RS Serien-Special

Neue Sky-Hit-Serie „Das Boot“: Die Kunst des Untertauchens

„Das Boot“ führt vor, wie man ein großes Spektakel auf engstem Raum inszeniert und mehr als ein Remake macht.

Eben noch sind die Männer durch diese enge Unterwasserblechdose gehetzt, haben alle Luken geschlossen, sich Befehle zugebrüllt, sind auf 120 Meter abgetaucht, um sich vor dem feindlichen Flugzeug zu verstecken. Doch jetzt herrscht atemlose Stille. Bärtige Männer drängen sich, in rotes Licht getaucht, stumm und mit aufgerissenen Augen auf der Brücke. Der Metallrumpf ächzt. „Schleichfahrt!“, raunzt der Wachoffizier. Kommandos werden geflüstert. Ping! Dann noch mal: Ping! Dann: Ping! Ping! Ping! „Wasserbomben, Dutzende!“, krächzt der Mann am Sonar. Es rumpelt, es wackelt, Wasser spritzt, Männer schreien, die Nadel des Tiefenmessers ist am Anschlag. Einer betet. Einer holt ein Foto hervor. Einer jagt sich eine Kugel in den Kopf. Und während das U-Boot auf den Boden des Atlantiks sinkt, unterhalten sich oben auf dem britischen Zerstörer zwei Englänger: „Arme Schweine!“, sagt der eine. „Lieber die da unten tot als wir“, der andere.

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Noch bevor das erste Mal die um Klaus Doldingers berühmtes Synthesizer-Motiv kreisende Titelmusik der Serie „Das Boot“ zu hören ist, überrumpelt einen dieses klaustrophobische Tragödienvorspiel: ein erschütternder Zehnminüter, der einen mitten rein ins Kriegsdrama wirft. In einer Art drastischem Schnelldurchlauf spielen Andreas Prochaska und ­seine Drehbuchautoren Tony Saint und Johannes W. Betz hier Wolfgang Petersens Film „Das Boot“ (1981) nach, zeigen, dass sie verstanden haben, wie man auf engsten Raum die größtmögliche dramatische Wucht ent­wickelt. Sie werden aber in den insgesamt acht Folgen der Serie, die in La Rochelle, Prag, ­Malta und München gedreht wurden, auch klarmachen, dass sie weit mehr wollen, als nur das Remake eines deutschen Filmklassikers abzuliefern.

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Denn die Serie begnügt sich nicht mit Innen­ansichten aus dem U-Boot, sondern zeigt die gesell­schaftlichen Zusammenhänge, erzählt schicksalhafte Geschichten aus dem besetzten Frankreich Anfang der 40er-Jahre. Da ­tummeln sich verzweifelte Widerstandskämpferinnen, verliebte Gestapomänner, jü­dische Bardamen, amerikanische Kriegsgewinnler und Geschwister, die zwischen die Nazis und die Résistance geraten.

Zeitgeschichtliches Panorama

Die Geschichte spielt ein Jahr nach der, die der Film „Das Boot“ erzählt: Ein anderes U‑Boot, das U 612, wird in der französischen Küstenstadt La Rochelle im Herbst 1942 auf die große Feindfahrt vorbereitet. Es ist das erste Kommando von Kapitänleutnant Klaus Hoffmann (Rick Okon). An Bord befindet sich auch der Funker Frank Strasser (Leonard Scheicher), der Jazz liebt und eine heimliche Beziehung hat, von der er nicht einmal seiner Schwester Simone (Vicky Krieps) erzählt. Simone arbeitet als Übersetzerin für die Nazis, wird vom frankophilen Gestapochef Hagen Forster (Tom Wlaschiha) ebenso umworben wie von der Amerikanerin Carla Monroe (Lizzy Caplan), die im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft hat und nun eine französische Widerstandsgruppe anführt. Und während der Herr Kaleu vor dem Auslaufen noch im Buch seines berühmten Vaters, Wilhelm Hoffmann, schmökert („Fürchte nicht die Tiefe“), vergnügt sich seine Mannschaft ein letztes Mal im Bordell Cheval Blanc.

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Danach werden sich die Handlungsstränge trennen, einer spielt auf offener See, der andere in La Rochelle. Und die Geschichte beruht auf Motiven nicht nur aus Lothar-­Günther Buchheims Roman „Das Boot“, sondern auch aus dem Buch „Die Festung“, in dem Buchheim ebenfalls die aufkeimende Résistance und den Krieg an Land thematisierte. Die Geschichte weitet sich dadurch zu einem zeitgeschichtlichen Panorama aus, und Bavaria Fiction, Sky Deutschland und Sonar Entertainment retten so das vor vielen Jahren spektakulär untergetauchte Kino-­Ungetüm ins goldene Zeitalter der TV-Serien herüber.

