Move It!

29. August 1958

Skiffle hatte Britanniens Jugend über die schlimmsten Jahre hinweggeholfen. Die Nachkriegsdepression war zwar primär wirtschaftlicher Art, doch wo Häuser in Trümmern liegen und die Lebensmittel streng rationiert sind, bleibt nicht viel Raum für musikalischen Übermut. Rock’n’Roll? Ein Importschlager für eine kleine Minderheit verwegener Teenager, die sich die Nächte in den Bars und Cafes von Soho um die Ohren schlugen, wild tanzend und auf die widrigen Umstände pfeifend. „Diese Begeisterung für Rock’n’Roll ist ein beängstigendes Alarmzeichen“, schrieb das Popmusik-Blatt „Melody Maker“, „eine schreckliche Bedrohung, die resolut zu bekämpfen ist.“ Auch die seriöse Presse beklagte „den unbritischen, anarchischen Geist dieser sogenannten Musik“, verlangte nach „erzieherischen Maßnahmen, um dem Kult Einhalt zu gebieten“. Zu spät.

Im Laufe des Jahres 1958 brechen die Dämme, einer nach dem anderen. Im Februar sorgt der Elvis-Film „Jailhouse Rock“ für Rabatz bei Matinees, im März verursachen Buddy Holly & The Crickets bei ihrer UK-Tour lokalen Aufruhr, im Mai wird Jerry Lee Lewis mit Schimpf und Schande davongejagt, als publik wird, dass er seine 13-jährige Cousine geehelicht hatte. Im Juli betritt ein 17-jähriger Elvis-Clone namens Cliff Richard mit seiner Combo, den Drifters, die EMI-Studios in der Abbey Road, um zwei Tracks für eine Single aufzunehmen. „Schoolboy Crush“, eine flotte Teen-Ballade mit gepfiffenem Intro, soll die A-Seite werden, für die Rückseite lässt man den jungen Leuten gönnerhaft freien Raum. Den die für einen Song nutzen, nein, für ein ungehöriges Postulat titels „Move It!“.

Von Drifter Ian Samwell geschrieben, eröffnet „Move It!“ mit einem so grandios blitzendem Riff und fällt dann in einen so amerikanisch swingenden Rock’n’Roll-Groove, dass kaum jemand auf die Idee kommt, es könne sich um eine britische Band handeln. Auch der TV-Produzent Jack Good nicht, dem zufällig ein Azetat der Single in die Hände fällt. Es ist diese Flipside, die ihn „völlig unvorbereitet in die Magengrube trifft“ und „einfach umwirft“, wie er eilends dem Label und den Medien mitteilt. Goods Urteil hat Gewicht, nicht zuletzt aufgrund dieser neuen Weekend-TV-Show „Oh Boy!“, die im September anlaufen wird und für deren erste Sendung er den jungen Nobody Cliff Richard ausersehen hat.

Im August erscheint die Single, „Move It!“ gerät zum Hit, zuvor indes zum Menetekel in der Musikpresse. Von „gequältem, exhibitionistischem Gesang“ ist die Rede, der „leider en vogue“ sei, von „aggressiven Gitarren“ und dem „äußerst bedauerlichen Umstand“, dass die „Unkultur“ des Rock’n’Roll nun auch „die britische Popmusik erfasst“ habe. Wohl wahr.

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