LIVING ON DEATH ROW

„Death Row wird weitermachen“, sagte Maxine Knight am 28. Februar unter Tränen, „und wenn ich selber die Führung übernehmen müßte.“ Die erboste Mutter von Marion Suge Knight, dem 31jährigen Chef von Death Row Records, gab eine improvisierte Pressekonferenz im 12. Stock des Obersten Gerichtshofs von L. A. Kurz vorher war ihr Sohn zu neun Jahren Haft verurteilt worden.

Die Strafe wegen Körperverletzung (Knight hatte ’92 in einem Studio in Hollywood zwei junge Rapper verprügelt) war ursprünglich zur Bewährung ausgesetzt gewesen. Aber im Herbst schwänzte Knight einen Drogentest, der zu seinen Auflagen gehörte; gleichzeitig wurde ein anderer Fall neu aufgerollt: Am 7. September, dem Abend, an dem die tödlichen Schüsse auf Death-Row-Rapper Tupac Shakur fielen, hatten die Uberwachungskameras des MGM Grand Hotels in Las Vegas festgehalten, wie ein halbes Dutzend Death-Row-Leute – darunter Shakur und Knight – einen Mann traten und schlugen. Das Opfer war Orlando Anderson, mutmaßliches Mitglied der Southside Crips, einer L. A.-Gang. Nach einem Gespräch mit Knights Anwälten sagte Anderson ¿zwar aus, Knight habe nicht getreten, sondern versucht zu schlichten; der Richter wollte dieser Variante jedoch nicht glauben.“Der Angeklagte wird zu neun Jahren im Staatsgefängnis verurteilt“, entschied er, und fugte, zu Knight gewandt, hinzu: „Sie haben’s vermasselt.“

Im Hause Death Row herrscht Panik. „Die flippen aus“, so ein Kommentar aus dem Umfeld, „da Knight nie einen Nachfolger etabliert hat.“ Zudem scheinen die geschilderten Vorfalle nur die Spitze eines Eisbergs krimineller Verstrickungen zu sein und die Gefängnisstrafe nur der Tiefpunkt eines ohnehin chaotischen Jahres für das Label, welches dank der Rap-Meilensteine Dr. Dres, Snoop Doggy Doggs oder Tupac Shakurs den Westcoast-Sound der Neunziger prägte. Snoop stand bis zu seinem Freispruch letzten Winter lange unter Mordverdacht; im Frühjahr verließ der Mitbegründer und kreative Kopf Dr. Dre das Label (oder wurde rausgeworfen, je nachdem, wen man fragt), weil er sich mit seinem einstigen Busenfreund Knight überworfen hatte; am 7. September geschah dann der Mord an Tupac.

Die trotzige Zuversicht von Mrs. Knight in allen Ehren, doch das Label steckt in einem finanziellen und rechtlichen Schlamassel, in dem es bald für immer versinken könnte. „Die einzige Frage ist die: Wer wird Death Row aus dem Verkehr ziehen?“, orakelt ein Insider, der zuletzt viel mit der Firma zu tun hatte. „Ich geb ihnen noch 120 Tage.“

Trotz ca. 26 Millionen verkaufter Platten in fünf Jahren scheint das Label nämlich offene Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können. – Oder zu wollen. „Eine Menge Leute warten auf ihr Geld“, sagt Jeff Scott, Anwalt von Johnny Lee Jackson, der 1996 für Death Row 14 Songs produziert und mitgeschrieben hat und angibt, man schulde ihm eine halbe bis eine Million Dollar. Auch die Mutter von Tupac Shakur klagte öffentlich, Death Row stünde noch mit mehreren Millionen in der Kreide. Doch Knight gab vor Gericht an, er habe Tupac 2,4 Millionen Dollar an Vorschuß gezahlt und kurz vor seinem Tod weitere 3 Millionen. „Ich bin doch kein Monster.“ Seine Schecks seien das Papier nicht wert gewesen, kontern hingegen Tupacs Anwälte.

Als würde das nicht reichen, hat Death Row auch noch eine Klage wegen Vertragsbruchs am Hals, Streitwert 125 Millionen Dollar: Rapper D.O.C, alias Tracy Curry, und Dick Griffey, Gründer von Solar Records (wo Knight seine ersten Meriten einheimste und wo 1992 mit „Deep Cover“ Dr. Dies wegweisendes Soundtrack-Album erschien), behaupten, bei Death Row mit im Boot gewesen zu sein, bevor Knight die beiden schaßte. Curry und Griffey fordern nun, daß ein neutraler Verwalter die Firma übernehmen und sicherstellen müsse, „daß Death Row nicht verschwindet – eine Möglichkeit, die bei dem Label absolut besteht“. (Bei Redaktionsschluß wurde Death Row von Norris Anderson, einem Schwager Knights, interimsweise gefuhrt.)

