OLIVER HÜTTMANN über die Krise der Intellektuellen in Zeiten des Trash

OLIVER HÜTTMANN über die Krise der Intellektuellen in Zeiten des Trash und die Emotionstherapien von Christoph Schlingensief, Harald Schmidt und Guildo Horn

DEUTSCHLAND VOR DER QUAL. NUR HARALD SCHMIDT ist nicht wählerisch. Ob Guido Westerwelle, Norbert Blüm, Franz Müntefering, Heiner Geißler, Gregor Gysi, Joschka Fischer – mit opportunistischer Gag-Gesinnung lädt sich der Nachtspötter jeden Politiker ein, der eine heitere Anekdote erzählen kann oder die eigene Peinlichkeit nicht bemerkt und also zum anschaulichen Katastrophenobjekt für die Schmidtsche Schadenfreude taugt. Lustig ist es allemal, schon wenn er die Parteibonzen nach dem zweiten Beifall und vor dem ersten Werbeblock süffisant als Sensation anpreist. Ein Männlein, das mit zerzausten Haaren, schlecht sitzendem Anzug, seiner Kassenbrille und Pfeife ganz jener schauderhaften Typologie des Volksvertreters entspricht, kündigt Schmidt jedoch als „großartigen Komiker und Kollegen“ an. Wigald Boning hingegen erklärt mit bemühter Leutseligkeit, er habe der Comedy entsagt Er hat sich einen Ruck gegeben und den Ratgeber „Unser Land soll schöner werden“ geschrieben. Darin biete er, und bitteschön ganz ohne Komik, Lösungen für den „Reformstau“ und die „Politikmüdigkeit“ an, denn: „Goedie, Willy Brandt und Günther Grass haben gezeigt, daß wir Intellektuelle uns engagieren müssen. Und deshalb hoffe ich jetzt auf Dieter Bohlen. Dieter, bitte!“

Wenn nichts mehr hilft, helfen die Doofen. Wigalds Witz könnte man in dem launigen Lachsack versenken, den Boning als Rädelsführer der Spaßrevolution vor nunmehr fast vier Jahren den Deutschen übergestülpt hat Trotz oder gerade wegen seiner Dämlichkeit präzisiert der scheinheilige Scherz allerdings ein schon lange schwelendes Dilemma: das Schweigen der Intellektuellen. Zwei Monate vor der von allen Seiten apodiktisch zur Wende apostrophierten Wahl in Deutschland und zwei Jahre vor dem Wechsel ins dritte Jahrtausend, wenn also Phrasen und Paranoia grassieren wie die Pest, an dieser schizoiden Schnittstelle zwischen Aufbruchprophetie und Apokalypseszenarien, weiß es jeder besser, aber niemand weiter. Keine Stimme mit einer Vision, auf die sich die Menschen einigen könnten, erhebt sich aus dem ratlos plappernden Chor von Politologen, Sozialpädagogen, Wirtschaftsexperten, Wissenschaftlern, Sicherheitsfachleuten, Psychologen und diversen Faktenhubern. Einig sind sie sich nur bei der auch bereits alten Gewißheit, daß die alten Gewißheiten keine Gültigkeit mehr haben. An ihre Stelle sind mannigfaltige, offene Prozesse gerückt, ein konfuses Konglomerat aus Ideologien und Interessen, Spielwiesen und Spinnereien, Konzepten und Kontroversen, die zwar ineinandergreifen und sich gegenseitig beeinflußen, aber niemand mehr in einem Überbau zu bündeln vermag. Sukzessive wurde unsere Lebenshaltung, beliebig fortsetzbar, als Industrie-, Informations-, Freizeit-, Diensdeistungs-, Spaß- und Mediengesellschaft gedeutet – bis übermorgen. Der Rest erschöpft sich in sprachakrobatischen Diagnosen vom beschädigten Solidarpakt und sinnentleerten Politik verständnis. Die Arbeitslosigkeit steigt proportional zu den Aktienkursen, und die Arbeitslosen zeichnen Aktien. Da alles geht, gilt folglich nichts mehr.

