On The Road

Mrs. Carolyn Cassady lebt im gepflegten Hampstead, im Norden von London. Allerdings nicht in einer der prunkvollen viktorianischen Villen, sondern in einer winzig kleinen Wohnung mit Blick auf einen verkrüppelten Baum.

Manchmal vermißt sie sie, die grünen Berge von Los Gatos, einem Nest in der Nähe von San Francisco. Aber in Gedanken war sie eigentlich schon immer eher hier in Europa. Außerdem wollte sie nicht sang- und klanglos alt werden und einrosten. Nein, sie hatte nichts dagegen, noch einmal alle Brücken abzubrechen.

Sie setzt sich auf ihr riesiges Sofa, springt wieder auf, sucht irgendwelche Bücher und Fotos

zusammen und läßt ihren blonden Pferdeschwanz fliegen. Carolyn Cassady ist quicklebendig, fest wie ein junges Mädchen. Und dann diese Brille! Wie die zusammengekniffenen Augen einer Katze. Und dazu noch diese knalligen Klamotten! Secondhand zwar, aber ziemlich lila. „Ich bin doch nicht blöd“, sagt sie, „und kaufe mir neue Sachen.“

Dabei könnte sie die Königin-Mutter der Beat-Generation spielen. 15 Jahre lang war sie mit Neal Cassady verheiratet, dem Helden von Kerouacs „On The Road“ und Allen Ginsbergs „Howl“. Und sie war auch für Kerouac die einzige Frau, die ihm etwas bedeutete. Außer seiner Mutter.

Irgendwann hatte Carolyn Cassady allerdings genug davon, Jack und Neal zu eindimensionalen Propheten reduzieren zu lassen, denen es nur um Jazz, Drogen, Sex und vor allem um Autos ging. Ebensowenig wollte sie selbst als Heimchen am Herd oder Sexbombe im Bett eingestuft werden.

Ihre Biographie gibt nun der Beat-Generation zum ersten Mal eine realistische Dimension. Vor dem Erscheinen ihres Buches „Off The Road“ hatte nämlich fast niemand registriert, daß sich hinter den heroisierten Endlos-Trips der beiden Asphalt-Cowboys allzu menschliche Unzulänglichkeiten verbargen. Für Carolyn besteht zudem nicht die geringste Notwendigkeit, den coolen Lebensstil ihres Mannes so zu bestaunen, wie Kerouac es in „On The Road“ tat.

„Off The Road“ spiegelt die ganz banale Zerrissenheit ganz normaler Leute wieder, Das Buch ist dadurch vielleicht nicht gerade reißerisch ausgefallen, aber manche Leute wollen sich den „On The Road“-Mythos auch gar nicht nehmen lassen. Er hat sich zu einem Popanz verselbständigt – auch wenn eine Generation nach der anderen an dem idealisierten Eskapismus scheitert Da die Beatnik-Ara inzwischen wieder auf verstärktes Interesse stößt, wird Carolyn zwar sporadisch zu Talkshows eingeladen, sie wird in Magazinen wie „Beat Scene“ interviewt und von Francis Ford Coppola gefragt, was sie von seinem Drehbuch über Jack Kerouac hält, doch das Interesse gilt dabei weniger den Dingen, die sie zu sagen hat Wenn „Off The Road“ überhaupt wahrgenommen wird, dann eher als eine späte feministische Abrechung mit ihrem Fiesling von Mann. „Dabei hatten Jack und Neal uneingeschränkt großartige Qualitäten. Aber ich wollte so subjektiv über die Dinge schreiben, wie ich sie damals erlebte.“

Erst vor einigen Tagen war eine Reporterin einer großen englischen Zeitung bei ihr zu Besuch. Sie hatte sich konspirativ herübergelehnt und sensationslüstern gefragt: „Na, wie groß waren denn die Schwänze von Jack und Neal?“

Dann gestern der Anruf aus Santa Monica. Eine Frau wollte für einen Beatnik-Kongress in Tokyo T-Shirts mit einem Spruch von Neal Cassady bedrucken lassen.

