Die Guttenbergs im Kaufhaus

Nachdem wir am Vormittag eine ganze Weile ergebnislos durchs Kulturkaufhaus getigert waren, hatte mein Kumpel Moritz mir geraten, diese Folge Pop Shopping doch besser in einer Apotheke durchzuführen. Gibt irgendwie grad keine Platten, diktierte er mir ins Notizbuch, die interessantesten Neuerscheinungen des Monats sind Produkte der Pharmaindustrie. Oder das Sarrazin-Buch, er hob das rote Skandalwerk von der Palette, wie es denn damit wäre? Tja. Lustig wäre ja nur, man würde das wirklich von vorn bis hinten durchlesen, nicht nur nach „Stellen“ durchforsten, nicht nur das jetzt schon legendäre achte Kapitel, das Sigmar Gabriel im Literarischen Quartett bei Maybrit Illner hervorgehoben hatte – und das schaffe ich leider nicht.

Die neuen Platten waren rasch gesichtet, die Hurts-CD und die Single von Robbie Williams und Gary Barlow hatte ich leider schon bei iTunes gekauft. Zu Phil Collins immerhin fiel Moritz etwas ein, den hatte er kürzlich im Genfer Barschel-Hotel „Beau Rivage“ interviewt: „Echt wahr, dass Männer vor der Glatze größere Angst haben als vor der Atombombe? Welches Haarwuchsmittel können Sie empfehlen? Sind Sie einer von den Männern, die sagen, dass Steve McQueen heute eine Glatze hätte, wenn er noch am Leben wäre?“ Gerade wollten wir den Einkauf abbrechen und tatsächlich zur nächsten Apotheke stiefeln, da erblickten wir einen Aushang: Am frühen Abend würde die Frau des Bundesverteidigungsministers, Stephanie Freifrau zu Guttenberg, hier im Kulturkaufhaus ihr verdienstvolles Buch über sexuellen Missbrauch vorstellen. Ach, mein geliebtes Kulturkaufhaus, hier ist doch immer was los, so was erlebt man ja bei iTunes nicht.

Als ich dann deutlich vor Beginn der Veranstaltung erneut im Kulturkaufhaus ankam, drängten sich dort schon viele Fans der Familie zu Guttenberg, ganz vorn in der Schlange stand Mainhardt Graf von Nayhauß, der Grandseigneur des Regierungsviertelgeflüsters, berühmt geworden durch die Großtat, einst Kohls Klodeckel im Kanzler-Jet auszumessen, was ihm unter missgünstigen Kollegen den Spitznamen „Graf Scheißhaus“ eingebracht hatte. Um mein Vordrängeln zu legitimieren, hielt ich einen kurzen Schwatz mit ihm, fragte, ob er die vormittägliche Haushaltsdebatte live im Parlament verfolgt habe. Nur am Fernseher, sagte der Graf, denn er habe zeitgleich noch für die „Bunte“ einen Text über Maybrit Illner verfassen müssen. Am Fernseher aber sei ihm wieder einmal aufgefallen, wie potentiell unangenehm Birgit Homburgers Stimme sei, eine solche, eher höherlagige Stimme müsse man doch im Zustande der Verärgerung dämpfen, sonst wirke das so keifig, sagte der Graf.

Wir kriegten prima Plätze, der Kulturkaufhauskeller füllte sich rasch, die Menschen lieben Frau zu Guttenberg, und sie sprach ja obendrein über ein wichtiges, ernstes Thema. Plötzlich Unruhe: tatsächlich, ER! Lichtgestalt, Opel-Staatshilfen-Verweigerer, Wehrpflichtabschaffer, reformierender Konservativismusbewahrer, King of „Beckmann“! Da kam also wirklich Herr zu Guttenberg, stellte sich betont unauffällig an eine Säule im hinteren Teil des Raums, um seiner Frau zuzuhören und nicht die Publikumsaufmerksamkeit zu absorbieren. Schon merkwürdig, dieses Paar sagt lauter einleuchtende Dinge, und doch ist einem ihre Freundlichkeit und Eloquenz nicht ganz geheuer, ein bisschen strahlen sie aus, dass es ein Gnadenakt ist, sich mit uns hienieden abzugeben. Ist nur so ein Gefühl. Eins der verqueren Sorte, weil der Umkehrschluss so deprimierend ist: Vertrauen in das Gegenmodell, etwa eine Politikbetriebsnudel wie Birgit Homburger, die außerhalb des Parteienapparats ein jaulender Sozialfall ist in dem Sinne, dass man sie sich gar nicht außerhalb vorstellen kann? So oder so, als Projektionsfläche ist das Ehepaar zu Guttenberg bestens geeignet.

Ich ging nach oben, hatte jetzt wenigstens eine brauchbare Arbeitshypothese für meinen Einkauf: Kulturgüter für einen Abend mit Familie zu Guttenberg! Die beiden bringen ja zunächst mal so eine „Deutsche Grammophon“-Saite in einem zum Klingen, Wagner wäre zu platt, also – immer gut – von Pollini eingespielte Beethoven-Klaviersonaten. Was noch? Dass die beiden gern AC/DC hören, ist bekannt, deren Platten brauchen sie folglich nicht. Ein Jubiläums-Sampler von G-Stone wäre zum einen angenehme Hintergrundmusik für einen großbürgerlichen Plausch, und die Motti der zwei CDs ergäben zudem ein geeignetes Fundament, kurz die aktuelle Konservativismusdebatte zu streifen: „13 F**king new Tracks“ und „16 F**king Classics“ – das ist doch exakt Guttenbergs Argumentationslinie. Auch könnte man mit Verweis auf das Label K7 ein wenig über Wien sprechen, „Ich liebe ja Wien“, würde ich sagen, und schon gäbe ein Wort das andere. Schließlich würden wir noch gemeinsam einen Film angucken, „Der Krieg des Charlie Wilson“ wäre eine zu augenzwinkernde Wahl, unangebracht, aufdringlich, nehmen wir also „Wall Street“; bevor nun bald Teil 2 ins Kino kommt, noch mal die Ur-Saga prüfen (und ihn mal fragen, wie ihm der Name Gordon Gekko gefällt).

Der Abend würde voranschreiten, und vielleicht schätze ich Frau zu Guttenberg ganz falsch ein, aber ihr Wollfadenröckchen und die hochhackigen Samtstiefel ließen mich vermuten, dass sie die Art Dame sein könnte, der man etwas später am Abend eine große Freude mit ein paar Kloppern von Diana Ross machen kann. Mit dieser gut gemischten Einkaufstüte rannte ich zurück in den Kulturkaufhauskeller, doch die Guttenbergs waren schon weg.

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