Lyrische Heimat-Verteidigung

In düsterer Zeit besinnen sich die USA auf das gemeinsame Erbe und musikalische Americana

Dylan war auch hier der Erste, als er mit The Band die „Basement Tapes“ aufnahm und sich auf „John Wesley Harding“ den alten Schnurren und Mythen, den Legenden und religiösen Gleichnissen der Heimat widmete. Die „Anthology Of American Folk Music“ ist die Bibel solcher Apokryphen und Weisen, die mit „Folk“ sehr weitläufig umschrieben sind. „Americana“, ein noch weiterer Begriff, etablierte sich erst in den 90er Jahren mit dem sogenannten „Alternative Country“, als eine junge Generation nach den Wurzeln forschte und eben nicht bloß „Country-Rock“ spielte. „Music From Big Pink“ von The Band war 1968 das Album, das von George Harrison bis Billy Joel alle beeindruckte und das eine Zurück-aufs-Land-Besinnung auslöste, noch verstärkt von Woodstock (von dem Ort und dem Festival), ohne dass sofort viele große Platten dabei entstanden wären. Aber die Westcoast-Songschreiber mit ihrer Suche nach Innerlichkeit und der Verbundenheit mit der Landschaft profitierten von der Bodenständigkeit, die der Psychedelia so krass zuwiderlief.

In düsterer Zeit tröstet sich der Amerikaner mit dem Unabweisbaren. Johnny Cash wird heute höher geschätzt als je zu Lebzeiten, jeder Ton wird auf CD und DVD wieder oder erstmals veröffentlicht, auch die nicht fertiggestellten Songs auf „A Hundred Highways“. Die Platte erreichte in den USA in der ersten Verkaufswoche Platz i, ebenso wie eine Weile später Bob Dylans „Modern Times“. Offenkundig ist hier Nostalgie am Werk und die Sehnsucht nach großer Vergangenheit, wie man sie sogar bei George Clooneys Film „Good Night, And Good Luck“, in dem er ein paar aufrechte Fernsehjournalisten im Kampf gegen Joe McCarthy zeigt, bemerken kann.

Schwarzweiß oder sepiafarben sind diese Selbstvergewisserungen einer Nation – und am konsequentesten hat sich Bruce Springsteen zurückgewandt, der mit einer eigens zusammengestellten Truppe amerikanische Lieder spielt, die manchmal 150 Jahre alt sind. Pete Seeger hat einige davon popularisiert, aber von ihrer Kraft wusste der Folk-Altvater wenig. Springsteen deutet die Stücke nicht nur nach seinem Gusto um, er bringt ein Fernsehstudio samt Conan O’Brien dazu, „Pay Me My Money Down“ zu singen und zu schunkeln. Die Lieder entfalten jenen Zauber eines durch die Historie beglaubigten Pathos, das in Springsteen natürlich den perfekten Fahrensmann findet.

Nicht erst seit diesem Jahr sind es Jüngere wie Bonnie „Prince“ Billy, Joanna Newsom, The Court And Spark, Drive-By Truckers und Sufjan Stevens mit seinem Bundesstaaten-Projekt, die kenntnisreich die Fackel weitertragen. Der Engländer Elvis Costello musiziert mit dem Soul-Mann Allen Toussaint vor dem Hintergrund des wüsten New Orleans und ruft dessen wunderbare Songs in Erinnerung. Und sogar Neil Youngs Pamphlet „Living With War“ endet nach Gitarren-Radau und Sprechtüten-Slogans mit „America The Beautiful“. Als könnte nach dem Ruf zu den Waffen das gemeinsame Erbe, der Appell an Bürgersinn und common sense, die Wunden wieder heilen.

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