Nach einem rastlosen Leben on the road legt Mike Watt den Rückwärtsgang ein

Hier kommt die Geschichte von Richard James Watt. Er ging zur U.S.Navy, weil er es in dem kleinen Kaff, in dem er aufgewachsen war, nicht mehr aushielt. Dann war er die meiste Zeit unterwegs, auf dem Meer – und wenn er mal nach Hause kam, dann wurden meistens Umzugskisten geschleppt. Irgendwann streikte seine Frau. Denn als sie in die Kleinstadt Pedro gezogen waren, sagte sie: Hier bleiben wir. In Pedro wuchs dann Sohn Mike auf.

Der gründete eine Band, weil er es in dem Kaff nicht mehr aushielt. Die meiste Zeit war er unterwegs, spielte mit seiner Band, den Minutemen, im ganzen Land. Sein Vater verstand nicht, was sein Sohn da tat. „Er war eben ein Soldat“, sagt Mike Watt. „Er sah mein Outfit. Und das reichte ihm. Er weigerte sich, meine Musik auch nur ein einziges Mal zu hören. Irgendwann kam ich auf die Idee, ihm Postkarten zu schreiben, wenn wir auf Tournee waren. Er hatte uns von unterwegs auch immer welche geschrieben. Ich wollte ihm klarmachen: Hier, ich mach ja etwas ganz ähnliches wie Du.“ Richard James Watt starb 1991 an Krebs. Zu einer wirklichen Verständigung mit seinem Sohn war es nie gekommen.

Mit seinem neuen Album „Contemplating The Engine Room“ erzählt Watt neben dieser noch eine andere Geschichte. Die nennt er eine „Punk-Rock-Opera“. Sie handelt von 24 Stunden im Leben dreier Männer im Maschinenraum. Jeder Song behandelt ein bestimmtes Ereignis zu einer bestimmten Tageszeit. „Es sind immer diese beiden Ebenen drin: Einerseits geht es um einen typischen Tagesablauf meines Vaters. Aber dann ist es auch ein Album darüber, wie es ist, in einem Rock-Trio zu spielen, einem Trio wie den Minutemen oder fIREHOSE.“ Konsequenterweise ist Mike Watt nach dem Allstar-Album „Ball-Hog Or Tugboat?“ denn auch wieder zur Trioform zurückgekehrt: Sein Baß steht im Zentrum der Musik. Stephen Hodges, ein alter Weggefahrte von Tom Waits, spielt Schlagzeug. Und Gitarrist Nels Cline hatte Watt bereits auf Tour begleitet.

Mit seiner Maschinenraum-Metapher setzt Watt dem Underground der 80er Jahre ein Denkmal. Dort unten schufteten ja die Punkrocker. Denn Kapitäne und Steuermänner des großen Kreuzers Rockmusik waren stets andere. „Ich denke immer wieder an diese Zeit, und ich wollte sie irgendwie festhalten. Black Flag, die Minutemen, Hüsker Dü – hätte es diese Jungs nicht gegeben, wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Heute reden alle nur noch von Bands wie Nirvana und Pearl Jam. Oder Kinderkram wie Green Day. Die Leute, die Punkrock in Amerika losgetreten haben, sind vergessen.“ Mike Watt – Historiker in eigener Sache.

Besonders der Tod seines Jugendfreundes D. Boon beschäftigt ihn noch immer. Boon gründete mit Watt die Minutemen und starb 1985 bei einem Unfall. Beim Interview erzählt Watt immer wieder von ihm, ganz jäh und unvermittelt. „Natürlich handelt diese Platte auch von ihm. Wenn er nicht gewesen wäre, könnte es sie nicht geben.“ Es gehe ihm nicht um Sentimentalität, sagt Watt immer wieder. Eher darum, über das In-eine-Form-bringen der eigenen Geschichte seinem Leben Kohärenz zu geben. Vielleicht im Sinne von Philip Roth, der seine autobiographische Erzählung „Mein Leben als Sohn“ mit den folgenden Worten enden läßt: „Du sollst nichts vergessen.“

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