von 12.000 Zuschauern verlegt. Geschätzte 8.000 kamen am gestrigen Abend in die runde Betonhalle am S-Bahnring in Friedrichshain. Vor der Bühne einige Reihen mit Kreische-Teenagern. Ansonsten ein urbanes Durchschnittspublikum zwischen 20 und 47. Darunter diverse zutätowierte Frauen mit interessanten Wasserwellen-Frisuren. Vereinzelt zweifelhafte Fetisch-High-Heels. Sonst normal. 

Zerzauste Palmen in Sepia-Optik werden auf den weißen Bühnenvorhang projiziert. Dazu lief hysterischer Klassikgesang aus dem B-Movie-Gruselfilm. Nach ersten Pfiffen um kurz nach Neun fiel der Vorgang – kawumms – von der Decke. Der Blick wird frei auf ein indisch-römisches Fantasy-Bühnenbild: Palmen, ein überdimensionierter, dreiteiliger Schrank, auf dessen Spiegelflächen lichtstarke Videos laufen. Links ein Tiger, rechts ein Löwe aus Knuffelstoff. Das Ganze gekrönt von einer Art-Deko-Lampe. Vier Streicherinnen, ein wild herum kloppender Percussionist. Dazu die bewährte Tourmannschaft Leonard Tribbett Jr (Drums), Gitarrist Blake Lee, Bassist Ronald “CJ” Alexander und Byron Thomas, der sich gelegentlich ans Piano setzt. Nach einem semi-schweinerockigen Intro großer Jubel als Mrs. Del Ray im seidenweißen Minikleidchen auf die Bühne schreitet. „Cola“ mit der expliziten Textzeile „my pussy tastes like pepsi-cola“ macht den Anfang, und um sofort das Eis zu brechen, begibt sich Lana zum Teenie-Händeschütteln in den Absperrgraben. „It’s good to be here again“ heißt die Übung. Die Retortenfigur legt großen Wert darauf keine zu sein. In all ihrer Künstlichkeit beherrscht es Lana Del Ray perfekt, das amerikanische Trauma in Breitwand-Pop zu übersetzen.

Mit satt performter Routine geht es durch ihr Ouevre; mit den Eckpunkten „Video Games“ und der letzten Single-Auskopplung „Ride“, in der Lana großartig das kaputte Böse-Rocker-Liebchen gibt. Ein längeres Spoken-Word-Intro macht diesen epischen Song zu einem der Höhepunkte des Konzerts. Und ja, auch ich habe darauf gewartet, ob und wann ihre nicht immer Mailänder-Scala-feste Stimme bricht. Doch die in den letzten Monaten sorgsam abgeschirmte Exil-Londonerin bleibt in der Spur. Und Adele oder gar Aretha Franklin hat ja hoffentlich niemand von ihr erwartet.

Letztlich schafft sie gar souverän einige Laut-Leise-Brüller bei der einzigen Coverversion des Abends; „Heart Shaped Box“ von Nirvana. Den kurzen Schlenker zu „Knockin on Heaven´s Door“ mal außen vor. Nach rund 80 Minuten gediegener Unterhaltung ist Schluss. Keine Zugaben. Aber diese sind eh bei Altrockern in karierten Flanellhemden oder Fransenlederjacken besser aufgehoben.

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