„Was denn für ein Spruch?“, hatte Carolyn argwöhnisch gefragt.

„Stehe nackt im Kosmos und höre Dein Herz schlagen.“

„Aber so etwas hätte Neal doch nie in seinem ganzen Leben gesagt“

„Wie wäre es mit 4000 Dollar?“

„Sie haben recht: Neal hat das tatsächlich die ganze Zeit gesagt“

Früher war sie stocksauer nach solchen Gesprächen, heute hingegen nimmt’s Carolyn mit Humor. Sie hat ein nettes kleines Lachen. Kaum hörbar, aber noch immer erfrischend jugendlich. Wie damals, in Nashville in den zwanziger Jahren, als sie noch mit ihren Eltern zusammenlebte, diesen Bildungsbürgern, die ihr schon mit neun Jahren die klassische Kunst-Keule verpaßten.

Nach dem Studium wollte sie Kostüm-Designerin werden. Und stand sogar schon auf der Warteliste eines Hollywood-Studios. Doch dann traf sie Neal Cassady.

Neal war in den Obdachlosenheimen von Denver aufgewachsen, hatte mit 14 sein erstes Auto geklaut, immer wieder im Gefängnis gesessen und sich kreuz und quer durch ein paar Büchereien gelesen.

„Er war gebildeter als alle Leute, die ich je kannte. Eben weil er sich alles aus eigenem Antrieb beigebracht hatte. Wir diskutierten über Gott und die Welt Niemand konnte uns stoppen.“

Neal führte ein Leben wie aus dem Buch. Fingerschnippend, frei – und vor allem unglaublich schnell und impulsiv. Er schien immer genau das zu tun, was er gerade tun wollte.

Dumm war nur, daß er schon verheiratet war. Sie hieß LuAnne und war eine 16jährige, rothaarige Nymphomanin. Natürlich hatte Neal es mit der Scheidung nicht sonderlich eilig. Wie auch mit der Suche nach einem Job. Carolyn mußte das Geld verdienen und sich obendrein um den Haushalt kümmern. In dieser Hinsicht hatten auch die sonst so liberalen Beats nur ihre puritanischen Mütter im Kopf.

Carolyn wollte es aber auch nicht anders. Heute hingegen kann sie über ihr damaliges Selbstverständnis nur lachen. „Das einzige, was ich wollte, war Windeln waschen. Als dann wieder ein Angebot aus Hollywood kam, lehnte ich Idiot doch glatt ab.“

Erst nach der Geburt von Tochter Cathy konnte sich Neal dazu durchringen, Carolyn zu heiraten – und nahm sogar brav einen Job als Bremser bei der Eisenbahn an. Sein Leben als Familienvater aber betrachtete er dennoch mit gemischten Gefühlen. Am liebsten wäre er ständig in Bewegung gewesen – möglichst mit einem Motor unter dem Hintern.

Einen lag vor Weihnachten anno 1948 überraschte er Carolyn mit einem brandneuen Auto. Er hatte es mit den letzten gemeinsamen Ersparnissen angezahlt und wollte gleich Morgen mit ein paar Freunden eine Spritztour an die Ostküste machen.

Carofyn war verzweifelt Wie konnte man Weihnachten nur so entweihen! „Ich nahm ein paar Pillen, lief mit der Kleinen auf dem Arm durchs Zimmer und jammerte hysterisch vor mich hin. Ich dachte, er würde uns verlassen. Da er weder meinen sozialen Background noch meine puritanische Konditionierung besaß, konnte er überhaupt nicht verstehen, wo das Problem war. Für ihn war es absolut selbstverständlich. Er hatte sogar jemanden aufgetrieben, der uns während seiner Abwesenheit mit Lebensmitteln versorgen sollte.“

Carolyn reagierte exakt so, wie es in Hollywood-Schmachtschinken vorgelebt wurde: Sie sagte Neu, er solle abhauen. „Eigentlich wollte ich ja genau das Gegenteil, doch Neal dachte natürlich, es sei alles vorbei“

Er fuhr nach Denver zu LuAnne, half William Burroughs in der Nähe von New Orleans bei der Marihuana-Ernte und Jack Kerouac beim Umzug seiner Mutter von North Carolina nach New Yotk. Alles in einem irren Tempo, alles mit einer wahnwitzigen Intensität – ein neuartig anarchistischer Lebensstil, der die BeatÄra einläuten sollte.

