Mission: Possible

Für Leander Haußmanns „"Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe" haben Element Of Crime erstmals einen kompletten Soundtrack komponiert. Eine Herausforderung.

Sven Regener hätte notfalls auch für einen schlechten Film von Leander Haußmann den Soundtrack gemacht, weil der Regisseur sein Freund ist. Lieber natürlich für einen guten. Da hat er Glück gehabt bei „Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe“, der Geschichte von einem Videospiel-Entwickler, der sich Hals über Kopf in eine ältere Frau aus der Reinigung nebenan verguckt. Es ist ein komischer Film mit tragischen Momenten, ein kleines Abenteuer mit großen Gefühlen. An dem Abend in Berlin, als die Interviews stattfinden, gibt es im Tritonus-Studio noch eine kleine Vorführung des Films, nach der auch Regener – nicht gerade als Komplimenteverteiler bekannt- ausnahmsweise gar nichts auszusetzen hat: „Ich finde jetzt auch mal alles okay.“

Es sind alle versammelt, die an dem Film mitgewirkt haben: Leander Haußmann natürlich, der nicht wenig aufgeregt wirkt und kaum eine Minute stillsitzt. Die vier von Element Of Crime, die beim Anhören ihres Soundtracks entspannt auf dem Sofa fläzen und sich nur hin und wieder ein paar Anmerkungen zuwerfen. Als einmal eine sehr Bob-Dylan-artige Mundharmonika einsetzt, fangen alle gleichzeitig an zu lachen. Ein paar Leute von der Filmfirma Boje Buck und etliche Schauspieler, darunter auch Hauptdarsteller Tom Schilling. Die Laune ist ausgezeichnet, der Whisky auch.

Dabei fing die Sache nicht gerade vielversprechend an, als Haußmann das Skript von Gernot Griksch bekam: „Die Idee hat mir gefallen, aber das zu diesem Zeitpunkt vorliegende Drehbuch passte noch nicht zu mir. Ich habe gespürt, dass man daraus etwas Originelles machen kann, aber dann war das noch ein Jahr Drehbucharbeit, bis ich dachte, das könnte etwas sein, das nach mir aussieht. So wie man eine Jacke schneidert, in die man dann passt. Ich meine: Junger Mann liebt ältere Frau, das ist per se jetzt nicht so ein originelles Thema, obwohl es ein paar sehr gute Filme darüber gibt, angefangen bei ,Harold & Maude‘, ,Die Reifeprüfung’…“ Eine solch heikle Liebesgeschichte kann natürlich nur funktionieren, wenn die Schauspieler sie glaubhaft vermitteln. Schilling gibt den Robert. Zimmermann mit entwaffnendem jungenhaftem Charme, Maruschka Detmers die abgeklärte, fast verblühte Schönheit mit großer Anmut. Die meisten Männer, die in den 8oer Jahren schon im fernsehfähigen Alter waren, erinnern sich mit leuchtenden Augen an Detmers‘ offenherzigen Auftritt in „Via Mala“. Sven Regener nicht. Aber er hat inzwischen gemerkt, dass er sollte. „Warum weiß jeder, wer Maruschka Detmers ist, nur ich nicht?“, fragt er zweimal an diesem Abend. Haußmann hingegen setzt auf den Wiedererkennungswert: „Das Drehbuch war ja aus der Sicht des Robert Zimmermann geschrieben, und die Figur der Monika hatte zuerst nicht so viele Möglichkeiten, ihre eigene Geschichte auszubreiten. Da braucht man also jemanden, der eine Biografie mitbringt. Maruschka hat einiges durchgemacht in ihrem Leben, und das merkt man. Trotzdem ist sie eine wahnsinnig attraktive – oder, um das Wort attraktiv zu vermeiden, eine sehr erotische Frau.“ Mit Schilling fand Haußmann auch gleich eine Möglichkeit, „den Charme, den er im Casting hatte, im Film auszubreiten. War kein Problem. Wir haben gar nicht so viel gesprochen, sondern viel Gitarre gespielt und zusammen ein Liederprogramm entworfen“. Haußmann ist ein guter Mundharmonika-Spieler und ein ausgewiesener Bob-Dylan-Kenner, wenngleich er eine etwas ungewöhnliche Herangehensweise an dessen Musik hat: „Mein Englisch ist relativ begrenzt, so dass ich oft gar nicht weiß, was der da so singt. Aber trotzdem fasziniert er mich – mit seiner Aura, mit diesem Sound.“

