Nach drei sprachlosen Jahren haben die Einstürzenden Neubauten mit „Ende Neu“ eine lyrische Platte gemacht

An einem der wenigen Sommertage, die Hamburg in diesem Jahr bisher erlebte, sitzt Blixa Bargeld mit schwarzem Strohhut unter einem Sonnenschirm bei Weißwein, Spaghetti Arabiata und Zigarre, ein gelassener Bürgerschreck im aufgebügelten Anzug. Ja, ja“, meint er, „irgendwie ähnelt unsere neue Platte „Ende Neu“ dem Album „Kollaps“ von 1981.“ Das entstand damals in zehn Tagen. Der Engineer sagte nur: „Drücken Sie hier auf record.“ Danach verschwand er, weil er nicht im Preis enthalten war. Heute verkaufen die Neubauten von „Kollaps“ im Monat noch rund 300 Stück. Darauf kann man ruhig „irgendwie stolz“ sein, auch wenn es überhaupt nicht passen mag zu der Zerstörerattitüde, welche die Neubauten bis heute umgibt.

Unser Kulturstandort Deutschland. Als einzige Band überlebten die Einstürzenden Neubauten die experimentelle Neutöner-Ära der 80er Jahre. Sie etablierten sich mit ehrwürdigen Theaterprojekten, die ihre Existenz auch dann sicherten, wenn das alte Neubauten-Label Some Bizarre keine Tantiemen zahlte. Aber wie kann es passieren, daß nach drei sprachlosen Jahren eine derart lyrische Platte entsteht? Immerhin war die Band seit „Tabula Rasa“ (1993) der Auflösung näher als einem Album. Nicht wegen tiefer Feindschaften, „eher, weil wir ohne Diskussion in der herkömmlichen Form gearbeitet haben, obwohl sich alle weiterentwickelt hatten“, meint Bargeld.

Irgendwann fiel ihm nichts mehr ein, bis zu dem Tag, als die Berliner Schauspielerin und Sängerin Meret Becker ins Projekt einstieg, die vor kurzem den Neubauten-Gitarristen Alexander Hacke geheiratet hat. Das inbrünstige Becker/Bargeld-Duett „Stella Maris“ riß dem Neubauten-Sänger seinen ganzen mühsam gezimmerten Writers-Block auseinander. Von da an schrieb er jeden zweiten Tag einen Text. „Die langsamen Stücke leben länger“, sagt Bargeld vieldeutig, und vielleicht hat er dabei die Balladen von Nick Cave und Kylie Minogue im Hinterkopf.

Es ist noch gar nicht so lange her, da stapfte Blixa Bargeld als Dichter „durch den Dreck bedeutender Metaphern“. So unterschiedlich seine Texte die Welt auch ausloteten, drei Buchstaben fehlten nie: i-c-h. „Ich steh auf Krach“, hieß es auf „Kollaps“, bekannter ist „Fütter mein Ego“. Erst auf „Tabula Rasa“ veränderte sich der Blickwinkel, gab es ein Gegenüber, eine Brechung der eigenen Person – gemeint als „Verneigung vor der Größe der Frau“.

Vom Ego, zum Sie, zum Wir – auf dem neuen Album wollte Bargeld Texte schreiben, die aufrichten, sollte man einen Schub Energie brauchen. „Ich wollte den Duktus von politischer Musik, aber ich kann nicht ‚Keine Macht für niemand‘ singen“, erklärt er, überlegt und verbessert sich: „Na ja, das vielleicht am ehesten.“ Seine politische Heimatlosigkeit endete bei ironischen Menschheitsbetrachtungen. „Zwei Dinge sind unendlich: die Dummheit und das All – ich meine, mit so einer Songzeile werden wir die Bundestagswahl nicht gewinnen“, meint Bargeld spöttisch und wundert sich über Widerspruch.

Man macht ein Gesetz, man folgt einem Gesetz, man bricht das Gesetz. Hauptsache: keine Wiederholungen. Das musikalische Konzept „Einstürzende Neubauten“ scheint auch auf den Menschen Blixa Bargeld ganz gut zu passen. Als Avantgardist hat er sich aber nie gefühlt, obwohl es die Verwandtschaft zu den futuristischen Musikkonzepten Anfang des 20. Jahrhunderts nahe legen könnte, die soweit ging, daß die Neubauten sogar das Klanglaboratorium des Futuristen Luigi Russolo für einen Videoclip nachbauten. „Das Lied schläft in der Maschine“ – daß die italienischen Futuristen als Erneuerer begannen und als Kriegsverherrlicher endeten, davon distanziert sich Bargeld allerdings ebenso wie von Arnold Schönberg, dessen Begriff der Atonalität in den 80er Jahren fälschlicherweise für experimentierfreudige Klangerzeuger wie die Einstürzenden Neubauten verwendet wurde. In Amerika hießen diese Industrialbands. Bargeld erinnert sich noch genau an den ersten deutschen Artikel über Industrial im „Musik Express“: „Da wurden aufgezählt Devo, Pere Ubu und Throbbing Gristle.“

Nicht nur, weil diese Bands wirklich nichts miteinander gemeinsam haben, mißtraut Bargeld den Kategorien und Systemen, was nicht mit Nihilismus verwechseln werden sollte. Alles kann ein Rätsel bleiben, so wie beim Titel „Explosion im Festspielhaus“ etwa, der auf „Ende Neu“ völlig unklar läßt, ob er eine Karikatur ist, Agitation oder ein Quiz. „Dieser Song ist einfach verschlüsselt“, meint Blixa Bargeld. Und wieviele Leute verstehen ihn? „Nur meine Freundin“, sagt der Neubauten-Sänger schelmisch, zündet seine Zigarre wieder an und fügt dann hinzu: „Aber der Text ist doch auch so sehr schön.“

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