Mit zu viel Lob für ihr Debüt überschüttet, muss Judith Hermann jetzt überdenken, ob der Weg in die Hypersensibilität der richtige ist

Arme Judith! Jetzt wird sie prompt wieder abgemeiert von den amuichen Literaturverwesern, die sie vor ein paar Jahren noch zum deutschen „Fräuleinwunder“ hochgeschrieben und für ihren Erstling „Sommerhaus, später“ mit Elogen, Preisen und Stipendien so gut versorgt haben, dass selbst die Clique der Literatur-Popper neidische Fältchen auf der jugendlich glatten Stirn bekam. Das ist etwas undankbar und ungerecht.

Schließlich sind sie selber schuld! Wenn man einer jungen Autorin derart viel Lob zuspricht für einen zwar professionell durcherzählten, sprachlich aber durchschnittlichen und stellenweise auch unsäglich prätentiösen Erzählungsband, dann wird man sich nicht wundern dürfen, dass sie fortfahrt auf ihrem einsamen, mit Allert-Wybranitz-Bändchen gepflasterten Weg in die aufgesetzte Melancholie, in die emotionale Feinnervigkeit und weibliche Hypersensibilität – und dann Sätze schreibt, die man seit Verena Stefans „Häutungen“ glücklich überwunden glaubte. Sätze wie: „Ich wandte den Blick von Raouls Augen ab, in denen auch kein Licht mehr war, keine Ferne und kein Versprechen, und beschloß, ihn nicht noch einmal anzusehen…“ Oder: „Er hatte den Satz ‚Ich vermisse dich‘ in das Gesicht einer völlig Fremden hineingesagt, in die Utopie hinein, mit dem Wunsch, daß der Satz ankommen werde und sich dann auflösen würde in nichts oder allem.“

Mit zwölf, als man jäh erkennen musste, dass mit dem Poesiealben-Klassiker „In allen vier Ecken soll Liebe drinstecken“ kein rechter Distinktionsgewinn mehr zu erzielen war, da hätte man Judith Hermanns neuen Erzählungsband „Nichts als Gespenster“ (S. Fischer Verlag, 17,90 Euro) gut gebrauchen können, jetzt nicht mehr. Diese aufgepumpte Bedeutungsheischerei setzt sich fort im Inhalt. Ständig lachen ihre Protagonisten grundlos, reden rätselhaftes Zeug, schreiben sich noch rätselhaftere Zettelchen und machen sehr absurde Sachen. All das hat nur eine Funktion: Es soll dem Leser weismachen, dass sich dahinter Wunder was Poetisches verberge. Aber es verbirgt sich nichts dahinter, es ist die bloße Ambition.

Na, eine weitere Funktion erfüllt es dann doch noch: die Trostlosigkeit, den Ennui, die Dekadenz des Personals zu demonstrieren. Und so erklärt sich auch das Thema der Geschichten. In allen sieben geht es ums Reisen, nach Karlsbad, Prag, quer durch die Vereinigten Staaten oder auch nur innerhalb Deutschlands. Weil diese traurigen Charaktere so recht keinen Sinn im Existieren erkennen können, fahren sie los, aber sie kommen nie richtig an, hören in Karlsbad mongolische Musik, gehen in Prag nicht in die Altstadt, sondern lieber auf den Vietnamesenmarkt. Sie sind immer schon wieder woanders, ruhelos, „Nichts als Gespenster“ eben, wie die beste Erzählung des Buches einschärft, moderne Nomaden, die wissen, dass kein Glück und kein Segen in der Welt sind, die aber dennoch wegfahren, weil sich ihre Heillosigkeit unterwegs einfach besser ertragen lässt.

Gibt es solche Menschen wirklich? Von Christian Kracht jetzt einmal abgesehen. Wenn ja, dann sind sie mir zuwider. Denn was ist das anderes als eine noch dazu vom Fin de Siede geborgte bloße Imponiergebärde, ein ziemlich abstoßender Leidensexhibitionismus und nicht zuletzt ein großangelegter Fake, der die eigene Saturiertheit zum Kainsmal umwidmet und das dann auch noch als besondere Empfindsamkeit verkaufen will.

Kurzum, ich nehme ihnen ihre Luxus-Passionsgeschichten einfach nicht ab. Und Judith Hermann schon gar nicht.

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