Angesichts der heillosen Unübersichtlichkeit sind einstige Vordenker derweil zu Vorgestrigen degeneriert Nach dem Mauerfall brachen bei Hans Magnus Enzensberger, Botho Strauß und Martin Walser auch die ideologischen Dämme im Kopf. Sie kramten die ganz alten Gewißheiten hervor und wurden von der politisch korrekten Kamarilla grenzenlos geprügelt Seither sind sie verstummt Wolf Biermann plädierte plötzlich im Namen des Friedens für einen Feldzug gegen Saddam, Peter Handke sympathisierte überraschend mit den Serben. Wofür sie letztlich einstehen, bleibt schleierhaft Immerhin provozierten sie noch mal Debatten, die mittlerweile ausbleiben. Pop-Philosoph Peter Sloterdijk, einer der Jüngeren in der vergreisten Zunft der Wortmeldet; ist so postmodern, daß er es nur zu pfiffig formulierten Binsenweisheiten bringt Ein großer Teil der Jugend sinniert ohnehin nicht mehr über politische Weltentwürfe. Sind ja alle gescheitert Und warum abmühen, wenn das ganze Leben mit Werbeslogans wie Just be“ oder Just do it“ wunderbar ausgefüllt ist Sie ziehen sich zurück ins Private, das sie höchstens im Techno-Club oder aufderLove Parade teilen. Die Partymärsche geben ihnen das ausreichende Quantum an Gemeinschaftsgefühl und suggerieren ihnen mit possierlichen Parolen und Wasserpistolen den revolutionären Gestus. Über das Glück, aufEcstasy im Beatgewitter mit sich allein zun sein, deliriert der schon alternde Rainald Goetz dann in seinem Buch „Rave“. Um im hybriden Medienzirkus überhaupt aufzufallen, zählt nicht die Klausur, sondern der Effekt Danach ist man wieder verschwunden. Entmutigte Empfindsame, die vielleicht etwas zu sagen hätten, scheinen in Gruppentherapien zu sitzen oder nach Resten von Koks zu suchen. Oder sie machen Witze.

Intellektuell bedeutet längst, so ironisch wie möglich zu sein. Schon Helge Schneider reklamierte Rusich, er sei keine Kunstfigur, „sondern Philosoph“. Da er sich als Tolpatsch präsentiert, ist diese Selbsteinschätzung natürlich zum Lachen. Für Immanuel Kant ist Lachen ein „Affekt aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung ins Nichts“. Und diese Definition setzt keiner so konsequent um wie Schneider. Die Erwartungen des Publikums lösen schon Lachanfälle aus, wenn er gar nichts macht oder in Interviews Fragen unbeantwortet läßt Und wenn er nuschelt, Sätze zerdehnt oder verbale Stereotypen verdreht, zertrümmert er Sprachklischees und unterläuft gewohnte Pointen. Damit wurde Helge Schneider das personifizierte Adäquat zum Zusammenbruch unserer vertrauten Weltordnung und dern beklagten WerteverfalL In der allgemeinen Verwirrung dieser Zeit wird der Wirrkopf zum verläßlichen Gefährten. Blödel Boning ruft in seinem Film „Die drei Mädels von der Tankstelle“ seinen Hund Schopenhauer und betont gerne, Brecht und Adorno gelesen zu haben. Nun ist es unerheblich, ob er deren Schriften tatsächlich kennt Der Widerspruch zu seinem Image funktioniert wie seine mit aller Ernsthaftigkeit vorgetragenen Parodien auf Sinn und Verstand, die sich jenseits der Komik zu verkannter Geistesgröße und Geschmackssicherheit umkehren. Die Folgen kann man seitdem jeden Tag im Fernsehen oder in Illustrierten bestaunen: Der Biedersinn von Heino ist nun hip, die steif verlesenen Nachrichten von „Tagesschau“-Sprecher Wilhelm Wieben gelten als Ausdruck von Coolness, in den hölzernen Fußballkommentaren von Günther Netzer wird plötzlich Sprachwitz entdeckt Wir haben uns alle lieb.

