Noch einiges zu erledigen

Trotz stagnierender Karriere arbeitet Lloyd Cole unverdrossen an seinen Ein-Mann-Songs

Man sollte sich Lloyd Cole nicht als glücklichen Menschen vorstellen. Er lächelt jetzt manchmal, aber meistens sieht selbst das eher grimmig aus. Seine Alben, auch das neue „Antidepressant“, klingen immer so angenehm unaufgeregt, als hätte er sich gar nicht anstrengen müssen. Aber lassen Sie sich nicht täuschen. Das ist ganz, ganz harte Arbeit. Besonders diesmal war es kein Spaß.

Vor zwei Jahren begann Cole mit den Aufnahmen, mit viel Elan und dem guten Gefühl, dass es ein Kinderspiel werden könnte, dieses Album. Aber dann: „Ich wollte für drei, vier Monate ins Studio gehen, nur mit einem Haufen Ideen, ein bisschen Musik und Texte, ohne genau zu wissen, was daraus wird. Einfach arbeiten, arbeiten, arbeiten. Ein paar Musiker einladen und in vier Monaten fertig sein. Naja, und dann habe ich die ersten vier Monate damit verbracht, meinen Apple-Computer in Gang zu bringen. Dann habe ich diese Software aufgegeben, sie funktionierte einfach nicht. Also musste ich neue Software lernen – das hat noch mal fünf Monate gedauert.“ Die technischen Probleme hielten ihn immer wieder davon ab, einfach nur Musiker zu sein, an Songschreiben war fast gar nicht mehr zu denken. Das nächste Album, hofft er, könne dann so entstehen, wie dieses geplant war – falls er sich bis dahin mit dem Computer geeinigt hat. „Wenn ich sehr reich wäre, würde ich meinen G5 aus dem Fenster werfen. Aber das kann ich mir nicht leisten. Und einfach alles einem Produzenten überlassen – dann würde ich nicht den Sound bekommen, den ich möchte, mit all dem Gesang, Gitarren, Piano, Schlagzeug. Im Studio brauchte ich dafür vier oder fünf Musiker, jeden Tag, ein paar Monate lang. Das kann ich mir auch nicht leisten. Außerdem sage ich Musikern nicht gern, was sie machen müssen. Ich tüftle lieber selbst herum.“

Cole weiß ja, wovon er spricht, er kennt alle Spielarten. In den 80er Jahren hatte er eine Band, The Commotions, danach genoss er die Solo-Zeit, so gut er konnte, suchte sich mit The Negatives eine neue Begleitband- und kehrte wieder zum Alleinsein zurück. Dabei nimmt er ganz gern Hilfe in Anspruch; sein Freund Chris Hughes half ihm nun beim Produzieren. „Ein Jahr allein im Studio, da wird man schon verrückt und verliert den Überblick. Manchmal nuschle ich ein bisschen und singe zu leise. Mir fällt das nicht auf, Chris schon. Der sagte, dass ich bei The Young Idealists am Anfang klang, als würde ich einschlafen. Hatte ich gar nicht gemerkt. Sollte natürlich nicht so klingen, also habe ich es noch mal anders probiert.“ Mit Erfolg. Es ist ja gerade Coles Stimme, die seine Stücke so tröstlich klingen lässt, ob er von Sackgassen oder Schlafsäcken singt, und seine Popmusik so unverwechselbar macht. „Beim Singen muss ich — anders als etwa beim Gitarrespielen -jedenfalls keine Angst haben, dass ich es komplett versaue“, sagt er.

