Pet Shop Boys: „Erfolg macht verdächtig!“

Die Pet Shop Boys Chris Lowe und Neil Tennant sinnieren über britische Befindlichkeiten. Und sprechen über Britpop, Geld, New Order, Tony Blair, die Arctic Monkeys, David Bowie sowie Englands Herz, das traditionell für Verlierer schlägt.

Die Rollenverteilung bei einem Interview mit den Pet Shop Boys ist immer die gleiche: Neil Tennant ist quasi der Eider Statesmen. Korrekt gekleidet und extrem distinguiert sagt der 45-Jährige, was eben so zu sagen ist. Der vier Jahre jüngere Chris Lowe sieht eine Spur nachlässiger aus, hängt in einem tiefen Sofa und wirft ab und zu einen kleinen Kommentar ein. Spaß macht’s beiden, und das ist immens beruhigend. Die beiden Briten sind immerhin seit über 25 Jahren im Geschäft und schrieben vor allem in den achtziger Jahren Hit an Hit. Von „West End Girls“ über „Suburbia“ oder „It’s A Sin“ bis hin zu neuerem Material folgen die Stücke dabei einem raffinierten Schema: Es geht um die einfache, aber unerhört gewitzte Melodie, darum, in ein paar Minuten das Wesentliche mitzuteilen. Das, was die Pet Shop Boys von sehr vielen anderen Popbands unterscheidet: Sie schafften es immer, dabei nahezu unverschämt klug zu wirken, pointiert die Probleme der jeweiligen Zeit aufzuzeigen und so ganz nebenher noch in andere kulturelle Bereiche reinzugrätschen: So vertonten sie Sergej Eisensteins Stummfilmklassiker „Panzerkreuzer Potemkin“, schrieben das Musical „Closer To Heaven“ und arbeiteten als Remixer – unter anderem für Blur, Madonna, Rammstein und zuletzt MGMT. Grund genug für ein klärendes Gespräch über Kostenbilanzen von Live-Konzerten, den Fatalismus der Briten, Dämon Albarn und eigenartige Jugendbewegungen.

Herr Tennant, Herr Lowe, in „Love etc.“, der erste Single-Auskopplung Ihres neuen Albums „Yes“, verkünden Sie „Too much of everything is never enough“ – um anschließend zu erklären, dass materieller Wohlstand am Ende doch keinerlei Relevanz besitzen würde. Wie halten Sie’s mit den Finanzen?

Neil Tennant: Es geht uns wirklich nie um Geld. Das ist ein Gebiet, auf dem wir keinerlei Interessen verfolgen und um das wir uns übrigens auch nicht großartig kümmern. Wir waren nie eine kommerzielle Band, auch wenn uns das oft und gerne vorgeworfen wurde, etwa zu „Go West“-Zeiten. Aber damals war dieser Song tatsächlich das, worauf wir Lust hatten. Wir mögen Stücke mit einer starken Melodie, das ist eben die Sache, worum es bei den Pet Shop Boys geht. Wenn wir zur Abwechslung mal extrem experimentelle Musik aufnehmen wollten, dann würden wir das ohne weiteres tun und nicht vorher über eventuelle finanzielle Einbußen nachdenken. Aber es liegt eben schlichtweg nicht in unserem Interessengebiet.

Sie sind also nicht käuflich?

Neil Tennant: Nun, eine Sache gibt es da, die man durchaus darunter abheften könnte: Einmal spielten wir für eine sehr hübsche Summe Geld auf dem Empfang einer großen Molkereifirma in Moskau. Es war eine völlig bizarre Angelegenheit vor vielleicht 70 Leuten, von denen die Hälfte volltrunken war.

Chris Lowe: Ich denke, das geht aber in Ordnung, weil wir damit ja andere Dinge gegenfinanzieren. Mit Eisensteins „Battleship Potemkin“ haben wir keinerlei Geld verdient. Auf unserer ersten Tournee versenkten wir 500.000 Pfund. Oder die Tournee zu „Performance“, Anfang der neunziger Jahre. Das war wirklich eine Materialschlacht mit einem unfassbar komplizierten Set und sehr vielen Mitwirkenden. Damals hatten wir alleine zwei Leute, die sich um die Perücken gekümmert haben, ich will gar nicht wissen, was das alles gekostet hat. Als wir Mitte der neunziger Jahre drei Wochen lang Abend für Abend im Savoy spielten, kostete uns das pro Zuschauer 15 Pfund. Wir hätten also genauso gut jedem 15 Pfund überweisen können. Oder das Geld einfach verbrennen. Wäre vielleicht besser gewesen. Bei Konzerten ist unsere Strategie heute eine ganz einfache: Bloß kein Geld verlieren!

Die britische Techno-Band The KLF ließ Anfang der neunziger Jahre tatsächlich eine Million Pfund in Flammen aufgehen – hat der Engländer ein anderes Verhältnis zu seinem Vermögen?