Bei Element Of Crime ist das Verstehen schon mal leichter, deren Texte sind ja seit langem deutsch. Schon im Jahre 2000 hatten Regisseur und Band zum ersten Mal miteinander zu tun, die Elements schrieben ein paar Songs für Haußmanns Inszenierung von „Peter Pan“ am Schauspielhaus Bochum. Im Grunde eine naheliegende Verbindung, findet Gitarrist Jakob Ilja: „Wir wussten immer, dass unsere Musik einen filmischen Charakter hat, eine Atmosphäre und so. Zwischendurch hat man sich schon fast gewundert, warum da nicht mehr Anfragen kommen…“ 2003 verfilmte Haußmann dann Regeners Bestseller „Herr Lehmann“ — und es gibt wahrlich genug Beispiele für Verfilmungen, die auf ewig die zarte Bande der Freundschaft zwischen Regisseur und Autor kappen. Bei den beiden war das offensichtlich nicht so. Schon zwei Jahre später coverten Element Of Crime für „NVA“ Dylans ,3aby Blue“ und „My Bonnie Is Over The Ocean“.

Eine solch großangelegte Zusammenarbeit wie diesmal ist allerdings für beide Parteien Neuland und Haußmann zögerte zunächst: „Sven will immer gleich so konkret alles wissen, deshalb habe ich mich zurückgehalten und erst spät gefragt.“ Oder, wie Regener es sagt: „Wie immer bei Leander passierte alles auf den letzten Drücker.“ In wenigen Wochen entstanden die Stücke—eigene sollten es sein, das war Bedingung, nicht die (gerade bei diesem Filmtitel, der natürlich auf Bob Dylans Geburtsnamen anspielt) naheliegenden Klassiker, so Regener: „Wir sind angeheuert worden, um Originalsongs zu bringen. Da konnten wir uns nicht mit Coverversionen durchschummeln.“

Die Themen für die Texte zu den vier neuen Liedern waren durch die Handlung des Films weitestgehend vorgegeben. „Robert Zimmermann“ erzählt von den Problemen, die dieser Name und das Leben im Allgemeinen für den Protagonisten bereithalten. In „Death Kills“ verarbeitet Regener die grauenvollen Visionen der Videospiel-Generation, mit wunderbar schwerer Zunge vorgetragen. Beim herrlich Hamburg-verliebten „Ein Hotdog unten am Hafen“ singt er von halbautomatischen Waffen und Räucherstäbchen, vom Dalai Lama und dem Eppendorfer Flohmarkt — und kommt zu dem Schluss: „Ein geselliges Tier ist das Schwein/ Und das Stachelschwein lieber allein/ Ohne dich will ich nicht/ Mit dir kann ich nicht sein.“ Ein Refrain, der auch auf einem Element Of Crime-Album gut gefallen hätte, ebenso wie die klassische Romantik von „Über dir der Mond“, aber: „Auf den Text mit dem Stachelschwein wäre ich nicht gekommen, wenn der Film nicht gewesen wäre. Parkbank, Planten un Blomen, Hotdog am Hafen — das kommt alles im Film vor. Der einzige Text, der unabhängig vom Film hätte entstehen können — obwohl ich mich auch da am Film orientiert habe -, ist dieser mit dem Mond. Bei den anderen hat man vielleicht nicht so viel davon, wenn man den Film nicht kennt.“

Es entspinnt sich eine kurze Diskussion, welche Soundtracks auch ohne den dazugehörigen Film gut funktionieren. Regener fällt „Twin Peaks“ ein, Ilja „die Klassiker halt: Morricone, Mancini“. Schlagzeuger Richard Pappik wirft „Blade Runner“ in die Runde, bei dem die Meinungen auseinandergehen. „Vangelis, alle zehn Finger aufm Keyboarder“, schnaubt llja. Auf „Shrek“ können sich wieder alle einigen: Rufus Wainwright mit Leonard Cohens „Hallelujah“, die Eels mit „My Beloved Monster“ – bei Soundtracks, die sich aus einem bekannten Fundus bedienen, kann ja auch nicht viel schiefgehen.

Getreu ihrem Motto „Wir hören immer auf, wenn wir genug haben“ schrieben Element Of Crime keinen fünften Song mehr. Die Instrumentals, die den Score komplettieren, brachte Bassist/Produzent Dave Young ein, erzählt Pappik: „Wir haben bei der letzten Platte eine Arbeitsweise entwickelt, die auch diesmal sinnvoll war: Immer, wenn ein bisschen was da ist, geht man ins Studio und nimmt zwei, drei Sachen auf. Dave hat dann noch einiges aus dem Ärmel geschüttelt. Das war etwas anders als normalerweise: Das sind ja eigentlich Traditionais, Bluegrass und so, zu denen einfach jeder gespielt hat, was ihm einfiel. Ohne viel rumzufeilen oder nachzudenken. Das hat richtig Spaß gemacht.“ – „Oder“, ergänzt Regener, „auch mal nichts gespielt. Muss ja nicht immer sein. Das Tolle bei diesem Score-Anteil ist, dass es auch mal reduziert zugeht, einer sich mal ganz zurückhält. Bei einer LP würde man das nicht so machen.“

