Nicht jeden Tag ist Maskenball

Bei seiner Rückkehr wirbt Rapper Sido um Verständnis für die Unterschicht

Nö, sorry, die Frage, ob der Aggro-Berlin-Rapper Sido böse, gut, ja oder nein ist, werden wir wieder nicht klären, obwohl es so viele neue Indizien gibt. Wir stellen nur mal fest, dass er von den potentiell Bösen – die Guten kriegen wir doch immer durch! – der mit Abstand interessanteste ist. Und obwohl deutsche HipHop-Platten seit dem Indizierungs-Knatsch von 2OOS immer so dreist suggerieren, man müsse sie als Kommentare zur besagten Debatte lesen, und obwohl wir darauf natürlich nicht mehr reinfallen: Bei Sido machen wir eine Ausnahme. Sein zweites Album „Ich“ kommt am 1. Dezember, vorab die Single „Straßenjunge“, die natürlich ganz unbedingt als Kommentar zur Debatte gelesen werden will und ein sonderbares HipHop-Stück ist, das vergleichsweise sanftmütig die außenstehenden Nicht-Checker anspricht. „Ich bin kein Gangster, kein Killer, ich bin kein Dieb, ich bin nur ein Junge von der Straße!“ verspricht Sido, lädt sogar zu einer Runde durch den berüchtigten Block ein. Von der Unterschichts-Debatte konnte er beim Texten noch nichts wissen, aber das passt natürlich bestens: weil es einer der seltenen Momente ist, in denen sich die Bessergestellten ein kleines bisschen schuldig an der Armut der anderen fühlen. Außerdem ist eben Marcel Feiges Sido-Biografie „ich will mein Lied zurück!“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf) erschienen, ein typisches Fan-Buch mit Bildern (aber das ist Bioleks „Mein Leben“ ja auch). Hier wird ebenfalls alles getan, um Paul Würdig alias Sido als ehrbaren, aber armen Jungen zu beschreiben – was er Böses über die Mama des Rappers Azad gesagt hat, wird nicht mal zitiert, um die Frau kein zweites Mal zu beleidigen. Dass die Rapper dieselben Argumente benutzen wie die Sozialpolitiker ist zumindest überraschend – im neuen Song rappt Sido sogar: „Ich bin nicht grundlos böse!“ Heißt das, dass er nicht böse ist? Oder bloß nicht grundlos?

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