In die Blechdose gezwungen

„Das Boot“ war 1981 ein deutsches Kinowunder. Für insgesamt sechs Oscars war der Film nominiert, der die Geschichte der Besatzung eines deutschen U-Boots erzählt, das sich im Winter des Jahres 1941 auf Feindfahrt im Atlantik befand. Auch heute noch sorgt das Ping! des Sonars, an dem sich die düster-atmosphärische Filmmusik Klaus Doldingers abarbeitete, für Gänsehautmomente. Wie Jost Vacano, der sich gerade vor Gericht einen finanziellen Nachschlag für seine Beteiligung an „Das Boot“ erstritten hat, mit seiner Kamera durch das U-Boot hetzte, ist immer noch sensationell. Und die Schauspieler Jürgen Prochnow, Klaus Wennemann, Herbert Grönemeyer, Martin Semmelrogge und Uwe Ochsenknecht waren nie besser als damals, als sie sich von Wolfgang Petersen in diese Blechdose zwängen ließen.

Das Original-Film-U-Boot steht seither auf dem Bavaria-Gelände – wenige Meter von der Studiobühne entfernt, in der nun viele Innenaufnahmen für die Serie gedreht wurden. Als die Produzenten dort zu Interviews einladen, hat Lizzy Caplan gerade ein paar Erinnerungs­fotos geschossen und ist froh, dass sie nicht in Petersens Röhre drehen musste: „Ich leide normal ja nicht unter Klaustrophobie“, sagt sie. „Aber in so einem Ding wird doch jeder verrückt!“ Die Schauspielerin („Masters Of Sex“) findet es gut, dass die Serienmacher „nicht auf die Idee gekommen sind, ein Remake von ,Das Boot‘ zu machen, in der die Besatzung aus Männern und Frauen besteht“. Tom Wlaschiha (bekannt aus „Game Of Thrones“) wird später sagen, dass er es für die richtige Entscheidung hält, den Kinofilm nicht einfach noch einmal nachzuerzählen, „weil man den nicht besser erzählen kann“.

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Ein weiterer Hauptdarsteller der Serie fehlt allerdings beim Interviewtag: das U-Boot, das sich gerade auf dem Weg nach Malta befindet, wo letzte Außenaufnahmen im Meer und im Wasserbecken gedreht werden. Doch obwohl auch die Serie viel Zeit damit verbringt zu zeigen, wie sich im U-Boot auf engstem Raum große Dramen abspielen („40 Kerle, keine Dusche, ein Scheißhaus – willst du’s genauer wissen?“ erklärt Frank Strasser seiner Schwester), stellt sie der Mischung aus Action­thriller und psychologischem Kammerspiel an Bord des U 612 an Land eine Art Hitchcock-­Krimi gegenüber.

„Der Film ‚Das Boot‘ lebte von der Atmosphäre im U-Boot und von der Klaustrophobie dort“, sagt Moritz Polter, ausführender Produzent im Bereich International TV Series bei Bavaria. „Heutige Serien leben vor allem davon, dass man mit Figuren auf eine Reise geht, dass sie sich verändern, dass wir ihre Vielschichtigkeit kennenlernen. Diese horizontale Erzählweise ist vielleicht der Hauptunterschied zwischen dem Film und unserer Serie.“ Oliver Vogel, Chief Creative Officer bei Bavaria Fiction, ergänzt: „Aus Respekt vor den Machern und ihrer künstlerischen Leistung haben wir uns von Anfang an sehr bewusst ­dagegen entschieden, ein Remake zu machen – weder als Film noch als Serie. Wir erzählen eine eigenständige, originäre Geschichte.“ Petersens Film kostete Anfang der 80er-­Jahre schon 32 Millionen Mark. Das Budget von 26,5 Millionen Euro für die Serie wirkt da sogar vergleichsweise gering. Tatsächlich sei der Kern des „Boots“ recht billig darzustellen, sagt Jan Kaiser, Geschäftsführer von Bavaria Fiction. „Die Strahlkraft der Marke ist einzigartig. Es reicht, eine schwarze Leinwand zu zeigen und aus den Lautsprechern das Brummen des Dieselmotors und zweimal das Sonar erklingen zu lassen – und alle ­wissen: Das ist ‚Das Boot‘.“

„Das Boot“ startet am 23. November auf Sky

In der Dezember-Ausgabe des ROLLING STONE findet sich ein 16-seitiges Serien-Special, das sich dem neuen Boom deutscher Serien widmet. Sind deutsche Serien heute so gut wie amerikanische? Mit Beiträgen zu „Dogs of Berlin“, „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, „Hackerville“, „Deutsch-Les-Landes“ und „Beat“. 

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