Pessimisten hatten die Rechnung ohne Bob Dylan gemacht. Der gab in München ein brillantes Konzert und ließ sogar Klassiker ungeschoren

Sie rechnen mit allem, theoretisch gar mit der großen Enttäuschung: Vor dem leider einzigen Deutschland-Konzert zum Abschluß der Europa-Tour 1999 des berühmtesten Nicht-Sängers der Welt sind nicht wenige im Publikum damit beschäftigt, die eigenen Erwartungen bis in den Keller herunterzuschrauben. Wie gelangweilt er wohl heute sein wird? Ob er überhaupt länger als eine Stunde fiir uns Zeit hat? Was bitte schön ist eine Herzbeutelinfektion, die ihn doch vor nicht allzu langer Zeit bis kurz vor die Himmelspforten befördert haben soll?

Bob Dylan ist in der Stadt, doch von gespannter Vorfreude ist nichts zu bemerken im Münchner Olympiapark, der, jüngst zum Baudenkmal der 70er Jahre erklärt, mittlerweile bestens geeignet ist für Nostalgieanwandlungen der zwiespältigsten Art.

Lediglich ca. 6000 zahlende Gäste sind gekommen, nicht unbedingt nur Oldies, aber dennoch ein seltsam graues und gutsituiertes Publikum, das seine Vollversammlungen vermutlich bei den Night-of-the-Proms abhält. Noch einen Prosecco gefällig?

Die Arena ist komplett bestuhlt, ganze Blocks im hinteren Bereich der Halle bleiben gähnend leer. Heiliger Bob, jetzt reiß du dich wenigstens zusammen! – Muß er gar nicht. Denn nur zwei Sekunden, nachdem Bob Dylan im schlabberigen stage outfit mit seinem Begleitquartett auf die Bühne gewakkelt ist, entwickelt das Konzert bereits eine ungeahnte Eigendynamik. Noch während der ersten Takte zu „Friend Of The Devil“ stürmen einige Hundert im Schutz der Dunkelheit in das bis dahin von den griesgrämigen Ordnern so gut bewachte Areal zwischen Bühne und erster Stuhlreihe, Rock’n’Roll denkt sich so mancher, doch damit wartet Meister Bob noch ein bißchen, reagiert auf den ersten Jubel mit einem recht entspannt genuschelten „Thank you“ und gleitet unvermittelt mit Repertoire-Teil Nr. 2 in eine grandiose Neufassung von „Mr. Tambourine Man“: den Text der Strophen bis zur Unkenntlichkeit zerdehnt, das Arrangement filigran aufgebrezelt mit fröhlicher Country-Leichtigkeit. Nun folgen 40 Minuten im Stile von MTV-Unplugged: glasklare, mit Westernklampfe und Kontrabaß akustisch skelettierte Songs, die Dylan, wie störrisch hinter seinem Mikrophon klebend, zelebriert, beleuchtet von einer meistens einfarbigen und auch sonst spartanischen Lightshow. Eine trockene Spannung liegt in der Luft – und dennoch steigt die Stimmung im Publikum.

Als zweiter Höhepunkt des ersten Teils: „Masters Of War“ – wobei Dylan mit fast gnadenloser Arroganz unterstreicht, wie sehr ihm mögliche reale Bezüge mittlerweile gänzlich egal sein dürfen. Aus dieser Konzertphase ebenfalls noch erwähnenswert: ein „It’s All Over Now Baby Blue“, zerschnitten von völlig neuen Gitarrenfiguren und fast nicht wiederzuerkennen – wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, die alte Schmonzette mit solcher Würde vorzutragen. Schließlich, man hat sich schon auf einen überwiegend intellektuell-vergrübelten Abend eingestellt, gibt Dylan nun doch noch das erlösende Signal zum Abfeiern: Weg mit dem Kontrabaß, her mit der Stratocaster! „Maggie’s Farm“ wird abgefackelt, so auch „Stuck Inside Of Mobile“ und einiges mehr -jeweils prächtig aufgetakelt zu Fünf- bis Acht-Minuten-Nummern und mit nostalgischen Gitarren-Duellen von allerfeinster Art.

Erstaunlich nur, wie die Songs des mit Grammies hochdekorierten letzten Dylan-Albums „Time Out Of Mind“ als einzige kaum umarrangiert oder sonstwie umgedeutet – so defensiv vorgetragen werden, daß sie im Reigen der neu strahlenden Klassiker beinahe verblassen. Lediglich „Love Sick“, die erste Zugabe, entwickelt noch ein Eigenleben und ragt ab bittere, düstere Ballade ein wenig heraus. Zuvor aber kommt noch „Highway 61 Revisited“: laut, rumpelnd – und Rocker B. D. wagt zur Verzückung des Publikums die dezente Andeutung eines Ausfallschritts.

Auf der Zielgeraden begibt Dylan sich dann restlos in die Sechziger: „Blowin‘ In The Wind“ muß irgendwie sein, verblüfft die meisten jedoch durch eine seltsam schräge Melodie beim Refrain und einen besonders deftig wirkenden Hymnen-Pathos. Nach knapp zwei Stunden wird die Feierstunde abgerundet durch ein „Not Fade Away“ im gefälligen Psychedelic-Gewand und ein etwas zu konventionell dargebotenes ,Xike A Rolling Stone“. Licht an, servus Bob. Die meisten der 6000 gehen schnell und sehr zufrieden nach Hause. Ein Dylan, der inzwischen im Rahmen seiner Verhältnisse auf Nummer Sicher geht, ist doch auch was Schönes, keine Frage. Aber vielleicht hat da ja der Herzbeutel ein Wörtchen mitgeredet.

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