Neil Young

Er gleicht einem Bison. Aufrecht, stark und störrisch, eines der letzten Exemplare einer aussterbenden Art. NEIL YOUNG stapft voran. Und gewährte ein rares Interview über sonische Ideale, politische Fanale und seine neue LP "Are You Passionate?".

Es ist 12 Uhr mittags, Neil Young schläft Es sei spät geworden gestern, erklärt sein langjähriger Manager und Vertrauter, Elliot Roberts. Kein Grund zur Besorgnis, das Interview werde später stattfinden. Neil lasse sich da nun mal nicht festlegen, er folge seiner inneren Uhr. Ich möge mich doch einfach zur Verfügung halten, mein Hotelzimmer nicht verlassen und mich stündlich melden. 13 Uhr, Neil schläft noch. Die Presse-Lady der Gebrüder Warner, die halbstündlich aus Burbank, California anruft, wirbt seufzend um Verständnis. Ich wisse ja, wie schwierig es sei, Neil überhaupt zu längeren Gesprächen mit Journalisten zu bewegen, da müsse man sich in Fragen des Wo und Wann ganz nach dem Künstler richten. Nun, am Wo ist nichts auszusetzen. Boston, Massachusetts. Schöne Stadt mit ausgeprägt anglophilem Flair. Das Wann ist das Problem. 14 Uhr, Neil ist wach. So die Wasserstandsmeldung aus dem Ritz Carlton. Eine Stunde später hat er bereits gefrühstückt, dann geht es schnell. Neil sei gut aufgelegt, gibt Roberts frohe Kunde, und er wolle mich sehen. Right turn. Der große Exzentriker des Classic Rock, Süßholzraspler und begnadeter Berserker in Personalunion, macht freundliche Miene zum ungeliebten Spiel. Nein, teilt er mir später mit, es interessiere ihn nicht, was über ihn geschrieben würde. Kritiken lese er selten. Und wenn, dann nur die ersten und die letzten Zeilen. Es sei alles so schrecklich subjektiv. „Wenn ich singe, höre ich in mich hinein und spüre genau, wann der Punkt erreicht ist, von dem es kein Zurück mehr gibt. Nenn es Ergriffenheit, nenn es, wie du willst, darauf kommt es an. Oder wenn das Publikum völlig durchdreht und du eins mit ihm wirst, das ist es, was zählt. Nicht, was ein Reporter da hineinliest.Vor ein paar Tagen erst habe ich ein Review in einer Tageszeitung gelesen, ausnahmsweise, da schrieb einer, wie wunderbar ,Helpless‘ war. Das hatten wir gar nicht gespielt. Der Typ hat seinen Text geschrieben, ohne dabei gewesen zu sein. Wahrscheinlich sogar schon vor dem Konzert“. Young verzieht angewidert das Gesicht. Big deal, Neil. Es gibt also nichtsnutzige Kritiker. Wie es erbärmliche Musiker gibt „Yeah“, konzediert Young, „aber die gehen mich nichts an.“

Woher Neil Youngs Aversion gegen Kritik letztlich rührt, lässt sich nicht klären. Seit er ihn kenne, sagt Roberts, sei Neil misstrauisch gegenüber Leuten, die sein Werk bewerten. Das wären immerhin gut 30 Jahre. Schwer nachzuvollziehen, bedenkt man, wieviel Respekt dem musikalisch unberechenbaren Künstler von der schreibenden Zunft entgegengebracht wird, welche Hochachtung er gerade bei Kritikern genießt Immerhin hat der Mann mehr Haken geschlagen als der durchschnittliche Hase und sich öfter neu erfunden als Bowie. Youngs Reputation als eigenbrötlerischer Maverick, der stets das Unerwartete tut und sich jedem Karriere-Tuning widersetzt hat ihn in der Branche nicht eben beliebt gemacht Dafür wird er geliebt. Neil Youngs Fans gehören zu den treuesten, unerschütterlichsten. Weltweit. Nicht alles, was der Grantler ausheckt, wird gleichermaßen goutiert. Zu groß sind die Abstände zwischen Rockabilly und Synth-Experimenten, Country und Blues-Rock, lieblichen Balladen und Grunge-Gewittern. Keiner stellte die Geduld seiner Gemeinde auf so harte Proben, keiner kann sich auf ihre Loyalität so verlassen. Natürlich bediente auch Neil Young von Zeit zu Zeit so manches müde Rock’n’Roll-Klischee, selbstironisch oft, ja sarkastisch. Rockin‘ in the free world! Dann wieder kehrte er sein Innerstes nach außen, machte Herzflimmern hörbar, schonungslos intim und trunken von Sentimenten und Honigmelonen-Melodien.