Kerouac war überzeugt, daß Neal auf einer geradezu religiösen Mission war. Dieser Enthusiasmus! Dieses Leuchten! Diese psychedelische Euphorie, in die sich Neal am Steuer eines Wagens fahren konnte! Das alles war für Jack nicht nur Poesie, sondern auch die Vision einer neuen Zeit.

Bei einer neuerlichen Flucht über Denver und Detroit nach New York heiratete Neal die erstbeste Frau, die ihm über den Weg lief Und brachte sie dazu, bei Carolyn anrufen, um wegen der Scheidung anzufragen. „Neal“, sagt Carolyn, „konnte weder seine Rastlosigkeit noch sein Triebleben kontrollieren. Er haßte es, aber er kam nicht dagegen an.“

Seine Tramper-Mentalität, von Literaten wie Kerouac bewundert, bereitete ihm selbst die meisten Probleme. Wobei Carolyns Vorwürfe alles nur noch schlimmer machten. Neal fühlte sich anderen Menschen ohnehin unterlegen. Er hatte das selbstlose Bedürfnis, jeden glücklich machen zu müssen – was ihn einerseits zu einer außergewöhnlichen Persönlichkeit machte, andererseits aber seine Zuverlässigkeit der Familie gegenüber merklich beeinträchtigte.

Zu allem Überfluß war Carolyn erneut schwanger. Sie schimpfte auf ihren Arzt und dessen miese Verhütungsmittel, die daran schuld seien, daß sie mehr und mehr ins gesellschaftliche Abseits geriet. Für ihre Eltern war sie bereits Persona non grata, und wenn sie mit anderen Frauen über Neal reden wollte, war deren Urteil schon von vornherein klar.: Carolyn hätte sich gar nicht mit diesem Rumtreiber einlassen dürfen.

Ihre Rettung wurde eine Frau, die im Winter zuvor mit Neal unterwegs gewesen war: Helen Hinkle hatte ursprünglich ihren Ehemann, LuAnne und Neal bis nach New brk begleiten wollen. Sie hielt mit Müh und Not bis New Orleans durch.

Carolyn und Helen teilten sich eine Handvoll Pillen und redeten zwei Tage ohne Unterbrechung. Helen erzählte, wie sie einmal mit LuAnne im Auto gesessen hatte, als Neal plötzlich die Tür aufriß und anfing, LuAnne zu verprügeln. Helen versuchte Neal festzuhalten, aber Lu-Anne rief nun „Laß ihn. Ich mag das.“ Carolyn und Helen lachten sich halbtot „Genauso seltsam“, erzählt Carolyn, „fand ich damals dieses Arrangement, das Helen und ihr Mann hatten – inzwischen halte ich’s allerdings für ideaL Sie sagte: ,Wenn Du jemals hörst, daß AI mich betrügt ich will’s nicht wissen.‘ AI war in seiner Ehe praktisch impotent. Er brauchte einfach ein gewisses Maß an Freiheit Vor allem, da Helen sich nichts aus Sex machte. Dank dieses Arrangements wurde also niemand verletzt Alle konnten nach ihren eigenen Bedürfnissen leben.“

Mit so viel Toleranz konnte Carolyn damals natürlich noch nicht fertigwerden. Neal sollte wiedergutmachen, was er ihr angetan hatte. „Meine ganze Einstellung war so furchtbar antiquiert Dabei konnte ich ihm kaum einen Vorwurf machen. Schließlich machte er sich genauso Sorgen wie ich. Und irgendwann kam er ja auch zurück.“

