Miss Verstanden

Seit Jahren hält er sich die Journalisten vom Leibe. Dass er immer wieder auf die Stereotype des geilen alten Bockes reduziert wird, hat ihn im Laufe der Jahre zum medialen Eremiten gemacht, der die Playboy-Maske nur noch widerwillig aufsetzt. Zu dem 25-jährigen Rolling Stone-Schreiber WIL HYLTON aber fasste Hefner Vertrauen. Eineinhalb Jahre lang öffnete er ihm nicht nur die Türen des Playboy-Mansion, sondern legte auch eine Unsicherheit an den Tag, die so gar nicht zu seinem Image passen will.

MISS VERSTANDEN

Sein Haus ist fest so berühmt wie er selbst So berühmt, dass man es nicht einfach „Haus“ nennen kann. Selbst das Attribut „a mansion“, das sonst in Amerika gern auf die Heimstätten der mehr oder weniger Prominenten angewendet wird, reicht hier nicht aus. Nein, Hefners Domizil ist The Mansion, immer in Großbuchstaben, immer mit bestimmtem Artikel. Das war schon so, als Ende der 50er Jahre in Chicago die erste Hefner-Residenz gebaut wurde. Das blieb so, als Hefner Anfang der 70er in eine Trutzburg in den Hügeln über L. A. umzog. Und es wird immer so bleiben, ganz gleich, wohin es Hefner noch verschlägt, weil The Mansion kein Ort ist, sondern eine Idee, eine Auszeichnung, die den wenigen erfolgreichen Absolventen der Schule des Ruhms vorbehalten bleibt. Wer dorthin eingeladen wird, hat es in Hollywood geschafft.

Was erklärt, warum die Zusammenstellung der Gästeliste eine so heikle Angelegenheit ist. Mit jedem Namen stellt Hefher ein Zeugnis aus, die Bestätigung, dass sein Gast in die Gesellschaft der Jacks und Warrens und Clints gehört. Eine falsche Wahl – und sein legendärer Status könnte Schaden nehmen. Deshalb muss Hefner sein Ohr am Puls des amerikanischen Mainstream-Geschmacks haben, aber auch in der Lage sein vorherzusagen, wer sich langfristig halten wird.

Bei dieser schweren Aufgabe steht ihm seit 28 Jahren die energische Mary O’Connor zur Seite. Monate vor jedem Ereignis führt sie eine mentale Checkliste: Mr. X -ja. Mrs. Y – vielleicht. Der Typ, der neulich im Trendrestaurant über den Tisch gekotzt hat auf keinen FalL Dieses Jahr ist die reizende Thora Birch einer der Auserwählten. Man sieht sie bei Parties und Hefners privaten Filmvorführungen, sogar am Ostersonntag schlendert sie über den Rasen, ein Traum aus grünen Augen und Schmollmund, während um sie herum Kinder und Playmates im Gebüsch nach bunten Eiern suchen, Butler Tabletts mit ausgesuchten Gaumenfreunden herumreichen und er, der Gastgeber, mal wieder allein im oberen Stock sitzt, der einzige Stau der hier nicht glänzen mag. Hefher versteckt sich im Arbeitszimmer, wo er schreibt, liest und sein Lebenswerk Revue passieren lässt, in sicherer Entfernung von dem grässlichen Promi-Auftrieb, den er sich selbst aufgehalst hat Vergesst alles, was Ihr je über Hugh Marston Hefher gelesen habt Alles, was Ihr über diesen Mann zu wissen glaubt, ist ausgemachter Blödsinn. Warum ich das sagen kann? Weil ich ihn in den letzten anderthalb Jahren aus nächster Nähe unter die Lupe nehmen konnte. Während anderen Reporter in der Regel nicht mehr als eine Stunde Interview eingeräumt wird, war Hef für mich immer zu sprechen – aus Gründen, die mir selbst nicht so recht klar sind. Er warf seine Termine über den Haufen, damit ich einen kurzfristigen Besuch machen konnte, und beantwortete jede meiner Fragen. Dutzende Male ging ich durch seine heiligen Hallen, wurde zu Boxkämpfen und intimen Abendessen eingeladen. Ich war an Tagen dort, an denen es Hef nicht gut ging. Wir führten Gespräche über Geschichte, Politik und Religion. Einmal sah ich sogar, wie er ein Mädchen aufriss, aber darüber später mehr.

