Mit geradem Gang kämpfen GENE gegen Häme und Zynismus der Britpop-Kollegen

The Queen is dead – und auch der einstige Indie-King Morrissey hat seine Melancholie-Monarchie nicht über die Zeit retten können. Als sein Reich zerfallen war, kämpften Zyniker und harmoniebedürftige Beatles-Fans um die Macht. Die Smiths-Dynastie ist heute nurmehr Gegenstand von Gedenk-Ritualen und Tribute-Platten.

Martin Rossiter, Sänger von Gene, hat Smiths-Vergleiche aus verständlichen Gründen etwa so gern wie eine Zahnoperation. Bei diesem Thema wird er ganz zappelig und sagt schließlich einen einzigen Satz: „Eine Band ist mehr als die Summe ihrer Einflüsse.“ Was natürlich immer stimmt. Aber was heißt hier Summe? Wo ein Einfluß derart dominant ist, müssen mögliche andere wohl in den Hintergrund gedrängt worden sein.

Man sollte Gene indes zugutehalten, daß sie das Erbe einer großen Band nicht nur verwalten, sondern es kraft ihrer unbestrittenen Individualität wieder zum Leben erwecken. Dir gerade erschienenes zweites Album „Drawn To The Deep End“ hat zwar über weite Strecken noch immer den schmidtschen Klang, glüht aber auch von innen heraus. Und auch beim Gene-Konzert im Dubliner „Music Center“ ist Wärme statt Hitze angesagt: Häme und Sarkasmus haben hier keinen Platz – die böse Noel-gegen-Damon-Welt wind einfach ausgeklammert. Martin Rossiter ist hier nicht Star, sondern eher der spirituelle Freund seiner Fangemeinde.

„Es gibt einen ungewöhnlich intensiven emotionalen Kontakt zwischen mir und dem Publikum“, bestätigt Rossiter am Tag nach dem Auftritt. „Unsere Texte sind ja auch nicht Schunkellieder zum Mitsingen, so wie bei Oasis. Sie bedeuten etwas. Sie sind aufrichtig. Ich verabscheue inhaltsleere Attitüden. Und noch mehr hasse ich Zynismus.“ Ein alter, fast vergessener Charakterzug: Zeige deine Wunde. Und renn notfalls auch ins offene Messer.

Rossiter tut dies mit seinem an Morrissey gemahnenden Tremolo nicht nur in seinen Songs. Auch in Interviews ist er ausnehmend auskunftsfreudig. Erst kürzlich erfuhren die Leser des „Melody Maker“ alles über die psychische Krankheit, die seine sensible Seele im letzten Jahr heimgesucht hatte. Sie konnten lesen, daß es sich dabei um eine unipolare Depression handelte, bei der man im Gegensatz zur bipolaren Variante überhaupt kein Licht mehr sieht: Man fallt in einen Zustand absoluter Gleichgültigkeit und Leblosigkeit.

Inzwischen bereut es der halbwegs Genesene schon wieder, vor der britischen Leserschaft „ausgepackt“ zu haben. „Ich will nicht, daß man den Namen Gene nur noch mit meinen Problemen verbindet“, meint Rossiter. „Eine psychische Krankheit hat keinen Glamour. Es ist nicht so, daß man bessere Songs schreibt, weil man am eigenen Abgrund gestanden hat. Das sind alles beschissene Künstler-Klischees. Eine klinische Depression ist ein absoluter Horror, nichts weiter.“

Um diesen nicht künstlerisch zu stilisieren, habe er für das zweite Album von Gene auch optimistische Stücke geschrieben. Zum Beispiel die Single „We Could Be Kings“ ein Popsong mit dem klassischen Steh-auf-und-ändere-dein-Leben-AppelL „Und prompt mußte ich mich verdammt idiotische Sachen fragen lassen“, lästert Rossiter. „Zum Beispiel, ob ich die Monarchie retten wolle! Schwachsinn. Das Publikum ist nicht so borniert wie Leute, die solche Fragen stellen. Es versteht sofort, daß es um dieses Gefühl geht:

Wir sind die Größten. Wir können die Welt erobern, wenn wir nur wollen.

Pop ist dazu da, sich frei zu fühlen.“

Nein, so spricht wahrlich kein Zyniker.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates