Mit Kai Pflaumes „Star Search“ ist die Casting-Epidemie noch längst nicht vorbei – für das nächste Jahr versprechen die Sender schon weitere Sangestalentschuppen

Im Juni sah alles noch so prima aus. Da wurde auf dem Kölner „Medienforum“ eifrig über die Zukunft des Reality-Fernsehens geredet, und eher im Nebensatz bemerkten mehrere Diskutanten, dass der Casting-Wahn doch ziemlich sicher spätestens Mitte kommenden Jahres in eine zugehörige Anstalt eingewiesen würde. Aus und vorbei. Tschüs, auf Nimmerwiedersehen.

Das war eine gute Nachricht für alle, die schon lange die Nase voll haben von spastischen Formaten wie „Deutschland sucht den Superstar“, „Popstars“ oder „Star Search“, von der Vermüllung der deutschen Fernsehenslandschaft durch viel zu viele dilettierende Kandidaten und noch schlimmer dilettierende Jury-Mitglieder, durch Vokal-Attacken aus dem geschmacklichen Sibirien, durch singende Pickel, durch telegen aufbereitete Pubertätswehen. „Es wird ein Sterben geben“, sagte gar TV-Produzent Rainer Laux, dessen Firma Endemol immerhin zwei der Casting-Formate betreut. Schon 2004 wäre also damit zu rechnen, dass sich Verhaltensauftällige aller Art nur noch in Talksendungen und Gerichtsshows würden exhibitionieren dürfen. Die Zahl der Freudenfeuer, um die in ganz Deutschland erleichterte TV-Zuschauer tanzten, stieg beängstigend, und in der Masse waren sie wahrscheinlich sogar schon vom Weltraum aus zu erblicken. Nur noch diesen Herbst, dann ist der Spuk vorbei. Dachte man.

Denn dann, im August, kam der Rückschlag. Am Rande der Telemesse verkündete RTL-Programmdirektor Frank Berners, dass er sich sein „Superstar“-Format durchaus vier Jahre lang im Programm vorstellen könnte. Vier Jahre! Der Schock saß tief. Nicht einmal bei der von RTL und Sat. 1 beauftragten Produktionsfirma Grundy Light Entertainment („Superstar“ und „Star Search“) wollte man solche Kunde glauben. Aber es war so. Mit Anstalt ist erst einmal nichts.

Möglicherweise liegt das daran, dass der Casting-Wahn längst in einer gelandet ist. Schließlich startet doch die hochoffizielle öffentlich-rechtliche Anstalt ZDF am 18. September ihren Casting-Nachläufer „Die deutsche Stimme 2003″. Bei der Bekanntgabe des Termins konnten es einige Beobachter gar nicht fassen und brachen in ungläubige .Jetzt schon?“-Rufe aus. Ja, so schnell kann das ZDF sein. Kaum ist ein Trend ein paar Jahre auf dem Markt, schon hakt man auf dem Lerchenberg ein und liefert eine germanifiziette Version dessen, was kaum noch einer will. Wenn man dann noch hört, dass der fleischgewordene Fernsehgarten Andrea Kiewel und der Profi-Beau Kai Böcking den Hunziker/Spengemann-Ersatz im Marianne-und-Michael-Sender geben und eine Jury mit der zu Recht vergessenen Jule Neigel und dem amtlichen deutschen Grand-Prix-Beschicker Ralph Siegel präsentieren, verschlägt es einem gleich die Sprache.

Schon wird von hauseigener Cross-Promotion gemunkelt und berichtet, dass History-Experte Guido Knopp bereits im Archiv wühlt und zum Start die Superdokus „Hitlers Stimmen“ und „Deutschland sucht den Weltherrscher“ parat haben will. Doch solche Kunde entpuppt sich rasch als Falschmeldung, denn neben der Superlativen Vokalauswahl müht sich das ZDF – bescheiden, wie es ist um die Auswahl des größten Deutschen aller Zeiten. Na, wenn das kein Fall für Guido Knopp ist.

Aber zurück zum „Superstar“-Wahn. Anfang September startet die zweite Staffel der RTL-Küblböck-Forschung. Rund 160 000 Menschen haben den Castingbogen angefordert, haben also nichts Besseres zu tun, als ihr Leben einem Privatsender zur Ausschlachtung anzudienen. Der stürzt sich demnächst übrigens auch noch auf Kinder und sucht, was lediglich alle nach Absetzung der „Mini Playback Show“ heimatlos gewordenen Päderasten erfreuen mag, den „Superstar Junior“. Und dann noch Deutschlands beste Doppelgänger. Und dann noch…

Währenddessen bilanziert Sat. 1 gerade die „Star Search“-Quoten und verbucht das eher dröge Format als Erfolg. Das funktioniert, weil bei Sat.l alles ein Erfolg ist, wenn es Kai Pflaume moderiert und nicht alle Zuschauer sofort wegschalten. Dass die Schar der Kandidaten so blass blieb, dass selbst das bevorzugte „Superstar“-Werbemedium „Bild“ nicht in die Vermarktung einsteigen mochte, interessiert in Berlin indes kaum. Schon peilt man eine schnelle Wiederholung an und sucht noch so etwas wie eine Austastlücke in der „Superstar“ Programmierung von RTL.

Parallel kaserniert Endemol für RTL 2 ruhmsüchtige Jungtalente in der „Farne Academy“ und führt vor, wie man Big Brother mit dem Superstar kreuzt. Televisionäre Gentechnik eben. Damit nicht genug, werden auch in „Popstars“ (Pro Sieben) wieder Kinder gequält und auf Karriere getrimmt. Sie lassen sich von hirnlosen Tanzlehrern derart widerspruchslos anmaulen, dass sich viele fragen, warum RTL 2 daraus noch kein Spin-Off gezimmert hat. Der Tanzlehrer-Terminator Detlef Soost steht bereit. Für den Namen wird hiermit gleich Titelschutz beantragt: „Deutschland sucht den Folterknecht“.

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