Lost Highway – Dass die Plattenfirma sie rauswarf, brachte Tift Merritt aus der Spur. In Paris fand sie wieder zu sich

Wunderbare Musik, Rave Reviews und Grammy-Nominierungen fallen kaum ins Gewicht, wenn Plattenrinnen Bilanz ziehen. Eine Erkenntnis, die Tift Merritt verbittert hat, wie sie freimütig zugibt, die ihr aber neue Perspektiven eröffnete, sie unabhängiger machte. Als ihr Label Lost Highway nach zwei Alben kein weiteres von ihr wollte, musste sie sich neu orientieren. „Wir befanden uns in einer Tretmühle, tourten ein Jahr lang, um ein Album zu promoten, gingen ins Studio und gleich back on the road. Nach der letzten Tour teilte man mir mit, nicht mehr mit mir zu planen. Ich drohte in ein Loch zu fallen, brauchte eine Auszeit, weit weg von allem.“

Und was wäre für einen in Texas geborenen, in North Carolina aufgewachsenen Country-Songbird in diesen Zeiten weiter weg als Frankreich? Tift googelte „Paris apartment and piano“, fand ebendas und war weg. Tauchte ab in der Fremde. Ging spazieren, schrieb Songs, fand Freunde. Darunter auch echte Franzosen? „Oh ja“, lacht sie, „ein paar. Nicht sofort. Die ersten Wochen genoss ich in anonymer Abgeschiedenheit, verließ zwar bisweilen das Haus, aber ohne Make-up, die Haare streng nach hinten gebunden, ohne irgendeinen Eindruck machen zu wollen. Kontakte knüpfte ich erst später. Sie mögen mich da, glaube ich. Weil ich ihre Sprache spreche, nicht fließend, aber recht gut. Ich hatte immer schon ein Faible für das Französische, und Paris ist einfach toll, so alt und kultiviert.“ Im übrigen hätten sich die Gespräche mit Einheimischen selten um Weltpolitik gedreht, mehr um Privates und natürlich um Musik. Amerikanische zumal, die sei in Paris ja omnipräsent.

„Another Country“ heißt Merritts drittes Album so doppelsinnig wie treffend, denn die mehrheitlich im alten Europa geschriebenen Lieder addieren sich dank feiner Instrumentierung, songdienlicher Arrangements und George Drakoulias‘ gewiefter Produktion tatsächlich zu einer anderen Art Country, leichter als „Bramble Rose“, leiser als „Tambourine“. Die Produktionsbedingungen seien halt auch andere gewesen, erklärt Merritt, sie habe die Sessions vorfinanziert, konnte nicht wie gewohnt aus dem Vollen schöpfen. „Einige Leistungen waren unbezahlte Freundschaftsdienste, trotzdem musste an allen Ecken und Enden gespart werden. Aus Kostengründen mussten wir diesmal sogar digital aufnehmen“, räumt Tift leicht zerknirscht ein, „leider“.

Die neuen Songs seien sehr persönlich, beinahe intim, sagt die inzwischen mit ihrem frisch angetrauten Gatten Zeke Hutchins, ihrem langjährigen Drummer, in New York City lebende Künstlerin. Selbst „My Heart Is Free“, ein Antikriegslied, argumentiere eher unpolitisch, betrachte das sinnlose Massaker aus Sicht eines toten Soldaten. Den letzten Track titels „Mille Tendresses“ entbietet Tift en franedis.

Das Gefühl, den Boden unter den Füßen weggezogen zu bekommen, hat Tift Merritt veranlasst, sich neben der Musik ein weiteres Standbein zuzulegen. Seit Januar moderiert sie eine Radio-Show, die durchaus programmatisch „The Spark“ heißt, und in der sie Gespräche führt mit „hochinteressanten Leuten“. Wie mit dem Schriftsteller Nick Hornby oder mit der Bluegrass-Band Nickel Creek. „Die meisten Interviewer verbeugen sich zu tief, behandeln Künstler, als wären sie Genies. Das ist falsch und fade. In meiner Sendung geht es um Hintergründe, um ehrlichen Gedankenaustausch. Von dem ich ebenso profitiere wie hoffentlich meine Hörer. Es wird deutlich, wie sehr diese Berühmtheiten zu kämpfen haben, wie unsicher sie sind, wie widersprüchlich, wie verletzlich. Das inspiriert mich, denn ich weiß, dass es in mir ähnlich aussieht. Das Leben ist für keinen leicht, du musst tapfer sein.“

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