Paul McCartney – Berlin, O2 World

Mit Sentiment, Selbstironie und einigen Solosongs inszeniert Beatle Paul den Mythos.

Am Souvenirstand kann man einen Kapuzenpulli kaufen, auf dem hinten groß „Peace 09“ steht. Auf der Vorderseite hat Paul McCartney diese Botschaft in Brusthöhe mit seiner Unterschrift beglaubigt. Vielleicht sind das tatsächlich die einzigen verbleibenden Universalien, auf die sich alle einigen können: Frieden und die Beatles (mit Ausnahme von Waffenhändlern und Fans der Rolling Stones vielleicht). Die Halle ist jedenfalls voll, vom Emo bis zur Oma sind alle gekommen. In Beatles-T-Shirts, mit Macca-Buttons und großen gemalten Plakaten (Vorderseite: „I Love You Paul“, Rückseite: „Come to Poland“). Alle lieben Paul, denn er ist ja nun mal der so gut wie letzte (sorry, Ringo!) Vertreter der gottgleichen Beatles auf Erden.

Und damit wären dann auch schon alle Bedenken, die man vor so einem Abend haben kann, auf den Punkt gebracht. Der Beatle-Paul würde alle anderen McCartneys überschatten: den „Ram“-Paul, den Wings-Paul, den Avantgarde-Paul, den Fireman-Paul und Percy Thrillington erst recht.

Das scheint sich zu bestätigen, als der 67-Jährige in schneidigem Anzug mit klassischem Höfner-Bass die Bühne betritt und so sehr nach Beatle aussieht, dass man irritiert nach den drei anderen sucht. Es ist dann aber doch die mittlerweile gut bekannte, kraftmeiernde Tourband, die sich etwas zu robust durch „Magical Mystery Tour“ und „Drive My Car“ rockt. In „Jet“ findet sie dann ein Stück, zu dem ihr kerniger Sound besser passt, ebenso zu „Only Mama Knows“ und einem drahtigen „Flaming Pie“. Zu „Got To Get You Into My Life“ betreten dann John, George und Ringo in Form der „Beatles Rock Band“-Animation doch noch die Bühne. Anschließend rollt „Let Me Roll It“ in die Hendrix-Reminiszenz „Foxy Lady“ mit McCartney an der Leadgitarre.

Es ist wider Erwarten ein munteres Wechselspiel zwischen Klassikern und neuerem Material, auf „Highway“ vom letzten Fireman-Album folgt „The Long And Winding Road“ und dann doch tatsächlich „(I Want To) Come Home“, ein neues, ein paar Tage zuvor im Internet geleaktes Stück vom Soundtrack des nächsten De-Niro-Films „Everybody’s Fine“. Ein bewegender Song, der das mit „Chaos And Creation In The Backyard“ begonnene Alterswerk fortzusetzen scheint.

Auf die Kunst folgt der Kitsch: Für Linda gibt es „My Love“, bei dem Mc-Cartney sich vergebens nach den hohen Tönen streckt, die er auch kurz darauf soloakustisch in „Blackbird“ und „Here Today“ nicht erreicht. Letzteres ist natürlich „my friend John“ gewidmet, später kommt noch „Something“ auf der Ukulele für „my little brother George“ – McCartney hat ja mittlerweile pro Show fast so viele Leute zu betrauern wie Patti Smith.

Doch er nimmt sein schweres Erbe leichter denn je. Eine gewisse Alters-Coolness scheint sich eingeschlichen zu haben bei dem Mann, der nicht nur wesentlich an der Erfindung von Pop, Softrock, Heavy Metal und homerecording beteiligt war, sondern – wie das etwas banale „Mrs. Vanderbilt“ mit seinem „Ho! Hey Ho!“-Refrain zeigt – auch die gesamte Karriere von Dschingis Khan vorweggenommen hat. „Stunning lyrics“, lacht McCartney anschließend. Beim Konzert in der Ukraine sei das Stück seinerzeit besonders gut angekommen. Ohne mit der Wimper zu zucken, spielt er kurz darauf „Ob-La-Di, Ob-La-Da“, den Song, für den ihn einst Kritiker und Kollegen so gehasst haben. Die Menge liebt es und ist äußerst – nun ja – textsicher. McCartney quittiert’s mit einem süffisanten Grinsen. Mit „Sing The Changes“ kehrt kurz die Gegenwart zurück in die Arena. Danach gibt’s kein Halten mehr: zwölf Beatles-Klassiker hintereinander (Höhepunkte: ein raues „I’ve Got A Feeling“ und fulminantes „Helter Skelter“), durchbrochen nur von Applaus, zwei Abgängen und dem Mordsspektakel „Live And Let Die“.

Zum Abschluss nach über zweieinhalb Stunden dann „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band (Reprise)“, das schließlich in „The End“ übergeht. Ein letztes Winken, ein Autogramm, Abgang. In der Hoffnung auf eine weitere Zugabe überklatscht das Publikum die 14 Sekunden, die es auf „Abbey Road“ dauert, bis nach „The End“ „Her Majesty“ ertönt. Konfetti-Kanonen donnern. Doch seine Majestät ist bereits gegangen.

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