Martin Phillipps‘ allerletzter Versuch – mit der 18. Besetzung von The Chills

Wieviele Besetzungen von The Chills es gegeben hat? Eine schwierige Frage. Warte mal einen Augenblick.“ Martin Phillipps kramt sein Notebook aus dem Koffer und klickt sich in die Geschichte der Band, der er seit 15 Jahren vorsteht. Und es dauert eine Weile, bis er alle Etappen auf der Anzeigentafel des elektronischen Notizbuchs durchgezappt hat. „Zur Zeit müßten wir uns in Phase 17 befinden. Nein, warte mal. Phase 18. Ich hatte die jüngste Formation, mit der ich gerade auf Tournee bin, noch gar nicht mitgerechnet.“ So was kommt vor, wenn schon 50 Leute in deiner Band mitgespielt haben und das letzte Outfit erst eine Woche vor Tourneebeginn zusammengestellt wurde. Jetzt sitzt der Neuseeländer in einem Amsterdamer Hotelzimmer und versucht Ordnung in die Geschichte der Chills zu bringen – eine Geschichte, ebenso tragisch wie unübersichtlich.

Wie war das zum Beispiel vor vier Jahren mit dem Rausschmiß bei Slash Records? The Chills hatten damals „Saft Bomb“, ihr bizarr arrangiertes Opus magnum, herausgebracht. „Die Firma vertrat folgende Politik: Alle Bands, die hinter einer bestimmten Verkaufserwartung zurückblieben, wurden gedroppt. Die Grenze lag bei 50 000. Außerdem haben wird das schlechteste Konzert unserer Karriere gegeben – in Los Angeles, wo alle Mitarbeiter der Plattenfirma anwesend waren.“ Der Rausschmiß fand während einer Welttournee statt. Slash stellte die finanzielle Unterstützung ein; Phillipps nahm einen Kredit auf, um weiterzumachen. So kehrte er Ende 1992 hochverschuldet nach Neuseeland zurück – ohne Band. Denn seiner Musiker ist er während dieser Odyssee natürlich auch mal wieder verlustig gegangen. „Ich bin jetzt 32, eine Chance gebe ich den Chills und der Pop-Musik noch“, sagt Phillipps. „Aber ehrlich, es gibt andere Dinge im Leben. Ich werde nicht auf den Knien durch die Clubs dieser Welt robben.“

Unerwartete Worte für jemanden wie Phillipps. Gestern noch stand er auf der Bühne des Melk weg-Clubs. Es ist immer wieder erstaunlich mitanzusehen, wie dieser leise Mensch auf der Bühne als mächtiger Entertainer agiert. Alte Hits? Wenn es ihm gerade in den Kram paßt. „Pink Frost“? Jep. „Doledrums“? Nö. Außerdem sollte es hier ja auch um die Präsentation des neuen Albums „Sunburnt“ gehen.

Während des Konzerts fragt Phillipps, ob jemand aus Neuseeland stamme. Eine Frau meldet sich, ihr widmet er ein neues Stück, das als Titel den Imperativ „Come Home“ trägt. „Viele junge Leute verlassen das Land, weil es hier nur wenige Möglichkeiten gibt“, erklärt er. „Das ist richtig. Wir haben das auch getan. Aber es ist auch wichtig, Verantwortung zu übernehmen.“ Phillipps tritt schüchtern auf, in Wirklichkeit ist er die Selbstsicherheit in Person. Und ganz nebenbei: Pathos steht ihm gut. Zuerst sollte das neue Album „Shadow Songs“ heißen, doch das klang zu düster. Die dunklen Konnotationen aber bleiben. „Sunburnt“ spielt auf das Schicksal des begnadeten Songwriters an, der sich auf künstlerischen Höhenflügen verbrannt hat – aber noch nicht verglüht ist.

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