Kommentar

Pantera: Ist Sänger Phil Anselmo wirklich der böse Onkel von früher?

Die Metal-Band aus Texas ist nach kontroverser Debatte aus dem Programm von „Rock am Ring“ geflogen. Cancel Culture oder berechtigte Reaktion?

Die Metal-Band Pantera aus Arlington im US-Bundesstaat Texas existiert seit 1981. 2003 gaben die Langzeit-Mitglieder Phil Anselmo (seit 1987) und Rex Brown (seit 1982) die Auflösung der Rauhbein-Truppe bekannt. Bereits Albumtitel wie „Cowboys From Hell“ oder „Vulgar Display of Power“ deuten auf ihre musikalische Wuchtigkeit hin. In den Bilanzen der Band stehen rund 40 Millionen verkaufte Tonträger; für das Genre eine eindrucksvolle Zahl.

Pantera galten lange Zeit nicht nur als Lieblinge der Metal-Zunft, sondern wurden in den späten 1980ern und 1990ern auch in Indie- und Hipster-Magazinen wie „Spex“ gefeiert.

Im letzten Sommer gab die neu formierte Crew (auf dem Positionen Schlagzeug und Gitarre) ein Comeback bekannt. Mit den geplanten Auftritten auf den großen Festivals im Sommer 2023 begannen dann die (bereits länger diskutierten) Debatten um Sänger Phil Anselmo.

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Stein des Anstosses ist (unter anderem) ein Video von einer Anselmo-Aktion auf einem „Ehren-Konzert“ nach dem Tod von Pantera-Mitglied „Dimebag“ Darrell auf dem Festival Dimebash im Jahre 2016. Anselmo reckte nach dem Song „Walk“ den Arm zum Hitlergruß. Aus dem Publikum schallte der Rassisten-Kampfruf „White Power“.

Seitdem wird hunderttausendfach diskutiert, ob es sich dabei um einen reichlich verunglückten Insider-Witz oder ein „echtes“ politisches Statement gehandelt hatte.

Anselmo: die „White Power“-Ausfälle des Sängers

Wenn Pantera nun nach längerer Debatte von den Großfestivals „Rock am Ring“ und „Rock im Park“ (02. Bis 04. Juni 2023) verbannt worden sind, lohnt es einer nüchtern Einschätzung wegen, sich ein wenig in der schillernden Historie von Pantera umzutun.

Bereits nach seiner Aktion stellte sich Anselmo im Dezember 2016 den Kollegen des amerikanischen ROLLING STONE. Die Anmoderation damals lautete: „Nachdem er seine Fans Anfang des Jahres mit einem ‚White Power‘-Gruß verwirrt hatte, spricht der Metal-Veteran über Buße und die Zukunft“. Es folgt eine – alles in allem – versöhnliche Story, die in die Zukunft des heute 54-Jährigen gerichtet ist. No Big Deal also?

Es ist den Toten Hosen zu verdanken, die als „Rock-am-Ring“-Dickschiffe mit Boykott-Forderungen konfrontiert worden sind, dass sie als alte Punk-Hasen erstmal genauer auf die 2016er-Entgleisung von Anselmo geschaut haben. Und alle Boykott-Anwandlungen ihrerseits negierten – sie sind 2023 bei den Zwillingsfestivals als Headliner weiterhin vertreten. Die Hosen mussten Kritik einstecken, weil sie auf den selben Festivals wie Pantera spielen. Die Haltung von Campino und Kollegen steht dabei nicht zur Diskussion, denn die Band hat sich immer klar gegen Rechts positioniert.

Ein O-Ton-Wortwechsel mit Pantera von den Kollegen vom Metal Hammer aus dem Januar 2018:

METAL HAMMER: Phil, ich hoffe, wir sind uns einig, dass dein Hitlergruß und deine „White Power“-Parole schwere Entgleisungen waren, die zu Recht angeprangert wurden. Allerdings muss man dir zugutehalten, dass du dich anschließend sofort dafür entschuldigt hast. Trotzdem haben sich die Wogen bis heute nicht restlos geglättet.

Phil Anselmo: Ja, das stimmt. Leider leben wir in einer Zeit, in der Entschuldigungen nicht akzeptiert werden. Ich kann das nicht ändern. Mir ist nur wichtig, dass die Leute wissen, dass ich damit in keiner Weise etwas Politisches artikulieren wollte. Um direkt über den Vorfall beim ‚Dimebash‘ zu sprechen: Ich habe mich an diesem Abend mit voller Absicht absurd verhalten und leider das gesagt, was ich nun einmal gesagt habe. Anschließend habe ich mich dafür entschuldigt und mich dann umgedreht, um allen weiteren Provokationen aus dem Weg zu gehen …“

Nun sind weitere fünf Jahre vergangen.

Diverse Metal-Plattformen, darunter „Loudwire“, widmeten sich wie der US-ROLLING-STONE seitdem einer der „offensten und freimütigsten Persönlichkeiten des Metal“.

Nachdem er in diversen Gesprächen über die Vielfalt seiner Erziehung im „French Quarter“ von New Orleans gesprochen hatte, sprach Anselmo seinerzeit im ROLLING STONE über einen blinden Fleck in seinem Leben. Ein Kindesmissbrauch, der er im „Big Easy“ erfahren habe. Er hatte sich bis dato nie dazu geäußert:

„Wenn die Leute ständig davon reden, Opfer zu sein oder so etwas, dann gibt es bestimmte Punkte, an denen ich einen Schritt zurücktreten und sagen muss: ‚WOW, holla die Waldfee!‘ Vor allem, wenn die Leute andauernd postulieren, dass wir in einer Vergewaltigungskultur leben und Männer dieses böse Produkt sind.“

Und weiter:

„Ratet mal, wer während seiner gesamten Kindheit von zahlreichen Menschen belästigt wurde, sowohl von Männern als auch von Frauen … Ich!“ Auf Nachfrage der RS-Reporters sagte noch einmal: „ICH!“ Ich habe der Welt das nie erzählt. Doch ich tue es jetzt, vielleicht weil ich fast 50 bin und es mich nicht mehr interessiert. Passiert ist es trotzdem. Ich habe nie die Welt dafür verantwortlich gemacht, so wie es die Kids heute tun, die jeden in eine Schublade stecken. Und das Gleiche gilt für die Rasse und all diesen Scheiß.“

Es soll hier nicht darum gehen, eine „blöde Hitlergruß-Aktion“ aus dem Jahr 2016 mit einer „schwierigen Kindheit“ zu rechtfertigen. Nur: Anselmo scheint nach Durchsicht der aktuelleren Quellen nicht jener „Nazi-Rocker“ zu sein, der nun aufgrund einer aufgebrachten Erregungskultur zwingend vom „Rock am Ring“ auszuschließen sein muss.

Pantera selbst haben sich zu ihrem Rauswurf noch nicht geäußert. Dabei dürfte die eigentliche Debatte jetzt, wo die Veranstalter vor allem ihre Ruhe haben wollten, erst beginnen.

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