Das erfolgreichste Produkt dieser Verschiebung ist Verona Feldbusch. Ihre gepriesenen Körpermaße, gemäßigt freizügig zur Schau gestellt, und ihre kindliche Stimme bilden mit ihrer unbedarften, anfangs belächelten Anwendung der deutschen Grammatik eine perfekte Symbiose, um den mittlerweile inflationären Kultstatus zu erlangen. Der Masse ist das eh egaL Die findet Verona schlicht geil. Im Würgegriff der Political Correctness aber darf Verstand nicht Privatsache sein, sondern muß er öffentlich vorausgesetzt werden. Frau Feldbusch, heißt es also, würde ja ihr Image persiflieren. Dieses Alibi oder Ironie benötigen Leute, die man früher Intellektuelle genannt hätte, um ihren Hang zum Trivialen ausleben zu können. Mit Ironie kaschieren sie auch moralische Bekenntnisse aus, um nicht als Gutmenschen verdächtigt zu werden. Gehaltvolle Sätze werden als pseudointellektuell geschmäht, die Dummen sind jetzt gewiefte Rhetoriker. Somit wäre Dieter Bohlen ab Bundespräsident nur konsequenz. Die Fans des harmoniesüchtigen Guildo Horn, den sie zum deutschen Botschafter des Schlagers erkoren, würden wohl auch eine Kanzlerkandidatur ihres „Meisters“ unterstützen.

Ahnlich wurde Helmut Kohl zur ersten Kultfigur dieser Entwicklung, lausend Witze hat er reglos ausgesessen, und noch bevor das Comedy-Chaos hereinbrach und dem klassischen Kabarett den Todesstoß versetzte, hatten sich die Betroffenheitssatiriker dem Unabänderlichen gebeugt Sogar die RAF kapitulierte in den 16 Jahren Konischen Stoismus‘. Imponiert waren schließlich auch leidenschaftliche Gegner wie „Spiegel“-Herausgeber Rudi Augstein, der nach der Einheit Kohl als großen Staatsmann und Europäer erkannte. Und als er einmal auf einen Störenfried losging, der ihn mit einem Ei beworfen hatte, war er soo menschlich. Nun, wo alles um ihn zuammenbricht, thront er wie sein eigenes Denkmal darüber, bedeckt von Patina. Und der Wahlkampf gerät zu einer Farce, die Schneider, Schmidt und Christoph Schlingensief zusammen nicht hätten erfinden können. Heiermännet, Rote Socken, der Ex-„Büd“-Bulldozer Hans-Hermann Tiedje ab Medienberater. In Hamburg wirbt ausgerechnet die FDP mit dem Versprechen „Mehr Netto für alle“. Und Gerhard Schröder menschelt „Und weil wir unser Land verbessern…“ heißt sein Buch. Gerhard hat Euch lieb, hätschelt und herzt der Pfundskerl nach (fast) allen Seiten verständnisvoll, während Kohl schmollt wie Ralph Siegel nach seiner Niederlage gegen Guildo. Auf Einwände, die SPD sei trotz Umfragevorsprungs schon einmal am Wahltag eingebrochen, antwortete Schröder, alle müßten jetzt geschlossen weiterstürmen: Jch lasse es nicht zu, daß wir noch ein Tbrhinten rein kriegen.“ Die Niederlage der deutschen Kicker gegen Kroatien ist dann die Spitzenmeldung der „Tagesschau“, ab wäre Kohl bereits zurückgetreten. Wo Verbindliches fehlt, wird aus dem Kaffeesatz gelesen. Und werden Sportler, deren Millionärsseelen die Nation mehr bewegen als Asylantenschicksale, zu moralisch-ehtischen Themen befragt. Wozu braucht man da noch Intellektuelle?

