MUSIK ZUM LESEN

Was für ein Lärm

Neu aufgelegte, exzellente Musiker-Biografie, die darüber hinaus mehr als nur Einblicke in die Geschichte des Blues gewährt

Can’t Be Satisfied

****1/2

von Robert Gordon

Die Schicksalsmächte, die sein Leben im Griff hatten, so Muddy Waters im Rückblick auf einiges Ehrbare und viel Verpfuschtes, hätten es am Ende gut mit ihm gemeint. Doch da war es für ihn bereits zu spät, sich selbst zu ändern. Hart und berechnend hatte ihn dieses Leben gemacht, herrisch auch, wovon seine weit verzweigte Verwandtschaft misstönige Lieder zu singen weiß. Wie Waters mit den Frauen und Kindern umsprang, die von ihm abhängig waren, lässt das Verdikt seiner Enkelin Cookie, ihr Großvater sei „not a very nice person“ gewesen, gnädig erscheinen. Auch Muddys Mitmusiker bekamen nicht selten die Unnachsichtigkeit ihres Brötchengebers zu spüren. Er habe eben, so der unter Kollegen kursierende Verdacht, das ihm widerfahrene Unrecht auf andere abgeladen. Gunst und Güte waren McKinley Morganfield so lange vorenthalten worden, dass er auch als Muddy Waters nicht freigiebig damit umging.

McKinley war Arbeiter auf einer Plantage und schon 28, als er von Alan Lomax entdeckt wurde. Der 26-jährige weiße Musikforscher aus Memphis war im segregierten Süden auf der Suche nach Robert Johnson, als er auf Morganfield stieß. Lomax machte Tonaufnahmen vor Ort, der Rest ist Geschichte. Die Robert Gordon in seinem fesselnden Buch erstmals vor zwölf Jahren aufrollte, und die nun anlässlich des 100. Geburtstags der Legende in erweiterter Fassung erneut publiziert wurde. Es ist eine Geschichte von Entrechtung und Entwurzelung, von Migration und Mannish Boys, von lärmerfüllten Schuppen in Chicago und folglich notwendiger Elektrifizierung von Gitarren.

Gordon beschreibt die Evolution des Blues in eindringlichen Worten und wirft nebenbei Licht auf einen Musikbetrieb, der bei allem Lug und Trug den Künstlern auch ungeahnte Möglichkeiten bot. Leonard Chess war gewiss kein Philanthrop, in ihm wohnte eine Krämerseele, und doch wurde Chess Records zum Umschlagplatz dieses neuen Stils, den sie Rhythm & Blues nannten. Linear ging die Metamorphose des ländlichen Folk-Blues zum urbanen R&B nicht vonstatten, in Leonard Chess sträubte sich ein europäisch geordnetes Kunstempfinden gegen diesen rohen, ungeschliffenen Sound. „What’s that noise“, soll er entsetzt ausgerufen haben, als er Muddy und dessen Band erstmals im Studio erlebte. Fast 30 Jahre lang sollte das durchaus familiäre Geschäftsverhältnis zwischen dem jüdischen Einwanderer aus Polen und dem Armutsflüchtling aus Mississippi halten. Muddys „I Can’t Be Satisfied“ wurde der erste Hit für Chess, derselbe Song, den McKinley sieben Jahre zuvor Alan Lomax vorgetragen hatte, barfuß vor seiner Hütte im Delta. (Canongate, ca. 20 Euro)

I Dreamed I Was A Very Clean Tramp

**1/2

von Richard Hell

Als Lektüre so zwiespältig wie ihr Objekt, bietet die Autobiografie von Richard Hell eine Fülle von Fakten, stets überlagert indes von Hells Attitüden. Nichts gegen seine Rebellion-over-Skill-Maxime, denn nicht zuletzt davon lebte Punk, doch Hells Reklamation, als dessen Erfinder anerkannt zu werden, war schon immer lachhaft. Immerhin räumt er ein, dass „the concept of anarchy“ wirksamer und „a lot more fun“ gewesen sei als das einer „blank generation“. Sonst erfahren wir viel über Hells Dichterstolz, die Verfügbarkeit von Drogen sowie über Größe und Form ungezählter Busen, deren Bekanntschaft er machen durfte. (Ecco/Harper Collins, 30 Euro)

The Rise And Fall Of The Clash

***

von Danny Garcia

Ein Buch, das nur vor dem Hintergrund des gleichnamigen Doku-Films Sinn ergibt, weil ganze Kapitel aus Abschriften dialogischer Exzerpte bestehen. Dazu gibt es vor allem tolle Fotos der Aufrechten und ihres Anhangs sowie Making-of-Details bis zur kontraproduktiven E-Mail-Korrespondenz mit Bernie Rhodes. Dem Aufstieg wird nichts Neues abgerungen, dem Fall schon, in den Worten von Beteiligten, aber auch von externen Beobachtern. (Thin Man Press, 15 Euro)

Read &Burn ***1/2

von Wilson Neate

Mehr als 35 Jahre nach ihrer bahnbrechenden LP „Pink Flag“ gibt es Wire wieder, eine den Konventionen des Pop-Betriebs feindlich gesinnte Band, die sich nicht in Nostalgie ergehen möchte. Wilson Neate nimmt dieses Privileg ahistorischer Kunstbetrachtung auch für sich in Anspruch, meidet Rückblenden, geht kaum auf die Songs oder gar discografische Details ein und lässt die Band selbst analysieren, nicht ohne Widersprüche freilich. (Jawbone, 25 Euro)

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