Das Orchester inspirieren: Der Bassist Mike Watt versammelte die Creme der amerikanischen Rock-Avantgarde

Wenn Mike Watt sich erinnern müßte, wie lange er und dieses Holzfällerhemd schon zusammen durch die Gegend laufen, käme er sicher ganz schön ins Erzählen. Wir sitzen in der Lobby eines vornehmen Hotels, und die Gäste am Nebentisch schielen herüber, als ob sie Catweazle erkannt hätten. Watt sieht nicht aus wie einer, der Komfort braucht. Die ergrauten Haare weisen ihn als alten Indie-Seebären aus, aber der Mann ist von einem Rock-Opa so weit entfernt wie PJ Harvey von Dagmar Berghoff. Er platzt vor Energie. Wer sonst würde wohl die Kraft aufbringen, in jedem Satz jedes einzelne Wort zu betonen?

Kaum zu glauben, daß Mike Watt Baß spielt Bassisten halten das Maul, tun ihren Job und holen das Bier. Wenn sie Solo-Platten machen, ist das immer ein bißchen so, als würde der Kellner auf einmal anfangen zu kochen. Also, ein typischer Baßmann ist Watt jedenfalls nicht Aber auch solche wie ihn gab es schon. Musiker, die vom Baß her komponieren, die sich als Impuls und Energiequelle verstehen. „Er inspirierte auf seinem Instrument das ganze Orchester. Er lieferte die Materialien, auf denen die Musiker aufbauen können – mit seinem treibenden Beat, seinem persönlichen Magnetismus und der Intensität seiner spontanen Einfalle.“ Das sagte einst Günther Schuller über den großen Baßmann Charles Mingus. Und es könnte, Wort für Wort, auch auf Mike Watt gemünzt sein.

Nach der Auflösung des Trios fIREHOSE sehnte er sich nach einem neuen Ur-Erlebnis. „Ich wollte Chaos spüren und daraus etwas ganz Neues machen“, sagt Watt So telefonierte er beinahe den gesamten amerikanischen Rock-Underground ab und lud zum Mitspielen ein: Von den Rest-Nirvanas bis zu Eddie Vedder, von den Beastie Boys bis Evan Dando sagten alle zu. „Ich lebe in Los Angeles, da konnte jeder mal reinschauen.“ Die Plattenfirma wiederum freute sich, eine Allstar-Band des Grunge vermarkten zu können – aber Watt verbot jede kompromittierende Werbung. Keine Plakate mit name dropping, kein Sticker auf dem Cover, nichts.

Er sieht sich nun mal nicht als Robert Altman des Alternativen Rock – und was für andere Stars sein mögen, sind für ihn Freunde. Er nutzt einfach die Tatsache aus, daß auch die Protagonisten der jungen Rock-Generation ihre Minutemen und fIREHOSE-Alben im Schrank stehen haben.

Schon ein bißchen merkwürdig, dieser Anspruch, bis ins hohe Alter darüber wachen zu wollen, ob die kids denn noch alright sind. Watt legitimiert ihn durch seinen Ur-Impuls: Punk. Das ist überhaupt die einzige Vokabel, auf die er sich festnageln läßt. „Gibt es alternative Fluglinien? Alternative Autobahnen? Wir leben doch alle in dieser Gesellschaft“ Mike Watt versteht Punk im Sinne von Neil Young und Miles Davis: immer wieder alles umschmeißen, sich dem Chaos aussetzen, nochmal von vorn anfangen.

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