Als Gegenleistung für meine Ausflüge in seine Vergangenheit forderte Hef nur eines: dass ich anders über ihn schreibe als die Kollegen. „Die Mpisfpn Lnmmcn mir piner vorgefassten Meinung“, sagte er bei unserem ersten Treffen. „Die Story, die dann dabei rauskommt, ist zwangsläufig oberflächlich und hat mit meinem eigentlichen Ich wenig zu tun.“

Bevor ich Hefher begegnete, glaubte ich an das Bild, das üblicherweise von ihm gezeichnet wird – der lockere, liebenswürdige Junggeselle, der nichts anbrennen lässt und der allein durch seine Anwesenheit die Atmosphäre elektrisch auflädt. Für mich und meine Zeitgenossen war Hefher der ultimative Kontrast zu den sexuellen Phobien und Ängsten unserer Kultur – ein Typ, der den ganzen Tag am Pool herumliegt, Pina Coladas schlürft und hübsche Mädchen vögelt Und dann öffnete The Mansion zum ersten Mal ihre Pforten. Hinter ihnen war nichts zu sehen von den epikureischen Freuden, die man mir beschrieben hatte. Kaum hatte ich die Schwelle überschritten, winkte mich ein Angestellter in einen holzgetäfelten Raum mit einem Porträt von Hefner an der Wand, einem Backgammon-Tisch in der Ecke und einer derart düster-feierlichen Atmosphäre, dass ich mich einen Augenblick lang fragte, ob Hefher gestorben war. Doch dann kam er zur Tür herein, in schwarzen Pyjamas und roter Smokingjacke, definitiv lebendig, aber auch sehr nervös.

„Well, hi there“, stotterte er, streckte die Hand aus und grinste verlegen. Er setzte sich auf ein Sofa, stand aber sofort wieder auf und fragte mit unsicherer Stimme: „Kann ich dir eine Diät-Pepsi anbieten?“. Ich sagte, ja, danke schön. Er schlurfte zu einem Schrank, kramte eine Weile und kam mit einer Flasche zurück, die er mir in die Hand drückte. Dann zuckte er zusammen, ging wieder zum Schrank, kramte weiter und förderte ein Ideines Glas zutage. Eis habe er leider keins, erklärte er. Offensichdich war ihm das peinlich.

Wir fingen an zu reden. Nach ein paar Stunden entschuldigte er sich und ging nach oben, um seinen täglichen Teller Suppe zu essen. Weil seine Nervosität mich angesteckt hatte, ging ich in den Garten, um ein bisschen Luft zu schnappen. Plötzlich hörte ich hinter mir ein Geräusch. Ich drehte mich um und sah Hefher über den Rasen sprinten. Er hielt einen großen, roten Gegenstand in der Hand. „Wfll!“, schnaufte er.“Ich wollte…äh…bloß kurz—äh…“ Das große, rote Ding war ein Buch, betitelt Jnside die Playboy Mansion“. Er drückte es mir in die Hand und murmelte: „Ich dachte, dies hier könnte dir …äh…vielleicht nützlich sein.“

„Danke“, sagte ich und nahm das Buch. Als ich es aufklappte, sah ich, dass er etwas auf die erste Seite geschrieben hatte. „Für Will Hilton, der dieselben Träume hat Alles Gute, Hef.“ Während ich noch dastand und mich fragte, womit ich wohl die Widmung verdient haben könnte, lief Hef schon wieder ins Haus zurück, mit flatterndemjackett, schlabbernden Hosenbeinen und grauen Haaren, die in alle Himmelsrichtungen standen.

Um Hefs merkwürdiges Verhalten verstehen zu können, muss man etwas über die ersten 33 Jahre seines Lebens wissen – die Jahre, die er oft als „repressiv“ und „unbefriedigend“ bezeichnet.

In seiner Version der Geschichte waren es diese Jahre, die ihn dazu brachten, gegen den Puritanismus zu rebellieren. Tatsächlich war es eine stinknormale Zeit und Hefher damals ein durch und durch konventioneller Mensch. Geboren 1926 in eine Chicagoer Familie der oberen Mittelklasse und gesegnet mit einem IQ der Marke „Genie“, verbrachte er seine Teenager-Jahre mit all dem Kram, den man von einem künftigen Politiker erwarten würde. Er war Klassensprecher, spielte in der Theatergruppe und organisierte Schulbälle. Er tapezierte die Wände seines Zimmers mit Pin-ups und veranstaltete Kellerparties. Nachdem er 1944 die Schule mit Auszeichnung abgeschlossen hatte, wärmte Hugh (oder Hef, wie er sich nannte) zwei Jahre lang einen Schreibtischstuhl beim Militär. 1946 wurde er ehrenhaft entlassen, ging ans College und frönte dort den üblichen Klischees: Hauptfach Psychologie, Zuschauer bei fast jedem Football-Spiel, bis 22 keinerlei sexuelle Erfahrungen. Als Hef sein Examen machte, war er mit seiner Jugendliebe verlobt. Es wurde geheiratet, und das glückliche Paar bezog ein Zimmer in Hefs Elternhaus.

