Mit Catatonia liefern Landeier erneut den Beweis, daß London nicht Nabel der Welt ist

London rief, aber keiner wollte hören: Das britische Pop-Jahrzehnt gehörte weitgehend der Provinz. Es begann im Norden, in Manchester. Die Älteren unter uns erinnern sich noch an hartnäckige, nie wirklich bestätigte Gerüchte namens Rave, Happy Mondays und „La Hacienda“. Später schwenkte der Scheinwerfer auf Bristol, wo Massive Attack und Portishead am Computer schön traurige Stücke zusammenbastelten. Und nun, am Ende dieses Jahrzehnts, sieht alles danach aus, als führe die Reise wieder in eine bisher unbeachtete Region: Willkommen in Wales!

Politisch kaum beachtet, war es auch popkulturell lange als tote Zone verschrien. Gut, es gab John Cale, aber der flüchtete nach New York. Doch dann kamen Bands, deren Herkunft sich auch in ihrer Musik niederzuschlagen schien. Erst die Manie Street Preachers, nun Catatonia – die Band, von der die denkwürdige Zeile stammt: „Everyday I wake up/I thank the Lord I’m welsh.“ Vor zwei Jahren hatten die Lokalpatrioten mit „Mulder & Scully“ einen vielleicht schon aufgrund des Titels etwas kalkuliert wirkenden Hit Wales rief, und alle hörten. Es folgten schnell viele Lorbeeren, darunter drei Nominierungen bei den „Brit Awards“. Und es folgten Miniskandale wie der unvergessene Auftritt, bei dem Sängerin Cerys so alkoholisiert gewesen sein muß, daß sie nachher mideidig mit Shane MacGowan verglichen wurde.

Zoom auf Cardiff, die Landeshauptstadt an der Küste. Hier macht man seine Arbeit, trinkt sein Bier und läßt sich gegenseitig in Ruhe. „Keiner von uns käme auf den Gedanken, hier wegzuziehen“, sagt Bassist Paul Jones. „Wir spüren keinen Neid, keine Neugier.“ Nur manchmal prostet ihnen abends im Pub einer zu. In „Londonium“, einem der neuen Songs, besingt Cerys die Großstadt als blutsaugendes Kontrastprogramm: „London never sleeps/ it just sucks life out of me.“ Das walisische Refugium könnte für Catatonia immer nötiger werden: Der „Melody Maker“ ernannte Cerys schon 1998 zum „Megastar“ – und der Rummel um die neue Platte „Equally Cursed And Blessed“ könnte dazu führen, daß dieser Titel bald sogar stimmt Cerys Matthews ist in den britischen Medien auf eine Weise omnipräsent, die schon etwas Befremdendes hat. Das Interesse an ihrem Privatleben nimmt amerikanische Züge an. Ken Starr könnte nicht hartnäckiger fragen, als es die britischen Kollegen tun.

Schlauerweise ist sie dazu übergegangen, lauter Banalitäten zum Besten zu geben: Mit vier Jahren habe sie ein Fahrrad mit Stützräder gebraucht! Ihr Garten sei während der Tour total verwildert, sogar die Gartenzwerge hätte es erwischt!

Drummer Aled Richards schüttelt den Kopf. Er glaube nicht, daß Cerys die Presse bewußt mit Banalem füttere. „Sie ist ein rundum ehrlicher Mensch“, sagt et „Sie hat keinerlei Distanz.“ Auf der Bühne sei das oft etwas peinlich. „Dann kommt sie ans Mikro und erzählt den Leuten, was wir in der Garderobe besprochen haben.“ Früher habe die Band dann „Hör auf“ gezischelt „aber gegen sie kommt man nicht an.“

Was Catatonias Rolle im britischen Pop betrifft, so vermeiden Aled und Paul unangemessene Bescheidenheit: „Ich glaube, wir und die Manic Street Preachers gehören zu einer neuen Generation von Bands. Wir führen die britische Popmusik ins nächste Jahrzehnt“ Schon aus reiner Dankbarkeit dafür, daß er nicht gleich „ins nächste Millennium“ gesagt hat, sollte man diese Prophezeiung unbedingt ernst nehmen.

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