Schlingensief würde sich nie einen Intellektuellen nennen. Das besorgen andere. Erst wurde er ab Radikalinski beäugt, der abstruse Filme improvisierte wie „Das deutsche Kettensägenmassaker“, bei dem eine Metzgerfamilie einstige Bürger der DDR meuchelt Ein Impuls auf die Einheit, die er ab Einverleiben verstand. Der Geschmacksterrorist leidet, wie jeder ordentliche Provokateur, am großdeutschen Wesen. Damals wollte er bereits erschüttern, verstören, aufrütteln, erregen, doch noch brachte es ihm wenig Aufregung ein. Für seinen Film „United Trash“, eine Groteske auf die UNO, erhielt er dann irgendwie Zutritt bei diversen Schwatzbuden wie „B- fragt…“, wo er adrett verbale Minen plazierte. 1997 hatte er dann eine eigene Talkshow beim Kanal 4, Alexander Kluges Diaspora auf S ATI, wo die Quoten wie in ein schwarzes Loch plumpsen. Schlingensief redete seine Einschaltquote auf eine Arbeitslosenzahl von sechs Millionen hoch. „Talk 2000“ war ein Selbstversuch und Crash-Test, der sämtliche Mittel des Fernsehens durchspielte, die er geradezu durchlitt Empirischer kann Kulturkritik kaum sein. Vorher hatte er mit dem Aufruf „Tötet Helmut Kohl“ die Schmerzgrenze ausgelotet, später sein Reality-Stück „7 Tage Notruf für Deutschland“ aus der TVWelt und Theater-Symbolik in die soziale Wirklichkeit verlegt Mit den Postulaten linker Theorien, APO-Mumpitz, Anarchie-Varianten, Schockrezepten aus der Drogentherapie und esoterischen Selbstverwirklichung-Tips seines Manifestes „Wähle Dich selbst“ will er die stumpfe Masse der Arbeitslosen emotionalisieren, mobilisieren: „1 V ist ein Volk, abo jeder von uns“, rechnet er wie im Kindergarten vot Nach der Formel „68-89-98“ gibt ihm die Geschichte sowieso recht Aber depolitisiert oder demokratisiert er? Man kann sich und ihn fragen, ob er diese Mätzchen situativ, intuitiv „anzettelt“ oder ein ausgebufftes Konzept abruft, ob es ihm ernst ist, Entertainment oder Eitelkeit: Er bleibt rätselhaft wie diese Zeit Sicher ist, daß sich in seinem Verein und seiner Partei „Chance 2000“ jene frustrierten Kreativen sammeln, die vor vier Jahren noch chic PDS gewählt hatten. Also alle, denen außer Schlingensief nichts mehr so recht mehr einfällt. Und dem ist es recht.

Bei Harald Schmidt war Schlingensief natürlich auch und erzählte mit unbewegter Detailliebe von seinen Hämorrhoiden. Man wäre nicht verwundert, hätte er noch die Hose runter gelassen. Bevor es dazu kam, blickten sich beide fragend an: Darf man denn das? „Darf ein Behinderter Witze über Behinderte machen?“, fragte Schlingensief in „Talk 2000“, nachdem ein Behinderter einen Behindertenwitz erzählt hatte. Darf Schmidt Polenwitze erzählen? Mit jeder derben Pointe testet er die Integrität seiner Zuhörer, leckt sich dann die Lippen, lächelt lausbübisch und zuckt mit den Schultern. „Stammtischzoten und Sexismus“, schallte es empört. Für Schmidt ist es eine Auszeichnung, politisch korrekte Pharisäer nicht befriedigt zu haben. So hat Ironie auch eine moralische Implikation; eine Moral gegen Gleichmacherei. Seine subversive Koketterie ist längst in Affirmation umgeschlagen, der „Cheffe“ sakrosankt Zynischer ist es, wenn ab Infotainment in der Personality-Show „Sabine Christiansen“ über Fitneß und Mallorca getalkt wird, sich Hans-Hermann Tiedje aber auch über Schmuddel-TV ereifern darf und betroffen blickende Schauspieler über Kinderprostitution reden sollen. Und peinsam lustig ist es.

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