Hefs berufliche Laufbahn begann ebenso unspektakulär. Nach diversen oddjobs landete er bei der Zeitschrift „Esquire“, wo er Werbebriefe für die Abo-Abteilung verfasste. Ein öder Job, aber trotzdem wäre er wahrscheinlich dort geblieben, wäre „Esquire“ nicht 1951 nach New brk umgezogen. Hef blieb in Chicago zurück. 25 Jahre alt, verheiratet und arbeitslos, versuchte er sich als Cartoonist, und als auch das nicht funktionierte, fing er bei einer Firma namens PDC an, die Waffenjournale und girfie magazines verlegte. 1952 entschloss sich Hefner, eine eigene Zeitschrift zu gründen. Seine Frau erwartete ein Kind, es war an der Zeit, ernsthaft Geld zu verdienen. Zuerst sollte es ein ganz normales Chicago-Magazin werden, aber dafür fand er keine Geldgeber. Als nächstes dachte er an eine Fachzeitschrift für Cartoonisten, und ab auch das keinen großen Anklang fand, kehrte er für eine Weile ans Zeichenbrett zurück. Dann erinnerte er sich an den kommerziellen Erfolg von PDC und unterzog seine moralischen Grundsätze einer Revision. In einem Brief an einen potenziellen Finanzier erklärte er: „Sex ist eine todsichere Sache, und die ersten Ausgaben meines Magazins werden davon

reichlich enthalten. Das Argument zog, und 1953 machte sich Hef mit 6 000 geliehenen Dollars an die Arbeit Die erste Nummer des „Playboy“ war unoriginell und ließ keine Richtung erkennen. Weil Hefher das Geld ausging, hatte er die meisten Artikel und Fotos aus anderen Publikationen übernommen und fast alle Cartoons selbst gezeichnet. Das einzig Bemerkenswerte war ein Nacktfoto von Marilyn Monroe, das keine andere Zeitschrift hatte drucken wollen. Doch dieses eine Foto genügte, um die erste, im Dezember ’53 erschienene Ausgabe resdos an den Mann zu bringen. Eine zweite Nummer folgte, dann eine dritte, und schon bald brachte Hefners „fragwürdiges Unternehmen“ genug ein, um sein erstes Kind Christie zu ernähren.

Doch während der „Playboy“ bald als frech und provokant galt, blieb sein geistiger Vater ein Spießer. Spontaneität, Abenteuer, sexuelle Freizügigkeit und guter Geschmack – das war der Lebensstil, für den der „Playboy“ warb. Hef hers Leben war das genaue Gegenteil. Als Herausgeber, Verleger, Redakteur, Layouter und Cartoonist hatte er kaum Zeit, sich den im „Playboy“ beschriebenen Phantasien hinzugeben. Stattdessen arbeitete er wie ein Pferd.

„Es waren gute Jahre“, reflektiert er heute. „Obwohl die Zeitschrift amateurhaft gemacht wurde, war es befriedigend, hart zu arbeiten und Ergebnisse zu sehen.“ Dass sein Magazin nichts mit seinem eigenen Leben zu tun hatte, war Hef her egaL An meinem ersten Abend in The Mansion lernte ich einige Stammgäste kennen – alte Freunde von Hef, Fernsehstars der 60er Jahre, die allesamt ehemalige Playmates geheiratet hatten. Auf ihre Einladung hin blieb ich eine ganze Woche. Tagsüber wurde geschlafen, nachts gefeiert. Als ich am Wochenende endlich nach Hause fuhr, konnte ich die plötzliche Ereignislosigkeit kaum ertragen und kehrte für eine weitere Woche zurück. Doch je mehr Zeit ich mit Hef verbrachte, je öfter ich mit seinen Freunden über ihn sprach, desto rätselhafter wurde er mir. Offensichtlich war nur, dass er irgendwo tief drinnen unzufrieden war mit dem Leben, das er für sich gewählt hatte. Einmal sah ich, wie er sich auf einer Party aus der Menge entfernte und still in einem leeren Zimmer stand, nach Atem rang und den Kopf schüttelte. Manchmal hörte er bei einem Dinner einfach auf zu essen und ging nach oben, um sich hinzulegen. Doch das Seltsamste war, dass die Menschen um ihn herum all das nicht zu registrieren schienen. Ein paar seiner ältesten Freunde machten mitunter dunkle Andeutungen. Eines Abends saßen wir im Garten und rauchten einen riesigen Joint, als einer von ihnen sagte: „Er ist sein Leben lang missverstanden worden. Das treibt ihn zum Wahnsinn.“ Bei einer anderen Gelegenheit zog mich ein bekannter Schauspieler zur Seite und gestand, Hef sei der moralischste Mann, dem er je begegnet sei. Und an einem dritten Abend unterhielt ich mich mit einem Playmate namens Julie darüber, was mit The Mansion passieren würde, sollte Hefeines Tages nicht mehr da sein, als sie plötzlich zu weinen anfing. „Weißt du“, meinte sie, mit einer Handbewegung zu der Menge hin, „in ihm steckt viel mehr als all das.“