The Loner? Nur, was die musikalische Autonomie betrifft. Autark ist auch Neil Young nicht Im Gegenteil. Er hat im Laufe der Zeit ein engmaschiges Netz von persönlichen Freundschaften und beruflichen Abhängigkeiten gewoben, die sich nicht immer vereinbaren lassen. Etliche seiner Band-Babies sind gone, but not forgotten. The Blue Notes, The Stills/Young Band, The Shocking Pinks, The International Harvesters, 10 Men Working, The Trans Band, Gone With The Wind Orchestra, The Lost Dogs, The Ducks, The Santa Monica Flyers, Young And Restless. Andere werden bei Bedarf wiederbelebt. The Stray Gators etwa, um den Produzenten Ben Keith, mit denen Young einst sein Erfolgsalbum „Harvest“ aufgenommen hatte und die er für daran gemahnende LPs aus der Versenkung holt, für „Harvest Moon“ natürlich und für „Silver And Gold“.

Existenzieller für die beteiligten Musiker sind Youngs Aktivitäten betreffs der noch arbeitenden Gruppen. Crazy Horse und Booker T. & The MGs, mit denen er gerade das neue Album „Are You Passionate?“ fertiggestellt hat und seit Jahren alternierend tourt. Und natürlich Crosby, Stills, Nash & Young.

Derzeit rollt nun die vierte CSNY-Reunion durch Amerikas größte Hallen. Das Fleet-Center in Boston wird zweimal bespielt, hätte aber auch locker ein drittes Mal ausverkauft werden können. Zu Ticketpreisen, die in Europa für Entsetzen sorgen würden. Dennoch mutet die Menge im riesigen Rund an wie ein Hippie-Auftrieb. So viele Baerte und Batikhemden sind seit den Tagen der Dead nicht mehr zusammengekommen, in den Wandelgängen wird man von freundlich lächelnden Frauen angesprochen, die Info-Stände betreuen und politische, soziale, ökologische oder esoterische Anliegen haben. No, thanks. Alles wie seinerzeit also, außer: Es wird nirgendwo geraucht. Thanks.

„Carry On“ eröffnet die zweieinhalbstündige, gut drei Rock-Dekaden umfassende Show. Die Harmonies sind nicht mehr ganz so ausgefeilt wie ehedem, ein paar Vokaleinlagen sind tiefergelegt und wirken etwas ausgefranst, doch dafür rockt die Band mehr als manierlich. Nashs pazifistischer Appell „Military Madness“ gewinnt im Licht aktueller Ereignisse erfreulich Gewicht, Crosbys „Almost Cut My Hair“ avanciert zum piece de resistance, kämpferisch gesungen und mit Karacho gespielt „Letting my freak flag fly“: eine Proklamation, nicht weniger, in die der beleibte, weißharige Walrossbartträger soviel Stolz und Trotz packt, dass das affirmative Johlen der Menge den Boden des Fleet-Center zum Beben bringt. Auch die Gitarren-Duelle lassen Funken sprühen, Youngs Distortion steht einen Tick hinter dem Beat, während Stills‘ Blues-Läufe zu enteilen drohen. Ungleichere Sparringspartner wird man nicht finden, doch ist es just die offene Austragung dieser Stilkonflikte, die für die Spannung sorgt und „Southern Man“ befeuert, das apokalytische „Wooden Ships“ und Youngs neuesten Crowd-Pleaser „Going Home“. Klingt auf der neuen Platte wie ein Outtake der „Zuma“-Sessions, Neil rittlings auf Crazy Horse, eingangs General Custers Untergang beschwörend, gen Ende in eine glutrote Sonne galoppierend. Mindblowingstuff. Und auf der Bühne des Fleet Center von CSNY überzeugend nachgestellt. Um der Chronisten-Pflicht zu genügen: Es gab auch ein paar Hänger, sämtlich aus der neueren Schaffensperiode.

„If we don’t do new songs tonight“, fragte Graham Nash treuherzig, „what the hell are you guys going to listen to in 25 years?“ Ganz sicher werden wir nicht Nashs schauderhaft sämiges „Half Your Angels“ hören oder Stephen Stills‘ lachhaft pathetisches „Feed The People“, ein platter Singsang zu hölzernem Hopplahop und dem so gutgemeinten wie bös missglückten Refrain „Try now to feed the people everywhere and let the peace begin“.