Lloyd Cole hat viele Fehler gemacht, findet er selbst, und er bedauert sie alle. Er behauptet das mit einem Grinsen, doch nachdrücklich: „Manche meiner Ideen waren einfach unsinnig. Mitte der 90er Jahre habe ich ziemlich viel Zeit damit verbracht, so klingen zu wollen wie jemand, der ich nicht bin.“ Inzwischen hat er es sich in seiner Haut ein bisschen gemütlich gemacht. Vor einiger Zeit ist er aus New York weggezogen, zwei Stunden entfernt, nach Western Massachusetts. Auf dem Golfplatz dort hat der Brite seinen Akzent weitgehend abgelegt, er wollte verstanden werden—und stolz war er darauf sowieso nie. Trotzdem hat die Assimilation Grenzen. „Ich lebe in Amerika, aber dadurch fühle ich mich nur noch europäischer. Meine Kinder benehmen sich mehr wie Amerikaner, und wir mögen Barbecues. Ich kann Hamburger und Hot Dogs machen. Ich bin dort zu Hause, also taucht in den Songs die TV-Serie ,Six Feet Under‘ auf, und die Musikzeitschrift ,No Depression‘. Die ich allerdings noch nie gekauft habe.“ Er denkt kurz nach. „Ich mag auch ,Six Feet Under‘ gar nicht. Aber solche Sachen bekomme ich zumindest mit, während mich mit Großbritannien nicht mehr so viel verbindet.“

Er mag New York verlassen haben, doch gerade auf „Antidepressant“ verfolgt ihn die Stadt noch immer. Den Song „NYC Sunshine“ hatteer schon 1997 geschrieben, aber nicht auf „Music In A Foreign Language“ (2003) gepackt, wegen 9/11. Jeder sang plötzlich davon, und damit hat das Stück nichts zu tun. Es ist ein Liebeslied an die Stadt. Aber die Stadt, in die ich damals gezogen bin, gibt es nicht mehr, sie hat sich in den letzten zehn Jahren so verändert. In New York gibt es doch nur noch Millionäre. Junkies und Millionäre.“Auch das dort verortete Stück „Woman In A Bar“ ist schon ein paar Jahre alt. „Dieses romantische Szenario ist verschwunden, keine verrauchten Bars mehr und so, und ich selbst habe mich auch verändert. Heutzutage könnte ich locker mit einer Frau wie Scarlett Johansson nur befreundet sein, ohne jegliche Gelüste. Das wäre vor zehn Jahren kaum möglich gewesen.“ Ist das nun schade oder erstrebenswert? Cole schnaubt nur und zuckt mit den Schultern. Auf die Frage, ob er sich im Großen und Ganzen wohlfühle, antwortet er postwendend: „Ich bin nicht zufrieden. Ich bin froh, dass ich noch schwierigere Situationen überstanden habe, aber die Umstände sind immer noch nicht ideal. Wenn ich heute 18 wäre, würde ich ein Rocksänger sein wollen? Vielleicht würde ich lieber Videospiele machen. Hoffentlich nicht… Ich habe den Traum vom großen Erfolg noch nicht aufgegeben. Ich war ja mal ziemlich populär. In ein paar Ländern. Für eine kurze Weile… Allerdings waren meine Platten auch nicht besser, als ich ein Budget ohne Limit hatte. Ich finde schon, dass nicht genug Leute meine Musik hören, aber verbittert bin ich deshalb nicht. Ich gebe mein Bestes.“

Vor zwei Jahren tat er sich noch einmal mit den Commotions zusammen, zum 20jährigen Jubiläum ihres Debüts „Ruttlesnakes“. Eine zwiespältige Angelegenheit: „Es war die richtige Zeit für eine Reunion. Wir haben drei Wochen geprobt, eine Woche Konzerte gegeben, und das war’s. Genug. Wenn man uns lächerlich viel Geld gegeben hätte, wäre vielleicht noch mehr passiert. Aber nach sechs Wochen hätten wir wahrscheinlich wieder gewusst, warum wir uns überhaupt getrennt hatten.“ Auch stellte er fest, dass er keine Schlagzeuge mehr mag – „zu laut“. Wenn er jetzt auf Tournee geht, dann nur in Trio-Besetzung, mit Bassist Henning und Gitarrist Neil Clark. Dafür muss er nun wieder ein paar seiner Songs lernen, leider hapert es da. „Ich kann die Texte von allen David-Bowie-Album auswendig, aber meine eigenen nicht. Ziemlich traurig, oder?“

Diese herrliche Mischung aus Ironie und Idealismus, aus Selbstzweifeln und Ehrgeiz garantiert uns wohl noch viele weitere Jahre mit dem Songschreiber. „Natürlich denke ich oft ans Aufhören, aber da gibt es noch einiges zu erledigen. Musik, die gemacht werden will. I’m not done, Yet.“

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