Womit wir zu der Zeit kommen, in der sich Hefher in einen Playboy verwandelte, und in der „all das“ Wirklichkeit wurde. Es war 1959, Hef war 33 Jahre alt, immer noch verheiratet, immer noch schlecht gekleidet, immer noch völlig überarbeitet und nicht mehr übermäßig zufrieden. Der „Playboy“ erschien mittlerweile im siebten Jahr, und in der amerikanischen Öffentlichkeit wurde heftig darüber gestritten, wofür die Zeitschrift eigentlich stand. Der „Playboy“ reduziere Männer auf ihre Geschlechtsteile, hieß es. Hefher degradiere Frauen zu Objekten. Wieder andere bezichtigten Hefner der Kumpanei mit den Kommunisten und verglichen ihn sogar mit dem Teufel. Wer könnte angesichts solcher Beschuldigungen gelassen bleiben? Hefner blieb es jedenfalls nicht. Sicher, er hatte den „Playboy“ ins Leben gerufen, um Geld zu verdienen, und sich anfangs wegen des Inhalts wenig Gedanken gemacht Politische und moralische Themen hatten ihn nicht interessiert, was zählte, war der Unterhaltungswert. Doch als der „Playboy“ sein erstes halbes Jahrzehnt hinter sich hatte, begann Hefners moralischer Kompass auszuschlagen. Entgegen aller geschäftlichen Vernunft begann er, hin und wieder eine Prise Politik zuzulassen. Doch zu seinem Ärger schien das niemanden zu interessieren. Hefher versuchte mit aller Macht, dem „Playboy“ ein Gewissen zu verschaffen, und keinen kümmerte es. „Es war nicht meine Absicht, ein Sexmagazin zu machen“, erklärt er heute, schrill und verzweifelt. „Playboy‘ sollte ein Männermagazin sein, in dem alle Themen behandelt werden, die Männer interessieren – und Sex ist nun mal das, was Männer am meisten interessiert Deshalb haben wir versucht, den Sex in einen Kontext zu stellen – einen Kontext, zu dem auch guter, gewissenhafter Journalismus gehört“

Anfang der 60er war Hefher völlig frustriert. Er wollte, dass man seine Zeitschrift ernst nahm, aber den Sex nicht auf dem Altar der moralischen Unanfechtbarkeit opfern. Waren Sex und Geist nicht die aufregendsten Dinge im Leben?Jetzt, mit 33 Jahren, war Hefher endlich bereit, die gesellschaftlichen Regeln in Frage zu stellen. Er wollte zeigen, dass Sex und Anstand sich nicht gegenseitig ausschlössen – dass auch intelligente Männer Spaß am Sex hatten. Und er beschloss, diese These ließe sich am

besten beweisen, indem man sie öffentlich vorlebte.

An diesem Punkt traf Hefner die wichtigste Entscheidung seines Lebens. Er beschloss, sein eigenes Maskottchen zu werden. Die graue Eminenz des „Playboy“ würde sich nicht länger hinter ihrem Schreibtisch verstecken. Er würde der Prototyp einer neuen Synthese aus Sex und Moral werden, ein öffentliches Gesicht, ein Mann, dessen Sexualleben nichts zu wünschen übrig ließ und der gleichzeitig echte politische Ideale vertrat. Er würde Orgien veranstalten, aber auch Spenden für wohltätige Zwecke sammeln. Er würde für Menschenrechte und Emanzipation ebenso eintreten wie für das Recht auf Sex. Er würde für das Ende des nuklearen Rüstungswahnsinns kämpfen, aber auch für das Ende der Anti-Sodomie-Gesetze.