Neil Young hält sich in solchen Momenten der Peinlichkeit merklich zurück. Dennoch: Er ist es, der den anteilsmäßig größten Teil der Show bestreitet Es sind Youngs Musiker, die den Backdrop bilden: Booker T Jones an der Orgel, Donald „Duck“ Dunn am Bass und Steve Potts am Schlagzeug. Es ist seine Bühnendekoration: die Kerzen und Palmen, die Giraffe und der alte Holzindianer. Was hat die einst so glorreichen Vier schon wieder zusammengeführt, zweieinhalb Jahre nach der letzten, finanziell überaus lohnenden Tour? Blöde Frage, werden Zyniker sagen: genau das. Fans indes erinnern sich an unmissverständliche Signale, die das Ende des illustren Quartetts einzuläuten schienen. „Thrasher“ etwa, Neils bitterer Abgesang auf die ehemaligen Mitstreiter. Heute lächelt er nachsichtig. ,“Thrasher‘ kam vor 23 Jahren raus, seither ist eine Menge passiert. Wenn ich es mir recht überlege, war ich diesmal die Triebfeder hinter der Tournee. Ich fand, dass die Zeit reif war. Ich hatte lange mit Crazy Horse gespielt, wollte danach aber nicht allein arbeiten, sondern in einem anderen Team.“

Das korrespondiert mit Verlautbarungen anderer Team-Player. Ohne Neil Young scheint hier und da nicht viel zu laufen. Crazy Horse stehen im Stall, während CSNY aktiv sind und umgekehrt. Frank „Poncho“ Sampedro wird Neil auf dessen nächster Tour begleiten, die ihn auch nach Europa führen wird, mit Booker X, seiner Frau Pegi und seiner Schwester Astrid. Crazy Horse und CSNY werden zwangsläufig pausieren müssen. Was nicht einer gewissen Ironie entbehrt. Immerhin waren Crazy Horse eine eigenständige Band, bevor sie Neils Bekanntschaft machten, ja bevor sie Crazy Horse hießen. The Rockets nannten sie sich, doch erst mit Youngs „Everybody knows This is Nowhere“ machten sie sich einen (neuen) Namen.

Mit Crosby, Stils and Nash verhielt es sich andersherum. Das Trio war ganz oben, Young vergleichsweise ein Nobody, als er die Offerte erhielt, der Gruppe als gleichwertiges Mitglied beizutreten. Inzwischen haben sich die internen Kräfteverhältnisse geändert. „Wir warten auf Neil“, erklärte David Crosby vor einigen Monaten auf die Frage, ob es denn eine weitere CSNY-Tour geben wird. „Whenever he’s ready, we are.“ Auch Horse-Drummer Ralph Molina hat sich mit der Lage arrangiert „Neil is a genius“, sagt er achselzuckend, „he has to travel down what avenue he needs to.“

Ist es nicht eine Bürde, wenn neben der Familie auch noch eine ganze Reihe Kollegen von den Entscheidungen Neils nachhaltig betroffen sind? Erst recht, wenn er abwechselnd mit drei Bands arbeitet, von denen zwei auf stand-by geschaltet werden. Mal ganz abgesehen davon, dass zwischendurch ja auch mal eine Solo-Tour anfallt „Das ist wahr“, antwortet Young ernst, „aber eine Bürde würde ich das nicht nennen. Eine gewisse Verantwortung schon. Nur, was kann ich tun? Ich folge meinem Gefühl, ich mache das, was mir jeweils richtig erscheint Aber es stimmt schon, wenn ich länger darüber nachdächte, würde mir das die Entscheidung nicht gerade erleichtern. Nach dem 11. September gestaltete sich diese Frage noch komplizierter. Zuerst bordeten die Emotionen über, dann verschlossen sich viele Menschen. Machten einfach dicht. Eigentlich hatte ich ja vorgehabt, die neuen Songs zu spielen, mit den Musikern, die auf dem Album zu hören sind. Aber Musik kitzelt schon Emotionen hervor, wenn die Zeiten weniger gefühlsgeladen sind. Ich wollte einfach nicht dass sich alles über mir alleine entlädt. Mit CSNY verteilt sich das besser. Es ist wie beim Super Bowl neulich. Das eine Team kam einzeln heraus, wie es die Leute gewohnt sind. Das andere kam gemeinsam aufs Spielfeld. That seemed to be a Statement that reflected the times, it had a lot more to do with what’s going on in the country now. Ich glaube, dass unsere gemeinsame Tour diese Idee in sich trägt: share the load.“

