Leben am Limit

Weil das Nervenkostüm ihrer Sängerin zu eng wurde, nahmen CATATONIA eine Auszeit. Nun sind sie zurück

An dem Bild, das sich Joe Public von Cerys Matthews machte, hatte sie selbst eifrig mitgepinselt. Walisisches Vollweib mit Trakehner-Konstitution, trinkfeste Partylöwin, sinnenfroh und exaltiert. „Boy, war das daneben“, seufzt sie, verdreht die Augen und vergräbt beide Hände in der blonden Mähne. „Ich meine, es hat eine Zeit lang Spaß gemacht, nonstop im Scheinwerferlicht zu stehen. Ich müsste lügen, wenn ich das nicht zugeben würde. Aber es verändert dich, dieses Leben am Limit, und es laugt dich aus.“

Das Bittere und nachhaltig Ernüchternde am Erwachen aus der Dauer-Euphorie war, dass es vor zehntausend Menschen passierte. „Ich wäre vor Scham am liebsten im Bühnenboden versunken, so peinlich war das.“ Catatonia waren im Winter 1998 in der Sheffield Arena aufgetreten, im Vorprogramm der Manie Street Preachers, als Cerys mitten im Song zuerst der Text entglitt und dann die Fassung. Ein Blackout. „Ich starrte ins Leere, versuchte mich zu konzentrieren, aber nichts ging mehr, die Worte waren wie weggeblasen.“

Die Situation wurde mühsam überspielt, doch schien danach für Cerys nichts mehr so wie davor. „Es war ein unübersehbares Signal, eine Warnung, die ich verdammt ernst nahm.“ Zu ernst vielleicht, denn Matthews brach psychisch ein. „Ich hatte Angstzustände, Depressionen womöglich, keine Ahnung. Ich würde nie irgendwelche Psychiater an mich heranlassen, zum Seziertwerden bin ich denkbar ungeeignet“

So zog sie sich an den eigenen Haaren aus dem seelischen Treibsand, in dem sie unterzugehen drohte. Ruhe und Abgeschiedenheit schienen angezeigt, die Tournee wurde abgebrochen, Singles nicht mehr promotet, und – Matthews sieht es als direkte Folge ihres „Versagens“ – die Verkäufe der damals aktuellen LP „Equally Cursed And Blessed“ gingen in den Keller. Selbst 350000 Exemplare machen nicht viel her, wenn der Vorläufer, international Velvet“, eine satte Million absetzte. Und das im UK allein. Cerys fühlte sich schuldig, litt privatim wie beruflich. Ihre ferlobung platzte, und der Band-Zusammenhalt wurde auf eine harte Probe gestellt, als sich Cerys zu Catatonia-fremden Sangesübungen überreden ließ, während ihrer „Auszeit“: Sie sang mit Space und duettierte mit dem knödelnden Matronen-Schwarm Tom Jones, derweil die männlichen Mitglieder ihrer Combo nur auf ihre Genesung warteten.

„Da war viel Dummheit im Spiel, nicht zuletzt von meiner Seite“, kommentiert die Sängerin, „insbesondere, was das Timing betrifft.“ Und nein, da sei nichts dran an dem hier und da geäußerten Verdacht, ihre Kollaboration mit Jones habe mit Patriotismus zu tun und sie habe nicht zurückstehen wollen hinter all den anderen Welsh Acts, die sich für „Reload“ einkaufen ließen. „Definitiv nicht“, sagt Cerys Matthews, „ich liebe Wales und fühle mich dort wohl, aber mit diesem Wales-über-alles-Quatsch kannst du mich jagen. Im übrigen ist doch offenkundig, dass es keine musikalischen Gemeinsamkeiten gibt zwischen den Maines, Stereophonics, Super Furry Animals oder uns.“

Wohl wahr. Erst recht, wenn man die vielfach gebrochenen Songs und Sounds der neuen LP „Paper Scissors Stone“ zugrunde legt, ihre beste seit „Way BeyondBitte“. Lange hat man Catatonia nicht mehr so abenteuerlustig erlebt, und Cerys nicht mehr so intensiv.

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