Hefher begann, in seiner Phantasie das Bild dieses perfekten Mannes zu entwerfen, den er „Mr. Playboy“ nannte. Eigentlich war dieses Ideal nichts anderes als eine verfeinerte „Version der Filmhelden, die Hefher als Kind angebetet hatte. Doch so vertraut ihm dieser Mann auch war, so genau wusste er auch, dass er keinerlei Ähnlichkeit mit ihm hatte. Hefhers Anzüge waren eine Katastrophe, in Gesellschaft fühlte er sich unwohl, und ein exotisches Leben führte er auch nicht. Kurzum, es war Zeit, einiges zu ändern.

Hefners Metamorphose begann im Dezember ’59. Als erstes nahm er einen dicken Kredit auf und kaufte einen Palast an Chicagos „Gold Coast“. Er ließ das Haus für eine Million Dollar umbauen, installierte ein Hallenbad, ein privates Kino und eine Unterwasser-Bar, an der die Gäste nackt herumschwimmenden Playmates zuschauen konnten. Für sich selbst erstand er eine Smokingjacke aus rotem Samt. Und weil er dachte, zu so einer Jacke würde eine handgeschnitzte Pfeife gut aussehen, kaufte er auch eine Pfeife dazu.

Um Mr. Playboy der Öffentlichkeit vorzustellen, finanzierte Hef seine eigene Fernsehsendung, „Playboy’s Penthouse“, bei der er selbst als Gastgeber fungierte. Zwischen den Auftritten von Komikern und Jazzrock-Bands diskutierten Hef und seine Gäste über Menschenrechte, Ökologie und, natürlich, sexuelle Unterdrückung. Die Idee war nicht schlecht, aber Hefher war leider von Anfang an der denkbar ungeeignetste Mann dafür. Trotz guter Absichten ließ seine soziale Kompetenz deutlich zu wünschen übrig, und dieser Eindruck verstärkte sich vor der Kamera noch: Hefher stolperte nervös durch die Kulissen, hielt sich an seiner Pfeife fest und blieb seinen Gästen (und Zuschauern) die erhofften geistreichen Bemerkungen schuldig. Nach den ersten Sendungen rieten ihm seine Freunde, den Job einem Profi zu überlassen, doch Hefher weigerte sich. Er war fest entschlossen, die Rolle des Mr. Playboy weiterzuspielen. Er hatte ein kleines Vermögen in seine neue Identität investiert und sich bis Ende 1960 mit all den Accessoires umgeben, die zu einem Leben als sninging bachelor gehören. Was er natürlich weiterhin nicht war. „Es waren nur Requisiten“, erklärt er in einem seltenen Moment der Offenheit. „Ich war bereit, das Leben zu leben, für das der ,Playboy‘ warb.“

Tagsüber ist Hefhers Märchenschloss kalt und leer. Mit seinen Steinmauern und dem riesigen holzgetäfelten Foyer wirkt es nicht wie eine luxuriöse Spielwiese, sondern wie das Traumhaus eines pensionierten Buchhalters. Die mit Samt tapezierten Toiletten sind so antiseptisch sauber, dass man sie kaum mit ihrem eigentlich Zweck in Verbindung bringt Selbst im oberen Stockwerk, dem semiprivaten Bereich, gibt es nichts als gestärkte Laken und perfekt zum restlichen Interieur passende Frisiertische mit leeren Schubladen. Alles ist von einer sterilen, makellosen Schönheit, die einem die Luft zum Atmen nimmt Doch dann kommt die Nacht, und The Mansion verwandelt sich. Explodiert Macht dieselbe Metamorphose durch wie der Herr des Hauses. Limousinen fahren vor. Discomusik plätschert durch die Flure. Kulinarische Köstlichkeiten bedecken jeden Quadratzentimeter Marmor. Und dann treffen die Stars ein. Jeff Goldblum lehnt an der Bar, Kevin Costner wippt mit dem Kopf, immer ein bisschen neben dem Takt. Tori Spelling und Ciaire Danes beäugen sich misstrauisch. Ice T wartet geduldig vor der Toilette. Tagsüber mag es Hugh Hefner sein, der über die kalte Eleganz dieses Hauses herrscht, doch bei Nacht ist es definitiv das Reich von Mr. Playboy, ein Ort der Träume und Exzesse. Und die meiste Zeit fehlt eigentlich nur eins – Mr. Playboy selbst Eines Nachts, vor etwa einem Jahr, während der Trubel in vollem Gange war, hockte ich mit einem Gin an der Gartenbar, betrachtete Pamela Andersons wundersam geschrumpfte Oberweite und staunte über das grandiose Ausmaß meines Rausches. Ich war am Ende, völlig zugedröhnt – ein Freund hatte mir zum Einstieg einen hochdosierten Kräuterkeks angedient, ein Mädchen ein paar Joints zugesteckt, und Hef sorgte für einen unerschöpflichen Vorrat an Alkoholika aller Art Ich hatte stundenlang geschluckt und geraucht und getanzt und nackt gebadet, und jetzt hing ich an der Bar, starrte auf den Punkt, wo das achte Weltwunder eben noch gestanden hatte, und konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass in einem Jahrtausende währenden Kampf die Guten endlich gesiegt hatten.

