Manic Street Preachers: Am Anfang war das Wort

Zunächst hatten sie nur Textfragmente ihres für tot erklärten Gitarristen Richey Edwards. Daraus bastelten die Manic Street Preachers nun ihr mutiges Album "„Journal For Plague Lovers" - ohne Single-Release!

14 Jahre ist es her, seit Richey James Edwards, Texter und Aushängeschild der Manie Street Preachers, spurlos verschwand. Nachdem ihn seine Familie im November 2008 offiziell für tot erklären ließ, setzen ihm seine Bandkollegen mit einem Album, das ausschließlich auf Edwards‘ Texten basiert ein musikalisches Denkmal. SOUNDS sprach mit Sänger/Gitarrist James Dean Bradfield und Bassist Nicky Wire.

Wann habt ihr zum ersten Mal darüber nachgedacht, die Lyrics von Richey zu benutzen?

Wire: „Wir waren mit unserem letzten Album „„Send Away The Tigers“ zwei Jahre auf Tour. Im Auto drehte sich James irgendwann zu mir um und sagte nur: „„Ich glaube, jetzt ist die richtige Zeit.“ Ich war zuerst total geschockt. Bis dahin hatte ich Angst, mich intensiv mit den Texten, die Richey mir vor seinem Verschwinden gegeben hat, zu beschäftigen. Aber dann überwand ich mich und realisierte, wie brillant sie waren und wie sehr ich ihn als Dichter und Denker vermisste.“

Hattet ihr dabei eine besondere Herangehensweise?

W: „Es fühlte sich weniger an, als ob eine Rockband ein Album aufnimmt, es war eher ein richtiges Kunstprojekt. Dabei ging es nicht um Hit-Singles. Wir versuchten einfach, die beste Musik zu seinen Gedanken und Worten zu liefern.“

Bradfield: „Bei uns inspirieren generell die Songtexte die Musik. Die handwerkliche Methodik blieb also dieselbe. Ich habe mir in dieser Zeit sehr oft „Mermaid Avenue“ von Wilco und Billy Bragg angehört. Es hatte zwar keinen musikalischen Einfluss, aber dasselbe Albumkonzept. Es machte mir klar, dass man sich instinktiv von den Lyrics fuhren lassen sollte.“

Wie entsteht bei den Manic Street Preachers ein Song?

B: „In Isolation. Sei es eine Strophe, ein Refrain oder ein ganzer Track – bei uns schreibt jeder für sich. Ich kann mich an keinen Song erinnern, der bei einer Jam-Session entstand.“

W: „Diese Art zu schreiben macht die Musik sehr vielfältig. Bei mir ist alles sehr geradlinig, mit einfachen Akkorden, James dagegen schreibt sehr komplexe Musik. Sean, der in der Vergangenheit viele Songs geschrieben hat, fügte diesmal vor allem kleine Details hinzu.“

Habt ihr beim Komponieren und im Aufnahmeprozess daran gedacht, was Richey von den Songs halten würde?

W: „Wir haben versucht, auf einen Stereotyp an Songs, die er mochte, zurückzugreifen. Die Aggression und Energie eines Stücks wie „Peeled Apples“ hätte er auf jeden Fall gemocht.“

B: „Und es gab auch Momente, in denen er uns eingeholt hat. Als ich „„Doors Closing Slowly“ eingesungen habe, ist es mir eiskalt den Rücken hinuntergelaufen. Ich denke, dass auch das Singen von „William’s „Last Words“ sehr emotional für Nicky war.

W: „Das stimmt! Aber generell wollten wir sehr fokussiert vorgehen und Gefühle ausklammern.“

Das hört sich sehr rational an…

Wire: „Die Emotionen waren die ganze Zeit da, aber wir haben sie erst ganz am Schluss an uns heran gelassen. Als wir die fertigen Songs hörten, haben uns die Tiefe und Ehrlichkeit, die sie vermitteln, mit enormer Wucht getroffen.“

Hattet ihr auch altes Songmaterial aus der Zeit mit Richey?

B: „Nein, alles wurde neu komponiert. Ich saß vor den Texten und hoffte darauf, dass mir innerhalb der nächsten fünf Minuten etwas Gutes einfällt. War das nicht der Fall, habe ich alles weggepackt und es später noch mal versucht.“

W: „Dieses Album ist wie eine Zeitmaschine. Ich finde, dass wir so sehr nach Nirvana klingen wie noch nie zuvor.“

B: „Es ist alles absolut prä-digital. Als Richey die Lyrics schrieb, hatte er weder ein Handy noch ein Laptop. Das wollten wir auch durch den Sound ausdrücken und nahmen im Studio nur analog auf Tape auf.“

Wie war die Zusammenarbeit mit Produzent Steve Albini?

B: „Für ihn sehr ungewöhnlich, weil er keinen musikalischen Einfluss nehmen konnte. Viele Produzenten schreiben Songs um oder mischen sich in die Lyrics ein. In diesem Fall sollte keiner Richeys Texte verschandeln, und wir waren uns auch mit den Arrangements absolut sicher. Steve hat sich darauf eingelassen, „nur“ für den Sound verantwortlich zu sein.“

Ihr habt angekündigt, dass es bei diesem Album keine Single-Auskopplungen geben wird. Glaubt ihr generell nicht mehr an das Medium „„Single“?

B: „Nein, ich finde die Kunstform „„Single“ auf jeden Fall gut und würde uns eigentlich auch als Singles-Band bezeichnen. Aber „„Journal For Plague Lovers“ sollte für sich stehen, ohne jeglichen Extra-Anschub eines einzelnen Hits.“

W: Dieses Album ist für mich sehr old-fashioned, wie eines aus den Siebzigern. Nach dem Motto: Hier sind die Songs, hoffen wir auf das Beste. Ich glaube, unsere Plattenfirma muss immer noch verdauen, dass es keine Single-Auskopplung gibt und damit kein Video, keine Airplays, keine B-Sides…“

Was glaubt ihr, wie wird man in Zukunft Musik hören?

W: „Das kommt auf jeden Einzelnen an. Mir gefällt die Idee, dass etwas real existiert, man das Artwork in den Händen halten und die Lyrics im Booklet lesen kann. Wenn man damit nicht aufgewachsen ist, ist es absolut nachvollziehbar, dass man darauf keinen großen Wert legt.“

B: „Es soll jetzt nicht nach musikalischem Snobismus klingen: Aber ich hoffe, dass auch die jüngere Generation den Wert eines Albums in physischer Form wieder erkennen wird, weil man so einfach viel tiefer in die Musik eintauchen kann.“

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