Neil Tennant: Ich glaube, dass es gar nicht unbedingt ums Geld geht. Der Brite weiß, dass er es sehr schnell wieder verlieren kann, und tut genau das auch sehr gerne. Vor allem aber spiegelt das ein anderes Verhältnis zum Erfolg wider. Egal, ob es sich um Musik handelt oder um Fernsehen oder um Sport: Wer erfolgreich ist, ist erst einmal verdächtig, das Herz der Briten gehört meistens denen, die es nicht so ganz hinbekommen oder sogar gnadenlos scheitern. Das ist der springende Unterschied zu Amerika. Dort können sich Stars keinerlei Fehler leisten. Nimm jemanden wie David Bowie. Der war vollkommen pleite, als er nach Berlin kam weil er desaströse Verträge und schlechte Berater hatte. Oder New Order: Bernard Sumner erzählte mir einmal, wie „Blue Monday“ entstand. Sie versuchten, Silvesters „You Make Me Feel So Alive“ nachzuspielen, kamen aber nicht mal bis zur Hälfte des Refrains, weil sie technisch so schlecht waren! Aber sie machten aus der Not eine Tugend und kreierten einen Klassiker der Popgeschichte. Auch der Humor ist ja ein ganz anderer. Britischer Humor ist wesentlich fatalistischer, vielleicht weil er aus oben erwähntem Selbstverständnis und dem ständigen Scheitern resultiert. Der Engländer macht sich ausgesprochen gerne über sich selbst lustig, was dann manchmal auch etwas eigenwillig wirken kann.

Nun hat man diese Sollbruchstellen bei den Pet Shop Boys nie erkannt – zumindest, was die Musik angeht.

Neil Tennant: Eigentümlich, nicht? Ich glaube, das liegt daran, dass viele Leute uns immer für eine Dancepop-Band hielten. Die Texte schlüpften sozusagen an ihnen vorbei. Dabei haben wir in Songs wie „Opportunities“ oder „Suburbia“ durchaus etwas erzählt und erklärt. Schon bei „West End Girls“ gab es ja einen Inhalt. Vermutlich sind wir die einzige Dancepop-Band, die Protestsongs schreibt, (lacht)

Ist „Love. etc“ also so etwas wie der Soundtrack zur aktuellen Finanzkrise?

Neil Tennant: Es passt ganz gut, das ist wohl wahr. Aber wir haben das Lied schon vor einer Weile geschrieben, bevor alles zusammenbrach. Und: All das, was da momentan passiert, ist ja nur der Höhepunkt einer Entwicklung, die schon länger am Köcheln ist, und wir haben uns mit solchen Dingen schon immer befasst. Auf „Actually“, das ja immerhin über 20 Jahre alt ist, finden sich einige Songs, die sich auch auf die Gegenwart beziehen lassen. Chris Lowe: Wir haben die Krise also früh kommen sehen, (lacht)

Neil Tennant: Wobei man natürlich sagen muss, dass das England unter Maggie Thatcher auch allerhand Angriffspunkte für politische Texte geliefert hat – wovon auch Tony Blair profitierte…

… den Sie zunächst unterstützten.

Neil Tennant: Natürlich waren wir am Anfang für New Labour. Es ist vielleicht ganz gut, dass wir das nie allzu laut sagten. Oasis waren damals beliebtere Gesprächspartner als wir, so dass glücklicherweise immer nur sie interviewt wurden. Man muss übrigens in der Rückschau sagen, dass nicht alles an Tony Blairs Politik schlecht war – für Schwulenrechte zum Beispiel hat er einiges getan, aber seine Ansätze in Sachen Sicherheits- und Gesundheitspolitik sowie die Beschneidung der Persönlichkeitsrechte waren einigermaßen verheerend.

Inwieweit folgten Sie mit Ihren Texten britischen Traditionen?

Neil Tennant: Nun, zumindest die Sache mit der Alltagsbetrachtung ist natürlich etwa sehr Englisches, das seine Wurzeln in den sechziger Jahren findet, vielleicht sogar früher. Ray Davies von den Kinks war da der Großmeister – ich glaube, dass „Waterloo Sunset“ einen der besten jemals geschriebenen Texte hat. Aber man erkennt diese Tendenz, diesen Versuch, sich textlich nah am ganz normalen Leben zu bewegen, auch in vielen Beatles-Stücken. Oder bei Damon Albarn von Blur, dessen Ansatzpunkt natürlich ein anderer ist als der unsere. Er steigt viel tiefer in die Details ein. Ein Stück wie „Suburbia“ bleibt da viel unkonkreter als das, was er auf „Parklife“ tat.

Blur war die erste Band, die Sie damals remixten – der Song „Girls & Boys“ kam in Ihrer Nachbearbeitung weltweit in die Clubcharts.