Carolyn war auf der Stelle wieder Feuer und Flamme. Auch wenn sie es zunächst nicht zeigte. Neal war die Zuvorkommenheit in Person. Als Kerouac zu Besuch kam, forderte er Carolyn und Jack auf, miteinander zu schlafen. Die beiden waren peinlichst berührt Kerouac flüchtete auf sein Zimmer. Carolyn hatte noch nie einen derartigen Schritt in Erwägung gezogen. Jetzt aber schien ihr dieser Gedanke doch überlegenswert Kerouac war zu diesem Zeitpunkt unsterblich in Carolyn verliebt Aber er war zu schüchtern, um die Initiative zu ergreifen. Eines Tages nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und verführte Jack – bei Pizza und Weinnach allen Regeln der Kunst.

Neal war höllisch eifersüchtig. Als ihm aber bewußt wurde, daß sich an ihren Beziehungen zu ihm nichts geändert hatte, entspannte sich die Situation mehr und mehr.

Carolyn lacht: Jack und Neal waren ja so unterschiedlich. Aber dank dieser Konstellation hatte ich auf einmal einen vollwertigen Mann. Allerdings war es nicht so wie in „Heartbeat“, diesem Film über uns drei, wo Sissy Spacek fragt: ,Na, Jungs, wer von Euch ist es denn heute Nacht? Wir haben ja nicht mal untereinander zugeben können, was zwischen uns ablief.“

Carolyn betätigte sich als Muse, Jack schrieb „On The Road“, und sogar Neal begann mit einer Art Autobiographie. „The First Third“

blieb allerdings immer bruchstückhaft und genauso leblos wie die Bilder, die er mit Carolyn und Jack zusammen malte. Carolyn malte vor allem klassische Portraits. Der sonst so gehemmte Jack war völlig untalentiert, kleckste aber gern wild drauflos. Während ausgerechnet Neal nur strenge Linien malte – ohne jegliche Freiheit und Phantasie. Carolyn war völlig überrascht Nur wenn er Briefe schrieb, konnte Neal seine Hochgeschwindigkeits-Einfalle halbwegs vermitteln. Jack entwickelte den schnellen, freien Stil von „On The Road“, indem er Neal über die Schulter schaute. Neal hatte zunächst keine Einwände, doch als „On The Road“ allmählich konkrete Konturen annahm, fühlte er sich ausgenutzt Irgendwann sprachen die beiden kein Wort mehr miteinander und konkurrierten auch wieder heftig um Carolyns Gunst Jack wollte mit ihr nach Mexiko; Carolyn war nicht abgeneigt aber dann verließ beide doch der Mut Carolyn wollte ihre Kinder nicht alleinlassen, und so flüchtete Jack gen Osten, zurück zu seinem klösterlichen Schriftsteller-Dasein und seiner Mutter, von der er sein ganzes Leben lang nicht loskam.

„Als ,On The Road‘ erschien“, erinnert sich Carolyn, „wurde Jack von der Presse gekreuzigt Solch harte Sachen hatte man noch nie gelesen. Meine Generation ist unglaublich verlogen. In den eigenen Wänden waren sie sicher nicht anders als Jack. Und was Drogen und freie Liebe betrifft: Jack wollte das überhaupt nicht glorifizieren. Was die Hippies zehn Jahre später daraus machten – darum ging es ihm überhaupt nicht Armer Jack. Er war damals fast ständig betrunken.“

Kerouac betonte immer wieder, daß man Neal und ihn nicht als Teil irgendeiner Protestbewegung sehen solle, sondern daß es ihnen eigentlich nur darum ging, in Ruhe ihr Marihuana rauchen zu können.

Der Mythos allerdings hatte sich bereits verselbständigt. „On The Road“ wurde als Autobiographie verstanden, obwohl das Werk zum Teil völlig fiktiv war. Jack hatte sich eine zweite Wirklichkeit geschaffen, weil er mit der ersten nicht zurecht kam.

