Live-Kritik: Oasis in Cardiff – die Gallaghers feiern ihr mächtiges Comeback
Liams und Noels erstes gemeinsames Konzert seit 16 Jahren – ohne Zweifel der kulturelle Moment des Jahres – ist eine freudige Feier der Versöhnung
Es wird erst wirklich greifbar, als Liam und Noel Gallagher in Cardiff Hand in Hand auf die Bühne treten, die Arme gemeinsam in die Höhe reißen vor einer Menge, die 16 Jahre auf diesen Moment gewartet hat. „It’s good to be back“, singt Liam wenige Minuten später. Und eröffnet mit „Hello“ ein Konzert, von dem viele dachten, es würde niemals stattfinden.
„It’s good to be back“: das Comeback beginnt mit Gänsehautmoment
Fragt man die Leute im vergangenen Jahr, bekommt man hundert verschiedene Gründe, warum Oasis wieder zusammen sind. „Liam und Noel haben endlich das Kriegsbeil begraben!“ „Die Gage war einfach zu gut!“ „Sie machen es für ihre Mutter!“ Doch wenn man an diesem schwülen Sommerabend aus dem Bahnhof Cardiff Central tritt, scheint kein anderer Grund plausibler zu sein als die Wiedervereinigung für die Millionen von Fans, die ihr Leben auf dieser Band aufgebaut haben. „War’s die £40.000 für das Ticket wert?“, grinst Liam mitten in der Show, ohne auf die zustimmende Antwort zu warten.
Der kulturelle Moment des Jahres – womöglich sogar des Jahrzehnts – braucht keine zusätzliche Aufregung. Doch ein Freitagabend im Principality Stadium in Cardiff tut sicher sein Übriges. Als Außenseiter unter den großen britischen Stadien liegt der Veranstaltungsort mitten im Zentrum der walisischen Hauptstadt, nur fünf Gehminuten vom Bahnhof entfernt, umgeben von unzähligen Pubs und Bars.
Euphorie in der Stadt: Cardiff im Oasis-Fieber
„Cardiff bebt schon jetzt!“, heißt es über 24 Stunden vor dem Gig. Und in den geschäftigen Straßen rund ums Stadion gibt es Merch-Stände, Wandbilder komplett aus Fischerhüten und mehr. Es fühlt sich eher an wie der Finaltag des FA Cups als ein Konzert. So ausgelassen und überschäumend ist die Atmosphäre in der Stadt. Im Inneren hilft auch das schließbare Stadiondach, das den Gig heute Abend eher wie ein intimeres Arena-Konzert wirken lässt als eine Stadionshow.
All das führt zu einer dichten, leidenschaftlichen Energie im Stadion, als Oasis kurz nach 20 Uhr die Bühne betreten und mit dem Opener von (What’s the Story) Morning Glory loslegen. Fragen zur Setlist, zur Bandbesetzung (Zak Starkey ist leider nicht dabei, nachdem er dieses Jahr mehrfach bei The Who rausgeworfen wurde), zu dubiosen Handyaufnahmen von Proben in Londoner Lagerhallen und mehr schwirrten vor dem Tourauftakt umher. Doch all das wird bedeutungslos, sobald die ohrenbetäubenden Mitsingchöre einsetzen.
Hit auf Hit: ein Arsenal für die Ewigkeit
Die Band klingt, um Liams Lieblingswort zu zitieren, einfach „biblisch“. Innerhalb von 30 Minuten haben wir „Acquiesce“, „Morning Glory“, „Supersonic“ und „Cigarettes & Alcohol“ mit voller Wucht erlebt. Dass Oasis über ein Arsenal an generationenprägenden Hits verfügen, ist kein Geheimnis. Doch wenn sie in solcher Schlagzahl serviert werden, ist das schlicht überwältigend und lässt über zwei Stunden lang nicht nach.
Ein überraschend intensiver Mitsingmoment kommt mit dem Mid-Set-Duo von Noel. „Half the World Away“ und „Little By Little“. Liam liefert „Slide Away“ und „Whatever“ mit mitreißender Energie. Für einen berührenden Moment sorgt das Trikot des gestern bei einem Autounfall verstorbenen Liverpool-Stürmers Diogo Jota, das während der letzten Takte von „Live Forever“ auf der Leinwand erscheint.
Ein würdiger Abschluss für 16 Jahre Zoff
Das größte Sitcom-Drama der britischen Musikgeschichte legte 2009 eine Pause ein. Passenderweise, als Noel die Band vor einem Gig beim Pariser Rock-en-Seine-Festival in einem Feuerwerk verließ. Die darauffolgenden 16 Jahre waren geprägt von Solo-Projekten, Wiedervereinigungsgerüchten und unterhaltsamem Schlagabtausch der Brüder. Seit der Tourankündigung spekulierten Fans, dass die Pressebilder der beiden nur Fotomontagen seien. Und dass Liam und Noel sich beim Deal nicht einmal persönlich getroffen hätten. Der Ticketvorverkauf löste eine globale Debatte über „Dynamic Pricing“ aus, die sogar von der britischen Regierung untersucht wurde. Dramatisch genug. Oder wie Liam vor dem finalen „Champagne Supernova“ sagt: „We’re hard work, I know.“
Musik über allem: Brüder vereint auf der Bühne
Verglichen mit dem Vorfeld verläuft das Konzert selbst weitgehend drama-frei. Die Hits sitzen perfekt. Die Band ist in Topform. Und die Brüder wirken angenehm desinteressiert. Liam übernimmt wieder den Part des Unruhestifters, fordert die Fans während „Cigarettes & Alcohol“ zum „Poznan“-Tanz seines geliebten Manchester City auf, während Noel den stoischen Sidekick mimt. Als wären sie nie weg gewesen.
Der symbolische Schulterschluss zu Beginn des Gigs wird von einem gewaltigen Jubel gekrönt, als sich die Brüder beim Abgang zögerlich umarmen. Meistens lassen sie jedoch die Musik sprechen. Und das fühlt sich genau richtig an. Zwischen all den Streitereien, Beady Eye und High Flying Birds, sind es diese Hymnen, die geblieben sind. Und die auch lange nach diesem legendären Cardiff-Abend weiterleben werden.