London, Malmö, Tokio: In den Metropolen des „Leichten Hörens“ sind ST. ETIENNE zu Hause

Nein, man sollte so was nicht tun: Eine Band zu zwingen, bereits beim Frühstück ein Interview zu geben – das verletzt eigentlich die Menschenrechte. St Etienne nehmen’s gelassen. Wer kann sich auch schon aufregen, wenn er praktisch noch schläft?

Zudem ist St Etienne eine freundliche Band. Bob grinst verlegen – als schäme er sich dafür, daß er ohne Kaffee nicht klar denken kann. Pete versucht, aufgeräumt zu wirken, hat aber noch sichtliche Probleme mit der Feinmotorik. Nur die wunderschöne Sarah wirkt frisch wie der Morgentau. In aller Herrgottsfrühe über Musik zu plaudern ist für sie völlig normal.

Schließlich gibt es ja auch einiges zu bereden. Zwei Jahre war es ruhig um St Etienne zwei Jahre, in denen Britpop und Easy Listening zu weltweiten Trademarks avancierten. Schenkt man der britischen Musikpresse Glauben, dann stand der melodiöse Zauber von St Etienne gleich für beide Pate.

Zumindest in punkto Britpop will Sarah davon nichts wissen: „Wenn du heute in England einen Hit hast, nennen sie’s unweigerlich Britpop. Mehr steckt nicht dahinter“, sagt sie achselzuckend. Pete und Bob sind allein bei der Erwähnung des Wortes fast schon wieder eingeschlafen.

Mit der neuen Schule des Easy Listening verbindet St. Etienne weit mehr. Sie verfugen über beste Verbindungen nach Schweden und Japan – den beiden Ländern, wo dieser Sound besonders gepflegt wird. Man könnte geradezu von einer Easy-Listening-Connection sprechen: Malmö – London -Tokio. Übersetzt in Bands heißt das: Cardigans – St Etienne – Pizzicato Five. Das Dreigestirn des leichten Hörens. An allen drei Orten muß es spezifische Bedingungen dafür geben. Und St Etienne sind als vielreisende Briten die idealen Gesprächspartner für eine Ethnographie des Retro-Sounds.

Beginnen wir in Malmö. Gerade waren St Etienne in Schweden, um dort das neue Album „Good Humor“ aufzunehmen. Sie arbeiteten in den „Tambourine Studios“, wo sonst die Cardigans aufnehmen. Und sie genossen die Tatsache, daß es in Malmö so viel freundlicher zugeht als in London. „Die Leute dort sind unglaublich entspannt“, sagt Sarah. „Dort gibt es praktisch keine extremen Emotionen. Die Schweden leben nach dem Motto: ‚Nicht zu wenig, nicht zu viel‘.“ Jedenfalls steht das erste Ergebnis fest: Die Kraft des Malmö-Pop liegt in der Ruhe.

Und London? „Ein Schock“, sagt Sarah. „Es war entsetzlich, wieder dorthin zurückzukehren, in diese nervösen Vibrationen.“ St Etienne fühlen sich seit Jahren vom dortigen Label Creation schlecht behandelt „Sie wissen nicht, was sie an uns haben“, beklagt sich Sarah. Aber es gibt auch Freunde in London: Die drei Musiker sind eingebunden in ein weitverzweigtes Netz von Mitmusikern und DJs. Ihre Stücke sind mit elektronischer Musik kompatibel und wurden folglich x-mal geremixt Aber letztlich ist London als Stil-Hauptstadt Europas wohl per se eine ideale Brutstätte für eklektische Artefakte. Als kleine Hommage an den britischen Pop klingt das Schlagzeug auf dem neuen Album so wie das von Ringo Starr. „Wir haben lange gebastelt, bis wir den Sound hatten.“ So viel zu London.

Und Tokio? Alle drei verdrehen die Augen. „Wahnsinn.“ St Etienne waren dort und trafen ein unbeschreiblich enthusiastisches Publikum. Sarah definiert Tokio als „das exakte Gegenteil von Malmö“. Und warum kommt gerade von dort so schönem leichter, beschwingter Pop?

Allgemeines Schulterzucken. Tokio kann keiner ergründen. Und schon gar nicht beim Frühstück.

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