Auch Neal war nach der Lektüre von „On The Road“ ziemlich durcheinandec Er konnte mit der Glorifizierung seiner Person überhaupt nichts anfangen. Denn ausgerechnet die Seiten an ihm, die von Jack am meisten verherrlicht wurden, bereiteten ihm die größten Probleme.

„Es stimmt auch gar nicht, daß er die ganze Zeit quer durch Amerika gebraust wate. Er verpaßte zehn Jahre lang keine einzige Schicht bei der Eisenbahn. Er war nämlich richtig stolz auf seinen Job.“

Neal und Jack waren in Wirklichkeit nur dreimal zusammen unterwegs. Es waren ohnehin eher Neals kleine Überraschungen, die Carolyn den letzten Nerv raubten. Einmal kam sie ahnungslos ins Schlafzimmer und erwischte Neal und Allen Ginsberg in voller Aktion in ihrem Ehebett Sie wußte zwar, daß Ginsberg schwul war, doch Neal hatte immer so getan, als sei für ihn selbst Homosexualität absolut undenkbar. Doch anstatt ihn zur Rede zu stellen, war Carolyn eifersüchtig auf Ginsberg. Sie schämte sich zwar über ihre eigene Reaktion, konnte aber einfach nicht anders, als den Freund hochkant aus dem Haus zu werfen.

Neal leistete sich jetzt einen Stunt nach dem anderen. Zuerst verspielte er 10 000 Dollar beim Pferderennen; kurz darauf mußte er erstmals die Existenz einer Geliebten zugeben, nachdem sich die Frau aus dem Fenster gestürzt hatte. „Ich betete die ganze Zeit daß er irgend etwas tun würde, das dem Faß den Boden ausschlagen würde. Aber er tat mir nie diesen Gefallen. Er dank nicht er schlug mich nicht-„

Ihre Nachsicht schien grenzenlos ein Charakterzug, den sie offensichtlich von ihrer Mutter geerbt hatte. „Ich war dumm. Ich war naiv. Was vielleicht auch daran lag, ich erinnerte mich kurz vor Veröffentlichung von ,Off The Road‘ plötzlich wieder, daß ich als zehnjähriges Mädchen von meinen Brüdern sexuell mißbraucht worden war. Das erklärt vielleicht eine Menge.“ Es dauerte allerdings eine kleine Ewigkeit bis sie zu Neals amoutösen Eskapaden eine weniger duldsame Haltung entwickeln sollte…

Als Jack und Neal einmal mitten in der Nacht eine Prostituierte mit nach Hause brachten, schien das alte Spiel wieder von vorne beginnen. „Diesmal aber wurde mir schlagartig klar, daß ich die Nase voll hatte. Ich hatte einfach keine Lust mehr, auf seine Eskapaden reagieren zu müssen. Er sollte sich andere Leute suchen, die für ihn Mutter und Schuteengel spielen konnten. Ich wollte nichts mehr mit diesem Wahnsinn zu tun haben.“

Das Geschichte wurde absurd und absurder. Als sich Neal wieder mal in den Kopf gesetzt hatte, kurz ein paar tausend Meilen durch die Gegend zu brettern, wurde es Carolyn zu bunt Sie sagte ihm glasklar auf den Kopf zu, daß seine Trips nichts weiter als reiner Eskapismus seien. Neal zog wütend ab und reagierte sich im Garten an einem alten Baumstumpf ab. „Ich sagte ihm: ,So läuft das nicht mehr. Du willst mich ja nur so wütend machen, bis Du wieder rausgeworfen wirst Dann kannst Du Dich aus dem Staub machen und hast dabei sogar noch ein gutes Gewissen. Irgendwann kommst Du dann reumütig wieder zurück und bittest um Verzeihung. Vergiß es! Du mußt Deine Entscheidungen in Zukunft schon selber treffen.“

Carolyn hatte schon innerlich mit dem Thema Neal abgeschlossen, ab wenig später ein paar Polizisten vor der Tür standen und ihn mitnehmen wollten. Neal hatte ein paar Joints verschenkt; die Empfänger aber waren ärgerlicherweise Zivilfahnder vom Rauschgiftdezernat Carolyn verteidigte ihn wie ein Tiger. Ohne Erfolg.