Man verstehe sich generell besser in den Staaten seit dem Anschlag, sei enger zusammengerückt. Was durchaus auch die internen Beziehungen bei CSNY günstig beeinflusst habe. Wenn die Egos einen Schritt zurücktreten, deutet Neil Young die jüngste Entwicklung, sei der Blick auf das Ziel unverstellter: die Musik. Das von einem Mann, der in einem ROLLING STONE-Interview auf die Frage, ob er lieber mit CSNY oder mit Crazy Horse spiele, mit dem schönen Vergleich geantwortet hatte: Mit CSNY sei das, als ob man zu den Beades gehörte. Mit Crazy Horse, als spielte man bei den Rolling Stones. So weit, so diplomatisch. Doch dann legte Neil nach: „The Stones have always been my favourite band.“ Im CSN-Camp war man nicht amüsiert. Vor allem Stephen Stills schien gekränkt. Ein rundes Vierteljahrhundert ist das jetzt her. Neil Young lacht. Er wisse nichts von derartigen Verstimmungen, würde die Aussage sogar jederzeit wiederholen. Er habe immer noch eine Präferenz für härtere musikalische Gangarten, obschon die alte Dichotomie doch längst einer Koexistenz gewichen sei. Und unbestreitbar werde man gelassener mit zunehmendem Alter, mellower. Neil wird im November 57 Jahre alt. Seine sprunghaften Stilwechsel von Platte zu Platte werden uns erhalten bleiben. In wechselnden Formationen zu spielen, halte die Langeweile auf Distanz. Im Übrigen seien die Unterschiede gar nicht so extrem wie gern behauptet.“Die Platten mit Crazy Horse sind Etappen einer musikalischen Entwicklungslinie, die akustischen sind miteinander verwandt, die Gemeinsamkeiten überwiegen.“ Und dass zum Beispiel das sanft-romantische „Harvest Moon“ unmittelbar auf die drei äußerst lärmigen Alben „Arc/Weld“, „Ragged Glory“ und „Freedom“ gefolgt war, habe im Wesentlichen organische Ursachen gehabt Genauer: eine temporäre Hypersensibilisierung der Hörnerven, „brought on by playing so loud for so long“.

Eine beinahe fatale Geschichte, nicht weil uns ohne das Gehör-Malheur „Harvest Moon“ erspart geblieben wäre. Ein Drahtseilakt auf Zehenspitzen, traumwandlerisch. Nein, sondern weil für den Klangästheten eine Welt zusammengebrochen wäre, wenn sich sein Hör-Handicap zu einem chronischen verschlechtert hätte. Der audiophile, allzeit nach authentischer Soundreproduktion trachtende und nicht eben zu Kompromissen neigende Musiker hatte ohnehin bereits mehr als genug peinsame Hörlebnisse zu erdulden seit Einführung der CD Anfang der 80er Jahre.

Die digitale Revolution. Ein gigantischer Schwindel: mehr Geld für minderwertigere Tonträger. Sagt beileibe nicht nur Neil Young. Doch gehört er zu den wenigen namhaften Aufrechten, die sich nicht mit der neuen Industrienorm abfinden mochten. Während die meisten CD-Verächter irgendwann die Segel strichen, weil ihnen der Gegenwind zu lästig wurde, räsonierte Ybung mit den Apologeten des Digitalismus, setzte ihnen mit aufklärerischen Beiträgen in den Medien zu und arbeitete derweil mit Hochdruck an einer Verbesserung der Audio-Misere. Nicht übermäßig erfolgreich, räumt er ein. Mancher Weg habe in eine Sackgasse geführt, doch glaubt er nun, ein zukunftsträchtiges, digitales Format gefunden zu haben, mit dem sich sogar eingefleischte Analogiker anfreunden könnten: DVD-Audio.

Bis hierher war es gemütlich. Neil in entspannter Haltung, die Stimmlage tief, der Redefluss ohne Hast, der Ton eher beiläufig. Laid back. Der Augenkontakt brach zwar nie ab und seine berüchtigte, verspiegelte Sonnenbrille, die schon so manchen Interview-Partner entnervt hatte, blieb das ganze Gespräch über im Halfter. Aber jetzt beugt sich Young vor; fixiert sein Gegenüber und seine Stimme färbt sich heller, klingt dringlicher. „CDs sind scheußlich“, hebt er an, „ein schlimmer Fehler, der dazu geführt hat, dass Musik nicht mehr sinnlich erfahrbar wird. Die Leute glauben, sie kriegen den perfekten Klang, doch in Wirklichkeit transportieren die binären Codes nur die dominanten Klangfarben, alles andere wird eliminiert Das menschliche Gehirn ist ein hochentwickeltes Organ, fähig, unzählige Zwischentöne zu verarbeiten. Fütterst du es mit den Musik-Faksimiles von CD, wird alles komplett absorbiert, doch gibt es danach nichts mehr zu entdecken. There is no challenge.“

