Olli Kahn

Am Ende hatte er doch gewonnen. Als Oliver Kahn nach dem Spiel um den dritten Platz der Fußball WM 2006 gegen Portugal vom Platz ging, war aus dem ultimativen Verlierer ein Sieger geworden.

Kahn hatte die Degradierung durch Klinsmann akzeptiert und sich bereitwillig auf die Bank gesetzt. Mehr noch, Kahn hatte eine väterliche Ader in seiner eben noch von wutkrampfendem Ehrgeis gepackten Seele entdeckt und ermutigte die Jungen Spieler“ nach jedem Spiel, jetzt immer weiter zu kämpfen, immer weiter. Menschlich sei er an dieser WM als Ersatzspieler mehr gereift, als es im Tor der Fall gewesen wäre, sagte Kahn abschließend. Man konnte das alles zunächst nicht recht glauben, hatte den Atem ob des drohenden Donnerwetters angehalten.

Doch Kahn hat 2006 schnell begriffen, dass die Reservistenrolle nicht unbedingt das unrühmliche Ende seiner Karriere in der Nationalmannschaft sein musste – sondern vielmehr eine neue Herausforderung. Jetzt musste ein würdiger Abgang her, der Wechsel in eine neue Sphäre. Kahn biss die Zähne zusammen und trat seinen eigenen Jakobsweg an, so hat er es selbst genannt. Nachdem er die neue Aufgabe erst akzeptiert hatte, machten die entspannten Faxen auf der WM-Ersatzbank mit DJ Asamoah vermutlich keine ganz so große Mühe mehr. Ohnehin soll man das alles nicht überbewerten. Zu einem guten Teil spielte Kahn die Rolle, die ihm zukam, man möchte fast sagen: die ihm die Geschichte auftrug. Spielen ist hier ja das Thema, gewinnen das Ziel. Und selten hat man hierzulande einen so siegreichen Verlierer erlebt. Die mutmachenden Worte für Lehmann vor dem Elfmeterschießen gegen Argentinien? Heldenhaft. Aber heldenhaft auf eine ironische, unausweichliche Weise. Kahn wäre nicht Kahn, hätte er dieses Spiel jenseits des Platzes nicht mit schierer Willenskraft im Alleingang umgedreht. Was braucht man, um demütig zu sein? Eier, jede Menge Eier.

Interessant war natürlich auch, dass Kahns wundersame Wandlung parallel zu den Paradeauftritten des deutschen Teams ablief. Das deutsche Sommermärchen erzählte von einem allgemeinverträglichen Nationalstolz, von Gastfreundschaft und Weltmeistern der Herzen. So wie Kahn hat Klinsmanns Team alles richtig gemacht – indem es nicht Weltmeister wurde. So ging es im Fußballdeutschland des Jahres 2006 mehr um Haltung als um Halten und mehr um Singen als um Siegen. Eine schöne Erinnerung, wenn auch keine weltverändernde.

In der Musik war der Download das Thema, die Arctic Monkeys wurden direkt von sozialen Netzwerk zu Superstars – allerdings mit einem real existierenden Tonträger. In einer Art Gegenbewegung reiste US-Amerika zunehmend in die eigene (musikalische) Vergangenheit. Es war eine Art Selbstvergewisserung, die Dylan. Springsteen Elvis Costello und Allen Toussaint oder die Felice Brothers, die ihr Heil in den Catskill Mountains, ungefähr anno 1900, suchten, auf ihren Alben betrieben. Amerika, wo bist du? Das war die Frage, an deren Beantwortung man sich nun langsam machen konnte. Identität, Rollenfindung, Neuorientierung: Die USA hatten dieselben Themen wie Oliver Kahn.

Der traurigste Moment des Musikjahres 2006: Am 7. Juli starb Syd Barrett. Noch einmal, wie einst in den Abbey Road Studios, tauchte der verrückte Diamant auf.

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