Neal wurde abgeführt und wanderte für zwei Jahre nach San Quentin.

Als er 1960 entlassen wurde, war er noch ungenießbarer als vorher. Er war nur noch auf Drogen und saß wegen seiner zunehmend selbstmörderischen Fahrweise immer häufiger im Gefängnis. Carolyn ließ sich endlich scheiden.

„Als Neal dann Ken Kesey traf, hatte er praktisch schon aufgegeben.

Sein Denkvermögen war futsch. Er hatte seinen Geist selbst zerstört.“

Drogen-Guru Kesey hatte mit „Einer flog über das Kuckucksnest“ eine Menge Geld verdient und sich einen alten Bus gekauft, mit dem er sich und seine drogenumnebelten Merry Pranksters herumkutschieren ließ stilvollerweise von einem inzwischen 40jährigen Cassady, der Legende der vorherigen Generation.

Neal wurde langsam schizophrea Mal erkannte er seine eigene Tochter nicht mehr, mal saß er bei Carolyn im Badezimmer und war völlig verzweifelt, weil er glaubte, seinen Sohn umgebracht zu haben.

Fünf Minuten später war er wieder bei klarem Verstand und sagte: „Ich nehme mir immer fest vor, nicht ständig einen Idioten aus mir zu machen. Aber dann treffe ich eine Gruppe von Leuten, alle starren mich an und ich bin sofort fertig mit den Nerven. Dann nehme ich irgendwelche Drogen, und alles geht von vorne los. Aber ich weiß einfach nicht, was ich sonst tun soll.“

Neal Cassady starb 1968 auf einer verlassenen mexikanischen Bahnstrecke, nachdem er in der Mittagshitze ein paar tausend Bahnschwellen gezählt hatte. Kurz danach starb auch Jack Kerouac Er hatte den Rest seiner Leber und literweise Blut ausgekotzt…

Carolyn zündet sich eine ihrer langen braunen Zigaretten an und erzählt, daß ihr Sohn auch nicht mehr weit von der Säuferleber entfernt ist forher war er auf Kokain. Ihre gerade verdienten 4000 Dollar kann sie eigentlich schon für die nächste Entziehungskur zurücklegen. Sie gerät nicht gerade ins Schwärmen, wenn sie von ihrer Familie erzählt.

„Meine Kinder und ich, wir haben nichts gemeinsam. Ich könnte mit ihren Trivialitäten nicht leben. Denen geht’s nur um Autos und Fernsehen, den ganzen amerikanischen Kram. Diese Amerikanisierung ist sowieso das größte Übel überhaupt. Meine Enkelin ist 14, aber man könnte meinen, sie sei noch im Kindergarten. Sie ist praktisch Analphabetin! Am schlimmsten aber ist meine älteste Tochter. Sie ist jetzt 45. Wir haben uns nie verstanden. Sie ist wie ein Zombie – die ganze Zeit nur happy, happy, happy. Ihr Examen hat sie in Aerobic gemacht, haha.“ Noch mehr aber macht Carolyn jene Frau zu schaffen, mit der sie Morgen zum Mittagessen verabredet ist: Ann Charters, die zahllose Bücher über die Beat-Generation geschrieben hat – fast jedes Wort frei erfunden. Carolyn hat sie schon oft darauf angesprochen, aber die Frau bleibt die Freundlichkeit in Person.

„Sie hat Jack ein paar Tage vor seinem Tod kennengelernt, und das schlachtet sie nun völlig hemmungslos aus. Dabei verdient keiner dieser Burschen eine derartige Bewunderung. Ich begreife nicht, warum sie Helden sein sollen, nur weil sie ihr Leben ruiniert haben.

Mein Gott, ich hab das alles so satt. Aber ich komme einfach nicht von der Vergangenheit los.“

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