Neil Young ist in seinem Element, monologisiert. Erst als ich ihm versichere, dass er offene Türen einrennt und ich die Dinger nicht weniger hasse als er, lässt er locker. Erstaunlich, mit welchem Eifer und mit welcher Energie Young seit nunmehr fast 20 Jahren für sein Ideal von Klangästhetik ficht. Als der Glaubenskrieg zwischen analogen Traditionalisten und digitalen Progressisten am erbittertsten tobte, Mitte der 80er Jahre, schienen die Optionen noch offen. Musikkonsum im dualen System. Die einen entschieden sich für das praktische Format Klein, handlich, cleaner Sound ohne Knistern und überdies programmierbar. Die Gegenfraktion legte mehr Wert auf authentische Klangbilder, auf Druck, Dichte, Wärme und Vibrationen. „Impact“, sagt Bob Dylan so unwissenschaftlich wie treffend, hätten Platten früher gehabt „Now you put on a CD and there is no impact“

Neils Rede, nur drückt er es anders aus. „Digital sound is like sensory deprivation, almost like torture.“ Hat er so vor neun Jahren formuliert. Und sah seither keinen Grund, dieses vernichtende Urteil zu revidieren. Erst die Entwicklung von DVD-Audio lasse digitale Klangreproduktion zu, die sich in punkto Qualität mit der analogen messen kann. Eine Chance, die keineswegs vertan werden darf, meint Neil mit Nachdruck. Sollte das neue Format hohen audiophilen Ansprüchen genügen und sich am Markt durchsetzen lassen, gebührt Neil „Nostradamus“ Young ein Award für Audio-Logik und Hi-Fi-Prophetie. Die 20 Jahre nach Einführung der CD würden eines nicht so fernen Tages als „the dark ages of recorded sound“ in die Musik-Annalen eingehen, so der Augur 1990. „The whole CD thing is wrong, it sucks. It will be over in another 15 years.“ 12 down, 3 to go.

Woher Neil Young diesen Optimismus nimmt, weiß er selbst nicht. An ihm soll es jedenfalls nicht liegen, sein Engagement in Sachen Audio-Fidelity ist ungebrochen. Er habe gar keine andere Wahl, wenn er seine Musik ohne qualitative Einbußen veröffentlichen wilL Wo es ihm möglich war, hat er „das Schlimmste verhindert“. Will sagen: Einige seiner Alben wurden auf CD erst gar nicht zugänglich gemacht „On The Beach“ etwa und „Time Fades Away“. Kein Problem, solange das duale System CD-Vinyl funktionierte. Realistische Überlebenschancen hatte es freilich nicht.

„The entire recording industry is fucking wrong“, wetterte Young noch unlängst. Diskutabel, denn immerhin sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. Kostet eine Vinyl-LP mit Cover in der Herstellung je nach Qualität fünf bis zehn Euro und bringt im Handel gerade mal den doppelten Erlös, so liegt der Preis pro CD plus Plastikghäuse deutlich unter einem Euro, lässt sich jedoch prächtig versilbern. Gewinnspannen von 2000 Prozent sind nicht unüblich. Neil Young sind solche Zahlenspiele natürlich nicht fremd. Geld sei aber nur ein Faktor für den Siegeszug der CD, ein ebenso wichtiger sei die Manipulierbarkeit der Menschen. „Die meisten Leute sind einfach gestrickt, sie hinterfragen nichts, wenn du ihnen eintrichterst, digital ist besser, dann akzeptieren sie das irgendwann.“

Gehirnwäsche allein war es allerdings wohl kaum, was den Musikliebhaber zu einer neuen Generation von Hardware und Software greifen ließ. Es brauchte gehörigen Leidensdruck. Die Vinylpressungen wurden im Laufe der 80er Jahre nicht zufallig zunehmend schlechter. Und als Lockangebote wie Bonus-Cuts, exklusiv auf CD, nicht den gewünschten Erfolg zeitigten, wurde immer mehr Musik einfach nicht mehr analog angeboten. Friss oder stirb. „Yeah“, lacht Young, „irgendwann wird man zurückblicken auf diese Zeit und hoffendich daraus lernen.“ Leicht genug zu durchschauen seien diese Manöver doch allemal gewesen. Sollte man denken.