Aus dem Augenwinkel sah ich Hef heranschlurfen, in seinem Pyjama, das Haar zerzaust, und mit jedem Zentimeter, den er sich durch die plappernde Prominenz schob, wurde deutlicher, dass er sich in meine Richtung bewegte. Sfenig später stand er neben mir und – soweit ich das durch den Nebel erkennen konnte – schenkte er mir ein Lächeln. Im gleichen Moment schlich

sich eine junge Blondine an ihn heran. Ich hatte sie noch nie gesehen, wusste aber, dass sie keine seiner offiziellen Freundinnen war. Sie würdigte mich keines Blickes, legte ihren Arm um seine Hüfte und flüsterte etwas in sein Ohr. Er grinste, flüsterte etwas zurück und wandte sich wieder mir zu. Offensichtlich wollte er sich verabschieden.

„Wir gehen nach oben“, sagte er und hob sein Glas zu einem Toast. Ich nickte, unterdrückte gerade noch einen Rülpser und schaffte es unter großen Mühen, mein Glas ebenfalls zu erheben. Die beiden gingen bereits in Richtung Haus, als Hef sich noch einmal umdrehte und mir schüchtern zulächelte. Dann sagte er laut, mit typischer Ironie: „Weißt du, ich bin immer auf der Suche nach verlorenen Schäfchen.“

Hef kam in dieser Nacht nicht mehr herunter, obwohl die Party bis zum Morgengrauen weiterging. Vielleicht hat er die Kleine flachgelegt und ist danach eingeschlafen, doch ich möchte fast wetten, dass es etwas anderes war. Weil ich ihn von zu vielen Parties habe wegschleichen sehen, als dass das tatsächlich ein Zufall hätte sein können.

Wie seine Parties ist auch Hefhers Image immer ein öffentliches Statement gewesen. Seine Verwandlung zu Mr. Playboy diente trotz des Werbewertes für seine Zeitschrift niemals nur dem eigenen Interesse. Sie war auch ein Versuch, Amerikas Einstellung zur Sexualität zu verändern und der sexuellen Freizügigkeit das moralische Stigma zu nehmen. „Was mich vor allem beschäftigte“, sagt er, „war die Tatsache, dass wir sexuelle Moralität völlig anders definieren ab andere Formen der Moralität. Normalerweise ist das moralisch wertvoll, was der Gesellschaft nützt. Beim Sex ist das anders. Die Kirche hat durch ihr ,Du sollst nicht‘ die Verstellung zementiert, Sex dürfe nur der Fortpflanzung dienen, was ziemliche Heuchelei ist, wenn man die natürlichen sexuellen Bedürfnisse des Menschen betrachtet.“

Mr. Playboy war jedoch nur der erste Schritt, diese Ideen in die Öffentlichkeit zu tragen. „Ich verspürte das Bedürfnis, mich hinzusetzen und das zu Papier zu bringen, woran ich glaube nämlich dass sexuelle Repression auf unsere Gesellschaft wie ein Krebsgeschwür wirkt Wenn wir unsere sexuellen Instinkte verleugnen, uns dieser Instinkte schämen, untergraben wir damit das Fundament unserer Zivilisation.“

Hefhers Thesen zu Repression und Selbstverleugnung waren stark beeinflusst von der bahnbrechenden Untersuchung über die menschliche Sexualität, die Alfred Kinsey in den 40er Jahren durchgeführt hatte. Für Hefher, der schließlich Psychologie studiert hatte, konnten Kinseys Ergebnisse nur eines bedeuten: dass die meisten Amerikaner in einem destruktiven Zustand der Selbstverleugnung lebten. Er war überzeugt, dass eine Gesellschaft, die ihre sexuellen Instinkte unterdrückte, niemals gesund sein konnte. Und obwohl er seine Rolle als Vorbild für sexuellen Liberalismus für durchaus wichtig hielt, war er nicht damit zufrieden, lediglich ein Beispiel zu setzen. Er wollte seine Thesen niederschreiben.