Dass man als Band bei einem Soundtrack nun einen Großteil der Kontrolle an den Regisseur abgibt und vorher nicht genau weiß, was am Ende herauskommt – das war gar kein so großes Problem, wie man annehmen könnte: „Bei unseren eigenen Alben sind wir natürlich voll verantwortlich, wenn das schlecht ist, aber wir müssen auch auf niemanden Rücksicht nehmen. Beim Film können wir gar nicht mitreden, wie etwas eingesetzt wird. Was genommen wird und was nicht. Ich möchte mich da auch gar nicht einmischen. Es ist Leanders Film, das muss man respektieren. Da darf man nicht böse sein.“

Gibt allerdings auch gar keinen Grund dazu, Ilja, der schon reichlich Score-Erfahrung hat und in der Band eindeutig der Film(musik)-Spezialist ist, hält es geradezu für einen Luxus, wenn einem Regisseur die Musik so wichtig ist. Wenn einer wie Haußmann die Musik so liebt, dass er sogar noch etliche Szenen umschneidet, um „Platz freizuschaufeln“ für die Lieder. Bei „Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe“ taucht die Musik nicht nur als Lückenfüller auf, sie ist in manchen Szenen ein essenzieller Bestandteil. Ilja versteht die Angst vieler deutscher Regisseure vor einer solchen Herangehensweise nicht: „Die haben wohl das Gefühl, ihr Film mutiert zu einem Musikvideo, wenn ein Stück mal länger als eine Minute läuft… Leander stellt man eine Kiste hin, und er zieht sich raus, was er verwenden möchte. Beim ersten Screening dachten wir: Wow, das ist ja ganz schön viel Musik! Danach lotet er das aus, editiert Bild und Sound, und dann nimmt das eine sehr schöne Form an.“

Auch Sven Regener freut sich natürlich, dass die Musik hier „nicht nur als notwendiges Übel“ gesehen wird. Aber anfangs hatte er doch Sorge, es könnte zu viel des Guten sein: „Hoffentlich denken die Leute nicht: Prima Film, aber die Musik nervt!“

Leander Haußmann hat beim ersten Preview von „Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe“ kurz reingeschaut und erleichtert festgestellt, dass der Film „keinen der Charaktere bloßstellt“. Tatsächlich beschreibt er die Schwächen all der manchmal recht drolligen Personen mit viel Liebe, fast zärtlich. Haußmann fiel aber auch noch etwas anderes auf: „Man merkt, wie merkwürdig der Film doch ist. Wie der sich so querstellt und doch etwas Rührendes hat. Er will niemandem etwas Böses, sondern nimmt alle mit an Bord.“ Worauf Tom Schilling einwirft: ,Aber das haben alle deine Filme.“ Und Haußmann erwidert: „Aber der besonders. Ich will .Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken‘ (seinen vorherigen Film) jetzt nicht im Nachhinein denunzieren, aber der war schon mit einem Blick auf den Mainstream gemacht. Bei diesem Film ist es mir letztlich egal. ob er erfolgreich wird.“

Den Vorwurf des bloßen Komödien-Machers hat er sich schon oft gefallen lassen müssen, aber diesmal stellt er den beschwingten Szenen besonders krass einen brutalen Moment—in einer Klinik, zwischen Leben und Tod – entgegen, der den ganzen Film verändert. Der aber doch kein Fremdkörper ist, was tatsächlich vor allem auch an der Musik liegt, die mit einer sanften Leichtigkeit die richtige Verbindung zwischen Komik und Tragik schafft. Haußmann war sich des Risikos bewusst, das in solchen Kontrasten liegt: „Die Krankenhaus-Szene ist schon ein Wagnis. Sven sieht das und macht eine Musik dazu, die diesen Übergang schafft, vom schweren Teil zum leichten zurück, zur Komödie. Das ist nicht so leicht, das könnte schnell sehr unsportlich verstanden werden. Da muss man vorsichtig sein. Da hat Sven mir sehr geholfen.“

Regener wiederum sagt: „Leander wird oft unterschätzt. Er hat ein ganz eigenes Ding am Laufen, und er muss sehr darum kämpfen, dass das verstanden wird. Gerade weil Leander eben nicht

nur lustige Filme macht, sondern in all diesen Filmen immer Stellen hat, die total traurig sind. Eigentlich sind die umso trauriger, weil’s vorher so lustig war und man kalt erwischt wird. Wie er das macht, ist unglaublich interessant. Da fühle ich mich in gewisser Weise verwandt. Wir gelten ja im Gegensatz dazu immer so als die Trauer-Bauern, da können wir tausendmal sagen, dass wir doch auch ganz lustige Lieder haben. Bei Leander ist es genau umgekehrt, aber letztendlich ist das nur die andere Seite derselben Medaille.“