Nun also Licht am Ende des Hi-Fi-Tunnels. DVD-Audio: Was genau macht den Unterschied zur gemeinen CD aus? „Oh, es ist überhaupt kein Vergleich“, erklärt Young begeistert, „DVD-Audio ermöglicht einen frappierend natürlichen Sound, der dem sehr nahekommt, was die Instrumente im Studio hergeben. Es ist ja nicht zuletzt ihre geringe Sampling-Rate, die CDs so mies klingen lassen. DVD-Audio hat ganz andere Möglichkeiten. 192 KHz, 24 Bit. It doesn’t beat analog, but it’s the closest there is.“

Aber hat er dasselbe nicht über HDCD (High-Definition Compatible Digital) gesagt, erst vor ein paar Jahren, zur Zeit von „Mirror Ball“} „Schon“, räumt Neil Young ein, „das war etwas voreilig. HDCD schien eine gute Idee zu sein. Ein Konverter, der analoge Signale digitalisiert und zurückverwandelt. Nicht ohne Qualitätsverlust, leider, auch wenn es immer noch deutlich besser klingt als eine normale CD. DVD-A, da bin ich mir sehr sicher, wird so schnell nicht mehr zu verbessern sein. Wir haben damit die Möglichkeiten digitaler Klanggebung ausgeschöpft.“

Schon paradox. Während die Welt, was ihre Musik-Konsumtion betrifft, immer geringere Standards akzeptiert, während sich die Jugend Klangextrakte aus dem Computer holt, die nicht einmal CD-Qualität haben, in einem Umfang, dass die ganze Branche daran zu zerbrechen droht, während selbst Sonys Mini-Disc noch Käufer findet, obschon offenkundig unmusikalische, macht sich einer der letzten Mohikaner der Analogie Sorgen um die Genießbarkeit digitaler Tonkost. „Ich weiß, was du meinst“, sagt Young ein wenig ungeduldig, „aber ich kann mir nicht anderer Leute Anspruchslosigkeit zum Maßstab machen. Sicher, MP3 und Napster sind mies, der Sony-Scheiß ist ein schlechter Witz, aber wenn du Musik machst im Studio, willst du sie möglichst echt und unverfälscht auf Konserven wiedergeben. Die Anzahl derer, die das zu schätzen weiß, mag klein sein im Vergleich zu den downloadenden Massen, aber es ist meine Musik. Ich versuche halt, faule Kompromisse zu vermeiden.“

Nicht immer, gebe ich zu bedenken. Es ist noch gar nicht so lange her, da glaubte man seinen Augen nicht zu trauen. Er werde künftig alles digital aufnehmen, wurde Neil Young in verschiedenen Interviews zitiert. Mit der absurden Begründung, dass analoge Aufnahmen ja eh digitalisiert würden. Wozu lecker kochen, wenn eh alles in der Kloschüssel landet. Mal abgesehen davon, dass die Prämisse nicht stimmte. Nicht alles wird digitalisiert. Der Vinylmarkt ist zwar nur eine Nische, aber eine, die seit Jahren stetig wächst.

„You got a good point there“, räumt Young ein, „that was bad judgement on my part. Ich bin auch schnell wieder davon abgekommen. Ich mache seither konsequent Analog-Masters. Es war nicht schwer zu erkennen, wie schief ich gelegen hatte, als ich mir den digitalen Mix öfter anhören musste. Es macht mir nichts aus, analoge Aufnahmen immer wieder zu hören, aber das digitale Zeug hat man schnell über. Es ist ohne Tiefe. Unglücklicherweise habe ich durch diesen Fehler nun keine Analog-Masters von ein paar LPs. Da ist nichts mehr zu retten, furchte ich. Andersherum ist es ja kein Problem. Ich kann meine analogen Mastertapes jederzeit für die jeweils besten digitalen Tonträger konvertieren, und sie auch in Zukunft nutzbar machen. Mit den digitalen Masters geht das nicht. I’m stuck with that quality, da hilft nichts mehr,yeah, das war ein grober Irrtum meinerseits. Einer, der sich aber nicht wiederholen wird.“

Zum Mixen und Editieren verwendet Neil Young bereits hochauflösendes Equipment in DVD-Qualität „Es ist eine Freude, damit zu arbeiten“, schwärmt er, „es ist nicht analog, aber um Klassen besser als CD. Es liegen Welten zwischen unserer 192/24-Copy und einer 16Bit-Version. It has a lot more depth and dimension, a lot more detail at the quiet leveL“ Die Frage drängt sich auf, ob Neils sonisches Ideal überhaupt von CD-gewöhnten Hörern angenommen wird. „Yeah, das stimmt. Für viele Leute ist es nur Geschmackssache, sie sind zufrieden mit dem, was ihnen die CD gibt diesen ,modern sound‘. Wenn du laut aufdrehst, knallt das enorm. Da spielt es dann keine Rolle, was dabei unter den Tisch fällt. Ja sicher, die Hörgewohnheiten haben sich geändert und die Musik hat sich ihnen angepasst Das ist mir sehr wohl bewusst Ein Dilemma, das ich unmöglich lösen kann. Was ich aber tun kann und was wir wieder bei den Aufnahmen zu „Are You Passionate?‘ gemacht haben, ist zwar aufwändig, hält aber alle Optionen offen: Wir haben alles analog aufgenommen und in high resolution digitaL Drei Masters: analog für das Vinyl, 192/24 für die DVD und ein 16Bit-Master für die CD-Fertigung. Ich möchte ja niemanden bevormunden, jeder soll das Optimum dessen kriegen, was in seinem präferierten Format möglich ist.“

