Mit Attentats- und Abhör-Szenarien greifen „Ausnahmezustand“ und „Staatsfeind Nr. 1“ den Verschwörungs-Thriller auf

Die Kamera gleitet durch dunkle Katakomben und einige Treppen hinauf. Schließlich erfaßt sie das von Rotlicht erhellte Panorama einer riesigen Sport-Arena. Soldaten patroullieren auf den Rängen, der Rasen ist voller Menschen in von Stacheldraht umzäunten Käfigen. Die Deportation der Juden durch die Nazis kommt einem in den Sinn oder wie chilenischen Oppositionelle in den Siebzigern von Pinochets Schergen in Fußballstadien zusammengepfercht wurden. In Edward Zwicks Film „Ausnahmezustand“ sind es arabische Immigranten und Exilanten, die von US-Truppen im Madison Square Garden interniert werden. Sogar Amerikaner arabischer Herkunft bleiben davon nicht verschont Ein fiktives Szenario, daß schon morgen auf CNN Realität sein könnte.

Durch die Bombenanschläge vor einigen Monaten auf US-Botschaften in Ost-Afrika und den Vergeltungsangriffen der Amerikaner mit Raketen auf eine vermutete Giftgasfabrik in Khartum hat die Wirklichkeit die brisante Ausgangslage des Films schon fast eingeholt Islamische Fanatiker sprengen in New York einen Linienbus und ein Theater am Broadway in die Luft, das Attentat auf eine Schule voller Kinder kann der FBI-Beamte Frank Hubbard (Denzel Washington) durch beherztes Eingreifen in letzter Sekunde verhindern. Doch der Leiter der Anti-Terror-Abteilung beim FBI und seine Leute können nicht die Hintermänner enttarnen. Als zudem noch ein Kamikazefahrer dreist die FBI-Zentrale verwüstet, verhängt General William Deveraux (Bruce Willis) den Ausnahmezustand. Drohend rollen die Panzer über die Brooklyn Bridge.

„The Siege“ heißt der Film im Original, und angesichts einer Nation, die seit den Sezessionsschlachten keinen Krieg mehr im Land hatte, ist hier bald nicht mehr klar, welcher Feind eigentlich die Stadt belagert: die arabischen Terroristen oder die eigenen Soldaten. Und neben Deveraux muß sich Hubbard zudem mit der undurchsichtigen CIA-Undercover-Agentin Elise (Annette Bening) herumplagen, die ein intimes Verhältnis mit dem verdächtigen Informanten Sami (Samir Nazhde) hat So ist ein Lügennetz angelegt, das von modernen Überwachungstechniken noch dichter gestrickt wird, statt es aufzulösen.

Nun kann man Zwick nicht blinden Patriotismus vorwerfen, wie ihn Willis symbolisiert als selbstherrlicher, sadistischer Militär, der ohne Wissen der Regierung einen Religionsfuhrer entführen läßt und damit den Konflikt erst ermöglicht Aber schon in „Glory“, „Legenden der Leidenschaft“ und „Mut zur Wahrheit“ stritt er mit soviel Pathos für Freiheit, Unabhängigkeit und Würde, daß ihm nur die Heimat eine Herzenssache ist. Mit authentischem Nachrichtenmaterial von den Bombenattentaten in Oklahoma und während der Olympiade unterstreicht Zwick, daß der Feind in den eigenen Reihen steht Als letzter Idealist kämpft Washington dafür um so wackerer und wichtigtuerischer gegen die Bösewichte an. Seine sympathisch-schematische Figur ist so nervtötend wie allerlei peinlich-penible politische Korrektheiten. Zum multikulturellen FBI-Team, das ohnehin wie ein geschöntes Abziehbild des amerikanischen Vielvölkerstaates wirkt, gehört natürlich ein Libanese. So schafft man auch Klischees, die letztlich auf gleich zwei persönliche und also entpolitisierte Showdowns zugespitzt sind. Zwick hätte einen Sprengsatz zünden können – griff aber zu Platzpatronen.

Was „Ausnahmezustand“ moralisch verhandelt, hat Tony Scott in „Staatsfeind Nr.l“ auf die technische Ebene verlagert Computer, Satelliten, Infrarot-Kameras und die gute alte Wanze sind die Hauptakteure, die nicht nur diesen Action-Thriller antreiben, sondern wortwörtlich auch die Schauspieler am Laufen halten. Dem erfolgreichen und pfiffigen Anwalt Dean (Will Smith) wird zufällig eine Diskette zugesteckt mit Videoaufnahmen, die den Chef (Jon Voight) der National Security Agency bei dem Mord an einen Politiker zeigen. Von da an ist er der bestüberwachte Mann Amerikas.

Seine Familie wird observiert, abgehört und im Haus eine Mini-Kamera installiert Seine Kleidung wird bis hin zur Krawattennadel mit Peilsendern vermint Dadurch kann er per Satellit im entlegendsten Winkel aufgespürt werden. Von einem Computer-Team, das die Hetzjagd wie eine Spielerei betrachtet und Zugriff auf jede Datenbank hat, werden Sicherheitskameras im Autobahntunnel angezapft und die Häscher über Kopfmikrophone durch jedes Gebäude geleitet.

Für seinen großen Lauschangriff hat Scott die Motive von „Das Netz“ und „Auf der Flucht“ zu einem Sperrfeuer aus Zeitraffer, Zoom, Luftaufnahmen und Graphiken montiert. Und als Ex-CIA-Abhörexperte spielt Gene Hackman die Popcorn-Variante seines Parts in „Der Dialog“ von Francis Ford Coppola, der quälend still und schleppend darstellte, wie Technik die Intimsphäre zersetzt Scott will nur ordentlich Spaß haben.

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