Oasis: Was hat ihr Megaerfolg mit der britischen Musikkultur gemacht?

Sie waren keine Innovatoren. Doch ihr kämpferischer Wille zur Größe setzte Maßstäbe. Mit Folgen bis heute.

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Heute Abend (04. Juli) ist es soweit: Im Principality Stadium im walisischen Cardiff geht die erste Show der spektakulären Reunion von Oasis über die Bühne.

Die Heimspiel-Serie in Manchester mit gleich fünf Auftritten startet am 11. Juli. Das offizielle Tourismusbüro zeigt sich darüber unfassbar stolz. Auf der Website „Visit Manchester“ heißt es: „Durch ihre Abwesenheit ist die Legende Oasis nur noch größer geworden.

Wie „groß“ und bedeutsam die Gallagher-Brüder rund 34 Jahre nach Bandgründung nun WIRKLICH sind, darüber grübelt in diesen Tagen die gesamte britische Kulturkritik.

Oasis waren keine Innovatoren

Selbst die Wirtschaftszeitung „The Economist“ kann sich ihrer Faszination nicht entziehen. Im Vergleich mit den Britpop-Kollegen der 1990er wären sie im Zustand ihrer Nichtexistenz „so viel populärer geworden“. Ein Mega-Phänomen unserer Tage. Eine Geldmaschine ohnehin.

Im Gegensatz zu Beatles, um mal ganz oben im Regal anzusetzen, waren Oasis nie Innovatoren. Keiner ihre Schritte veränderte den Lauf der populären Musik. Wäre Noel Ende 1991 nicht in Liams Band eingestiegen, hätte sich die britische Popmusik auch ohne sie munter weiterentwickelt. Ihre breite, melodische Pub-Musik war zwar bald stadionfähig, mit Visionen oder Experimenten durfte man ihnen aber nicht kommen. Heute zitieren neue, jüngere Bands eher die verschrobene Intelligenz von The Smiths oder Radiohead.

Oasis sind auf dem eigenen Brüderkrawall-Planet geblieben. Eine schillernde Insel. „Als ‚Definitely Maybe‘ im August 1994 erschien, stürmten Suede und Pulp die Charts, und ‚Parklife‘ von Blur war auf dem Weg zu vierfachem Platin, wobei ihnen die Verjüngung des BBC-Senders Radio 1 den Weg ebnete. Die kommerzielle Messlatte für Indie-Rock war damals bereits höher gelegt“, schreibt Dorian Lynskey im „Guardian“. Das beispiellose Ausmaß ihrer Wiedervereinigung zeige nun, dass Oasis britische Indie-Musikkultur zum Mainstream getrieben hat. Niemand sonst strebte so unverblümt nach täglichem Power-Airplay, Nr. 1-Platzierungen und Stadien.

Musik für eine möglichst breite Masse

Mit ihrer halsbrecherischen Beschleunigung und Vergrößerung der Dimensionen brachten Oasis für viele Kollegen auch neue Möglichkeiten, so Lynskey. Von den Manic Street Preachers und Verve bis hin zu Robbie Williams. Es war nicht so sehr der innovative Sound, sondern das Prinzip, Musik für eine möglichst breite Masse zu schaffen.

Hadern mit den Widrigkeiten großer Pop-Erfolge war plötzlich so altmodisch. Bands, die an bescheidene kommerzielle Ziele gewöhnt waren, galten als Versager, wenn die letzte Single die Top 20 verpasste. Selbst Damon Albarn oder Jarvis Cocker kamen mit dieser Überdosis an Pop-Berühmtheit nicht klar. Sie begaben sich auf eigene, alternative Fluchtwege.

Oasis dagegen setzten auf puren Hedonismus. Das passte bestens in jene Zeit. Sie legten die Underdog-Mentalität der Indie-Bewegung ab. Dadurch entwerteten sie aber auch die exzentrische Perspektive als Außenseiter. „Oasis hat die Diskussion und das Experimentieren zum Erliegen gebracht“, sagte der bildende Künstler Jeremy Deller einmal. „Sie haben der Szene den ganzen Sauerstoff entzogen und sind zur einzigen Band geworden“.

Oasis waren ein Gefühl, eine Energie, die sich für einen überschwänglichen Patriotismus eignete. Man vergleiche dagegen Damon Albarns scharfe Abgrenzung in Bezug auf die britische Identität mit dem stumpfen Hurra von Noels Union-Jack-Gitarre. Oasis kann nicht für alle Folgen verantwortlich gemacht werden, aber sie waren der große Katalysator.

Was wäre also, wenn es Oasis nie gegeben hätte?

Der größte Teil der Kultur der 1990er Jahre hätte seinen Weg genommen. Nur ihre quirlige Vielfalt wäre deutlicher geworden, und Britpop in einer weniger hymnisch-populistischen Form wahrgenommen worden. Stattdessen mehr „Glamour, Witz und Ironie“. Das Wachstum der britischen Indie-Musik wäre nachhaltiger verlaufen. Kommerzieller Erfolg weit weniger zum absoluten Kriterium geworden. Die Klatschspalten der Boulevardpresse hätten sich seltener mit denen der Musikpresse überschnitten.

Die UK-Popwelt ohne Oasis wäre womöglich normaler und künstlerischer verlaufen. Im Guten wie im schlechten.

Ralf Niemczyk schreibt freiberuflich unter anderem für ROLLING STONE. Weitere Artikel und das Autorenprofil gibt es hier.