Im Herbst 1962 begann Hefher, sein eigenes Manifest zur menschlichen Sexualität zu verfassen. Was dann zwischen Dezember ’62 und Mai ’64 in 22 Ausgaben des „Playboy“ unter dem Titel „The Playboy Philosophy“ veröffentlicht wurde, war eine Essenz aus über 3 000 Jahren sozialer, politischer und philosophischer Ideen. „The Playboy Philosophy“ war eine weit ausholende, auf absurde und quälende Weise gründliche Studie, die nahezu jeden Gedanken über das Wesen der Sexualität aufgriff, der je dokumentiert worden ist „Ursprünglich wollte ich nur einen Artikel für unsere Jubiläumsausgabe schreiben“, sagt Hefher heute. Er hält inne und lacht. „Das Zwanghafte liegt mir wohl im Blut.“

Wohl wahr. „The Playboy Philosophy“ wurde zum Mittelpunkt von Hefners Leben. Er zog sich in ein fensterloses Arbeitszimmer zurück, blieb dort auch, wenn unten wüste Parties abgingen, pushte seinen Energielevel mit ärztlich verordneten Amphetaminen hoch und schrieb wie ein Besessener. Sein Biograph Frank Brady behauptet, Hefner habe The Mansion während der zweieinhalb Jahre nur neun Mal verlassen. Oft schrieb er mehrere Tage durch, schlief acht oder zehn Stunden und machte sich wieder an die Arbeit „Moral im heutigen Amerika“, so schrieb Hefner, „ist eine Fusion aus dem Aberglauben und der masochistischen Askese des frühen Christentums, der Frauenfeindlichkeit und sexuellen Unterdrückung der mittelalterlichen Kirche, der asexuellen Minne der Troubadoure, der englischen Romantik, die Liebe über alles siegen lässt, und dem freudlosen, autoritären, jedes Vergnügen verurteilenden Dogma des kalvinistischen Protestantismus, Puritanismus und viktorianischen Zeitgeists.“

Anfang ’64 legte er eine umfassende Analyse der Sexualgesetze in den 50 amerikanischen Staaten vor, in der er aufzeigte, dass viele dieser Gesetze ihre Wurzeln in religiöser Doktrin haben. „Sünde und Verbrechen sind nicht dasselbe. Indem die Eheschließung zu einer von Kirche und Staat verordneten Lizenz gemacht wird, ohne die Sex nicht genossen werden darf, und Sex außerhalb der Ehe sozial und rechtlich tabuisiert wird, fördert unsere Gesellschaft massiv die frühe Heirat, ganz gleich, ob die Beteiligten emotional, seelisch und ökonomisch darauf vorbereitet sind oder nicht“

Im Kern lautet Hefners Theorie folgendermaßen: Unterdrückte sexuelle Instinkte sind demotivierend und fortschrittshemmend. Da die kapitalistisehe Gesellschaft auf Individualismus basiert, sollte jeder Mensch die Möglichkeit erhalten, seine Phantasien (also auch sexuelle) auszuleben. Nur so kann er kreativ und innovativ sein. In einer perfekten Gesellschaft, argumentiert Hefner weiter, haben steigende Scheidungsraten keine Bedeutung, weil die Institution der Ehe nicht länger sakrosankt ist Genauso unwichtig ist, ob jemand Sex mit mehreren Partnern hat, weil sexuelle Präferenzen Privatsache sind. Sexuellen Bedürfhissen kann ohne jegliche Scham- und Schuldgefühle nachgegeben werden. Berufliche und private Selbstbestimmung haben oberste Priorität. „Es ist ein Märchen, dass unterdrückte sexuelle Instinkte einfach verschwinden“, sagt Hefher. „Wahr ist, dass sie einen nicht länger quälen, wenn man sie auslebt.“ „The Playboy Philosophy“ ist längst ein Ladenhüter geworden. Man kriegt das Buch weder im Laden noch bei Amazon.com. Selbst in der „Playboy“-Zentrale in Chicago gibt es nur noch wenige Exemplare, die sorgsam gehütet werden. Nach wochenlangem Suchen entdeckte ich das Buch schließlich im Internet, und nachdem ich einen Scheck über 150 Dollar abgeschickt hatte, traf tatsächlich eines Tages ein Päckchen ein. Es enthielt nicht den edlen, in Leinen gebundenen Folianten, den ich erwartet hatte, sondern vier schäbige, zusammengeheftete Pamphlete, die 1965, neun Jahre vor meiner Geburt, gedruckt worden waren – der einzige Nachdruck, den es von „The Playboy Philosophy“ je gegeben hat.