Bleibt ihm denn da noch Zeit, die Qualität der daraus resultierenden Tonträger zu überwachen? Neil Young schüttelt den Kopf. „Nein, das ist Sache der Plattenfirma.“ Schade, denn da läuft einiges schief. So ist „Silver & Gold“ nur als Einfach-Vinyl erschienen, mit einem Klangbild, das den Verdacht nahelegt, die CD-Masters könnten dafür verwendet worden sein,Young ist entsetzt, greift zum Mobile und ruft im Studio an, wo gerade die letzten Vorbereitungen für die Veröffentlichung laufen. Drei Minuten lang gibt er dezidierte Anweisungen: Doppel-Vinyl von analogen Masters, keine Seite länger als 18 Minuten, das Sequencing unbedingt beibehalten, größte Sorgfeit walten lassen. Erledigt. Hey hey, my my. „Are you passionate?“, fragt Young im Titelsong seines neuen Albums, „do you live like you talk?“. Eine Frage, die an ihn gestellt nur eine rhetorische wäre.

Neil Young ist, was Wunder, von seinem jüngsten Baby äußerst angetan. So sehr, daß er „Passionate“zu den fünf besten seiner an LP-Highlights wahrlich nicht armen Karriere zählen würde. Mit 66 Minuten vielleicht etwas zu lang, meint er, aber das gelte für die meisten Platten heutzutage. „They make the damn records so long they’re boring. Man muss darauf achten, dass eine gewisse Spannung gehalten wird, dass für ausreichend Abwechslung gesorgt ist“ Man könnte das auch anders sehen, wende ich ein. Waren seine besten Alben nicht aus einem Guss, von „Tonight’s The Night“ bis „Zuma“? Auf „Passionate“ dominieren zwar die eher verhaltenen, angesoulten, oft leicht synkopierten Cuts mit Booker T. & The MGs als Backing Band, doch fegt „Going Home“ dazwischen like a hurricane. Neil grinst „Nein, ob eine Platte kohärent ist oder aus unterschiedlichen Quellen gespeist wird, halte ich nicht für entscheidend. Alle Tracks entstanden 2001, alle unter dem Aspekt, dass sie am Ende zu einem Ganzen werden, das hoffentlich mehr Sinn macht als die Summe seiner Teile. Dass „Going Home“ in diesem Rahmen ein Eigenleben führt, ist intendiert Ich meine, es ist Crazy Horse. Wenn ich mich recht erinnere, war es sogar der erste Track, den wir aufnahmen, im November 2000.“

Umstrittener ist ein anderer Song, der naturgemäß später geschrieben wurde, als Kommentar zu den Terror-Anschlägen des 11. September, inspiriert von den letzten Worten eines Passagiers des Fluges 93. Ein prekärer Song, der bereits seit Monaten von amerikanischen Radiosendern gespielt wild und für jede Menge hochgezogener Augenbrauen sorgte: „Let’s Roll“. Nicht zuletzt einiger Reizwörter wegen, für die sich doch George W. Bush das Copyright gesichert zu haben schien. Evil! Satan! Let’s roll for freedom, let’s roll for justice, let’s roll for truth.“ Young macht eine wegwerfende Handbewegung. „Oh, that. There is a certain amount of cynicism in this song that seems to escape people.“ Ich fürchte ja, Sir.