Die Verständigung zwischen Haußmann und Element Of Crime klappt wohl auch deshalb so gut, weil sich beide Parteien eben nie in eine Schublade stecken ließen, sondern immer eine ganz eigene Strategie verfolgten. „Mit dem Unterschied“, ergänzt Regener, „dass Leander auch auf viel Ablehnung trifft, was wir von uns nicht sagen können. Wir haben’s da sehr viel besser. Wir kriegen nicht so in den Arsch getreten. Leander ist ein sehr umstrittener M ann. Da scheiden sich die Geister, sowohl am Theater als auch beim Film.“ An Zuschauer-Zuspruch mangelte es Haußmanns Filmen andererseits nie, ob das „Sonnenallee“ (1999) oder eben im vergangenen Jahr „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“ war – vom Feuilleton zerrissen, ein Publikumserfolg. Jakob Ilja weiß vielleicht, warum: „Ich glaube, es gibt eine Form von Leichtigkeit, die hiervon der Kritik nicht so gern gesehen wird. Dagegen wird das, was Leute für Schwermütigkeit halten, oft sehr gern gesehen. So simpel ist das manchmal.“

Element Of Crime haben es leichter, da ist sich Regener sicher, auch wenn ihre Balladen früher für Irritationen sorgten: „Als wir angefangen haben, 1985, da waren wir oft die Vollidioten. Was machen die denn da? Aber in der Musik ist es doch so: Man muss es einfach lange genug machen, dann schlägt irgendwann die normative Kraft des Faktischen zu. Dann ist man irgendwann einfach dabei.“ Inzwischen sind sie so sehr dabei, dass die Plattenfirma sich über einen Soundtrack freut, als wäre es ein neues Album. Mit dem lässt sich die Band mal wieder Zeit, „ganz langsam“ fängt sie an, darüber nachzudenken. Pappik bremst allerdings jede verfrühte Vorfreude: „Wie ich unsere Arbeitsweise kenne, wird es noch dauern.“

Im vergangenen Jahr bekamen die Elements nach 22 Jahren zum ersten Mal für ein Album („Mittelpunkt der Welt“) Gold – eine Tatsache, die Ilja „kurios“ findet und Regener ganz schön, mehr nicht. „Vor 15 oder 20 Jahren hätte mich das sicher noch mehr beeindruckt. Aber es ist schon eine Form der Anerkennung- ohne dass das praktische Folgen hätte. Außer dass man jetzt so ein Ding an der Wand hängen hat. Wenn man es sich hinhängt.“ Bisher haben sie alle keinen richtigen Platz dafür gefunden. Ilja hatte eher damit gerechnet, dass „Weißes Papier“ irgendwann Gold bekommt, weil es ein „Evergreen“ ist, doch dafür müsste es – den Statuten des Veröffentlichungs-Jahres 1993 gemäß – noch 250 000, nicht nur 100 000 Einheiten verkaufen. Und da setzt Regeners Realitätssinn ein: „So lange lebst du nicht.“

Mit dem Alter ist das ja sowieso so eine Sache. Ein Grund, warum Haußmann so viel Verständnis für die Figur des jungen Robert Zimmermanns hat, ist vielleicht auch, dass er sich selbst noch längst nicht wie ein 49-Jähriger fühlt: „Man kommt nicht nach. Man beschäftigt sich immer noch mit Dingen wie: Warum hat damals, 1979, Sabine zu mir gesagt: ,Nee, ich möchte nicht mit dir nach Hause gehen‘? Und während man sich damit beschäftigt, ist man plötzlich fast 50. Neulich stand ich im Fahrstuhl, der war vollends verspiegelt, und guckte nach oben und sah zum ersten Mal, dass ich eine kleine Glatze kriege am Oberkopf.“ Was nun nicht gerade eine große Überraschung sein sollte. ,Ja klar, ich hätte darauf gefasst sein müssen, aber in diesem Moment war es für mich schockierend.“ Er benutzt jetzt Peelings und Gesichtsmasken – und tröstet sich mit dem Gedanken, dass das Leben im Großen und Ganzen bisher doch sehr gut zu ihm war: .Als man 14 war, ging man ins Kino und dachte: Mein Gott, wie geil, dass die da spielen können und dass die Regisseure Filme machen können. Und plötzlich darf man das selber! Manchmal rufe ich diese Erinnerung auf, um mir klarzumachen, wie schön es ist, dass das geklappt hat.“ Leander Haußmann wundert sich über das Leben.

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