Aber es sind nicht in erster Linie finanzielle Probleme, die Death Row den Garaus machen könnten. Inzwischen ermittelt das FBI nämlich wegen einer ganzen Latte an Verdachtsmomenten: Geldwäscherei, Drogenhandel, die Verstrickung des Labels in Gang-Aktivitäten – es sind allerhand gruselige Geschichten im Umlauf. Knight war wohl schon zu Beginn seiner Musikbusiness -Karriere (nachdem er ’89 den Traum von einer Footballer-Lauf begraben hatte) nicht gerade als zimperlich bekannt. Als 1990 Vanilla Ice (alias Robert Van Winkle) einen kurzen Höhenflug hatte, floß auch Geld auf Knights Konto, der an sechs der Songs einen Teil der Rechte besaß. Leider nicht am Smash „Ice Ice Baby“, woraufhin eines Abends sechs Muskelpakete in Van Winkles Hotelsuite in Beverly Hills erschienen und ihm nahelegten, seine Co-Writing-Credits an Knights Schützling Mario Johnson abzutreten. Sagt Van Winkle; Knight bestreitet den Vorfall. Als er zwei Jahre später mit Dr. Dre Death Row gründete, war der noch unter Vertrag bei Ruthless Records. Einer gern erzählten Anekdote zufolge überredete Knight den Ruthless-Gründer und Ex-N.WA.-Rapper Eric „Eazy“ Wright, Dre gehen zu lassen – und argumentierte dabei primär mit bedrohlichen Bleirohren und Baseballschlägern.

Was die Gang-Aktivitäten anbelangt, so hat mindestens ein Death-Row-Angestellter gekündigt, weil er Angst hatte. „Wenn man ins Office von Death Row kommt, begegnet man stets diesem und jenem Vizepräsidenten“, sagt ein Branchenkenner, „aber das sind nicht die Leute, die die Fäden ziehen. Sondern es sind die Typen, mit denen sich Knight in irgendwelchen Limousinen bespricht Die stillen Teilhaber. So fuhrt er seine Geschäfte.“

Die Gang, mit der man Death Row in Verbindung bringt, sind die Bloods, erbitterte Feinde der Southside Crips, zu denen der geprügelte Anderson gehörte. Vielleicht wurdeauch Tupac ein Opfer des Bandenkriegs: Seine Ermordung könnte eine Warnung an Knight gewesen sein, mutmaßt die Polizei von Los Angeles, ein Hinweis, daß irgendeine seiner Aktionen „nicht hingenommen werde“. Die Fehden beschränken sich nicht nur auf L. A.: Knight gilt auch als Anheizer der andauernden Fehde zwischen Eastcoast- und Westcoast-Rappern. (Wobei wiederum eine Verbindung zwischen Crips und Ostküstlern besteht) Als Tupac Ende 1994 in New York erstmals Kugeln abbekam, beschuldigte er Pufly Combs, den Chef des New Yorker Labels Bad Boy, und dessen erfolgreichsten Rapper Notorious BXG“ bürgerlich Christopher Wallace, in das Attentat verwickelt zu sein. Combs und Knight sind sich schon seit Jahren nicht grün. Am 9. März ’97 wurde Wallace in L. A. aus einem Auto heraus erschossen. Der Fall ist ungeklärt, aber einen Racheakt für Tupac schließt man nicht aus.

Man verfolgt die Polizei-Untersuchungen nicht nur bei Death Row mit Unbehagen. Das Label ist im Vertrieb von Interscope, dessen Mutterfirma Universal wiederum zur Hälfte Seagram gehört Seagram erwägt, für 350 Millionen Dollar auch die andere Hälfte zu erwerben; Death Rows kriminelle Verstrickungen könnten sich jedoch als imageschädigend erweisen. „Die Oberen bei Universal sind sauer“, berichtet ein Informant »Die fragen sich nun:, Wie ist’s möglich, daß Interscope nicht wußte, was da bei Death Row ablief?“

Gute Frage. Selbst die jüngste Verhandlung gegen Knight überschatteten Skandale, als sich herausstellte, daß Lawrence Longo, der Bezirksanwalt, der 1995 die für Knight vorteilhafte Bewährungsstrafe mit ausgehandelt hatte, wenig später seine Villa in Malibu an den Angeklagten vermietete – für 19 000 Dollar im Monat Und Longos Tochter, so wurde berichtet, bekam einen mit 50 000 Dollar dotierten Plattenvertrag – bei Death Row.

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