„Du hast doch aber „Rockin‘ In The Free World‘ auch nicht wörtlich genommen“, argumentiert der etwas angefressene Poet, „es geht hier doch nicht um Bush, sondern um den Heroismus der Menschen in dieser Maschine. Ich schrieb den Text unmittelbar unter dem Eindruck dieser Geschehnisse, und was immer danach geschah, hatte darauf keinen Einfluss. Natürlich stehe ich hinter dem, was ich singe, ich ganz persönlich, aber da sind Schnittstellen zwischen Realität und diesem Grollen im Bauch, die sich halt nur lyrisch überhöht darstellen lassen. „Going after satan on the wings of a dove‘, komm schon, wie blöd muss man sein, um das wörtlich zu nehmen? Darin steckt das Dilemma, den Frieden mit unfriedlichen Mitteln zu sichern. „Let’s Roll“ handelt zwar nur von Flight 93, aber das ist es, was hineinprojiziert wird. Ich hatte eigentlich erwartet, dass ein Dutzend Songs zu diesem Thema herauskommen würden, von überall her. Drei Country, drei R & B, zwei Rap, zwei Rock, so ungefähr. Aber es kam nichts, der Schock saß vermutlich zu tief. Also beschloss ich, das selbst zu machen. Here is one of the most legendary acts of heroism ever recorded in history, da kann man nicht schweigen. Wir wissen bis heute nicht genau, was sich abgespielt hat in diesem Flugzeug, ich habe mich nur versucht, hineinzudenken. Was den Vorwurf betrifft, der Song bediene sich der Bush-Rhetorik, so lass mich in aller Deutlichkeit sagen, dass Begriffe wie ,truth‘ und justice‘, ganz besonders justice‘, nicht exklusiv Bush gehören.“ Und mit dem überbordenden Patriotismus habe er schon gar nichts am Hut. Neil Young ist Kanadier, lebt und arbeitet mit einer Green Card. Keiner der anderen neuen Neil-Songs bietet die kleinste Angriffsfläche, doch werden sie gründlicher Exegese durch übereifrige Fans nicht entgehen. Die Lieder über erfüllte und verschmähte Liebe. „You’re My Girl“, des Vaters wehmütige Ode an die Töchter in Antizipation ihres Abschieds. Und „Two Old Friends“, eine larmoyante, lyrisch recht liederliche Beweihräucherung der guten alten Zeiten, verpackt in eine Unterhaltung zwischen Gott und einem Priester, an der Himmelspforte. Kontrovers ist nur „Let’s Roll“. Mut zu politischer Unkorrektheit hat Young ja immer mal wieder bewiesen. Er unterstützte Ross Perot, fand freundliche Worte für Ronald Reagan. Und als in den Siebzigern nahezu sämtliche Kollegen „No Nukes!“ skandierten, sprach sich der Nonkonformist für Kernenergie aus. Mit der bizarren Begründung, dass der Mensch nur mithilfe von Nuklearkraft das Sonnensystem eines Tages wird verlassen können.

„Du magst das bizarr nennen, was immer, doch dazu stehe ich nach wie vor. My mind works a different way. Ich bestreite nicht, dass Atomkraft eine riesige Gefahr darstellt für diesen Planeten. Das wäre töricht. Aber nun ist sie da und lässt sich nicht mehr abschaffen. Das Zeug strahlt die nächsten paar tausend Jahre, egal was wir tun. Warum es also nicht nutzen? Die Verbrennung fossiler Resourcen ist auch nicht ungefährlich für das Gleichgewicht der Natur. What goes up, must come down, you know. Die Menschheit hat sich da in eine böse Zwickmühle manövriert. So sicher machen wie möglich, sage ich, und technologisch nutzen. Man muss an künftige Generationen denken. Und wer glaubt, dass wir bis in alle Ewigkeit auf diesem Erdball sitzen werden, ist verrückt. Wir sind hier nur vorübergehend, in großen Zeiträumen gedacht Natürlich müssen wir an unsere Kinder denken, aber auch an deren Kinder, viele Generationen weit. Es geht darum, einen Energiekreislauf zu realisieren, der länger hält als tausend Jahre. Und wenn wir irgendwann in der Lage sein werden, den Atommüll gefahrlos zu beseitigen, dann vermutlich auch nicht auf diesem Himmelskörper. Ist doch seltsam, dass wir nur in geschichtlichen Dimensionen denken, wenn wir zurückblicken. 2000 Jahre sind da nichts. Denkst du so weit in die Zukunft, wirst du mitleidig belächelt That’s where I get into trouble.“

Nicht mit Kollegen indes. Musiker, so Neil Young, seien wie die meisten Menschen nur Herdentiere. Er habe sich nie vereinnahmen lassen von sogenannten Bewegungen, auch nicht von jenem „anti-nukes Crusade“, über den David Crosby erst unlängst in einem Buch stolz schwadronierte. Kommentare, grinst Neil maliziös, seien da überflüssig, Diskussionen Schall und Rauch. Mit seiner Frau freilich pflegt er regen Meinungsaustausch. Und was denkt sie darüber?

„She thinks I`m crazy.“

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