Doch auch wenn die Welt von der „Philosophy“ nichts mehr weiß – ich möchte behaupten, dass dieses Manifest Gedanken enthält, die seit ihrer Veröffentlichung zum allgemein akzeptierten Bestandteil unserer Kultur geworden sind. Die Nachfahren der sexuellen Revolution haben sich mit ihren sexuellen Instinkten inzwischen recht gut arrangiert. Was auch immer man davon halten mag – vorehelicher Sex ist kaum noch ein Tabu, Homosexualität wird immer mehr als normal angesehen, die tnenage ä trois ist vielleicht noch nicht die Regel, hat aber Einzug in den Katalog akzeptabler Verhaltensweisen gehalten, und, was vielleicht am meisten für sich spricht, die hohen Scheidungsraten in Amerika und dem Rest der Welt zeigen erstmals, dass viele Paare nicht mehr gewillt sind, in einer unbefriedigenden Beziehung auszuharren. Wer heute aus einer glücklosen Ehe ausbrechen will, lässt sich von Kirche und Staat nicht mehr so leicht aufhalten.

Angesichts der Tatsache, dass diese Entwicklungen schon vor mehr als drei Jahrzehnten in der „Playboy Philosophy“ beschrieben wurden, wäre es natürlich ein Leichtes, Hugh Hefher prophetische Eigenschaften zuzuschreiben.

Doch selbst wenn er die besäße – der entscheidende Punkt ist, dass er selbst es nicht weiß. 40 Jahre, nachdem Hefner in das Kostüm des Mr. Playboy schlüpfte, ist ihm Ruhm immer noch entsetzlich lästig, verbringt er immer noch die meiste Zeit in der Abgeschiedenheit seines Arbeitszimmers, wo er liest und schreibt und seine soziologischen Studien fortsetzt Und wenn er doch einmal herauskommt um mit seinen Freunden über Politik zu diskutieren, klingt er oft wie sein eigenes Echo, ein unermüdlicher Kämpfer gegen den amerikanischen Puritanismus.

Wenn Hugh Hefner einmal stirbt, wird es natürlich eine Party geben, und Tausende von Hefe engsten Freunden werden sich in The Mansion versammeln, alle in schwarz, um die letzte Chance zu ergreifen, im Paradies die Hölle abgehen zu lassen. Jack Nicholson wird seinen Armani-Anzug vorzeigen und Warren Beatty seine Frau. George Clooney wird an der Seite eines Playmates erscheinen. Dan Aykroyd und David Spade werden hinten an der Bar abhängen. „Weird AI“ Yankovic wird in Nachthemd und Sonnenbrille aufkreuzen, nervös herumschauen und viel zu viel lächeln. Diejenigen der Stones, die noch stehen können, werden herumstehen, bis sie irgendwann umfallen.

Der Wahnsinn wird, wie so oft in den letzten 25 Jahren, toben, bis es weh tut, und irgendwann wird es so aussehen, als erhebe sich The Mansion über den Massen in die Lüfte wie eine Reinkarnation des „House of Usher“. Nach einer Weile wird jemand auf die Bühne steigen und eine überschwängliche, ausufernde Rede halten, die ungefähr so endet: „Wir vermissen ihn furchtbar, aber wichtig ist vor allem, dass er auch jetzt noch ein so toller Gastgeber ist!“ Und die paar, die zuhören, werden Hurra schreien, während ringsherum die Party weitergeht Wie immer wird Alkohol in Strömen fließen, und nachts um drei wird es Sex in der Grotte geben. Irgendwo wird eine drei Meter hohe Wand aus lauter Fernsehern stehen, auf denen Aufnahmen vergangener Gelage gezeigt werden, und nach einer Weile wird Hef auf dem Bildschirm erscheinen und unter vielen Grimassen und „Ähems“ philosophische Sentenzen zum Besten geben, die keiner hören will: „Ich bin einer Familie aufgewachsen, die durch Dogmen geprägt war, und ich habe mein Leben lang gegen sie rebelliert Wir leben in einer Gesellschaft, die Sexualität unterdrückt, einer Welt des puritanischen bla bla bla.“

Und er wird sich natürlich irren, wie er das schon seit Jahren getan hat, weil die neue Welt ganz anders aussieht Weil der Kampf vorbei Weil The Mansion die Welt erobert hat Weil Hefner sein Privatleben opferte, um uns von sexueller Repression zu erlösen. Weil wir seiner Philosophie folgen, ob er – oder du oder ich – das nun weiß oder nicht J3

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