Neil Tennant: Sieht man von ein paar eigenen Sachen und den Arbeiten mit Dusty Springfield ab, stimmt das. Es war 1994 – und ich finde den Remix heute noch ausgesprochen gelungen. Blur waren wie wir auf dem Parlophone-Label, so dass der Weg kein weiter war. Und als Damon Albarn diese Nummer geschrieben hatte, die er selbst als „Eurodisco“ bezeichnete, fragte das Management schließlich an. Das Ursprungslied finde ich eigentlich gar nicht so super, und mit Disco hat es gewiss nicht viel zu tun. Blur haben wesentlich stärkere Nummern in ihrem Programm. „On Your Own“ etwa ist ein Hammertrack! Letztendlich nahmen wir den Auftrag aber vor allem deshalb an, weil wir Dämon so gerne mochten. Er ist wirklich eine sehr charismatische Persönlichkeit. Ein Star, sicher der größte dieser ganzen britischen Indiepop-Bewegung der neunziger Jahre.

Interessierten Sie sich für Britpop?

Neil Tennant: Auf eine gewisse Art und Weise fand ich es gut, dass der dezidiert britische Popsong wieder an Bedeutung gewann. Anfang der neunziger Jahre wurde die Musikwelt von zweierlei dominiert: Einerseits gab es da Grunge, andererseits die letzten Auswüchse von Manchester Rave. Beides interessierte mich damals wirklich überhaupt nicht, weil beides bei näherer Betrachtung nichts wirklich Neues war. Die erste dieser neuen Bands, die ich wirklich liebte, waren Suede. Die frühen Singles, etwa „Animal Nitrate“, hatten eine ganz enorme Kraft und wunderbare Melodien. Aber auch Blur hatten mit dem vierten Album die für Engländer so typische Phase, nämlich die, in der sie nach Amerika schielten.

Chris Lowe: Die Suche nach etwas Neuem. Amerika war auch für uns damals wichtig, es schien einfach so spannend zu sein! New York reizte uns damals so sehr, dass war wirklich eine wahnsinnig wilde Stadt. Du musstest extrem aufpassen, wo du hin gingst, wo du entlang liefst. Bestimmte Straßenzüge mitten in der Stadt waren tabu. Und dann gab es soviel HipHop – Breakdancer an Straßenkreuzungen und laute Musik aus Kofferradios und so. Das war für uns natürlich eine völlig neue Erfahrung. Und die Nachtclubs! New York hatte die besten Discos der Welt. Aber New York ist langweilig geworden. Keinerlei Kriminalität, alles sauber. New York ist plötzlich eine ganz normale Stadt. Wie London auch. Alles wird dieser Tage langweilig. Schrecklich.

Neil Tennant: Wir ließen uns davon übrigens in einem ganz erheblichen Maß beeinflussen. „West End Girls“ ist eigentlich ein HipHop-Stück. Nimmt man ganz normale musikalische Definitionen, dann rappe ich da drauf. Vermutlich ist es der erste Song, in dem auf British English gerappt wurde. Dass es darin um London ging, ist eine andere Sache.

Erinnern Sie sich an Ihren ersten London-Besuch?

Neil Tennant: Das war 1967, also mitten im sogenannten Summer Of Love. Ich war mit meinen Eltern dort. Wir kamen mit dem Zug nach London und nahmen dann die U-Bahn in die Stadt. Am Piccadilly Circus kamen wir die Rolltreppe hoch – und überall waren Hippies, wirklich überall, rund um den ganzen Platz. Diese Klamotten! Diese langen Haare! Diese, äh, Freizügigkeit. Das beeindruckte mich damals schon immens, weil es etwas war, dass es so in Newcastle nicht gab. Er steigt viel tiefer in die Details ein. Ein Stück wie „Suburbia“

Weckte das in Ihnen ein Interesse für Subkulturen?

Neil Tennant: Mich sprachen all diese Jugendbewegungen nicht an. Es interessierte mich einfach nicht. Nun, in der Hippie-Zeit war ich noch viel zu jung. Die in Newcastle dominierenden Skins waren brutal. Da wollte ich nicht dazu gehören, da hatte ich eher Angst. Auch Punk oder New Romantic fand ich später kaum attraktiv. Es war für mich einfach nicht möglich, mich dermaßen mit einer Bewegung zu identifizieren. Das einzige, was man sagen kann: Ich war und bin ja immer noch großer Bowie-Fan, was sich in den siebziger Jahren auch in meiner Kleidung manifestierte. Ich trug Frauenklamotten, hatte die Haare wie Bowie, stand auf Plateauschuhe.

Diese Möglichkeit, sich einer Sache so sehr zu verschreiben – gibt es die noch?

Neil Tennant: Nein. Pop ist langweilig geworden. Eine Reproduktion, eine Coverversion seiner selbst. Und alles ist so klinisch rein.

Keine Helden mehr?

Neil Tennant: Ich finde die Last Shadow Puppets wiklich ganz großartig. Alex Turner ist schon ein großer Star und mit den Puppets noch einmal besser als mit den Arctic Monkeys. Wie er singt, wie er schaut, wie er die Haare trägt!

Chris Lowe: Das darf man aber nicht laut sagen.

Neil Tennant: Stimmt, darf man nicht laut sagen. Ich weiß eigentlich überhaupt nicht, warum. Aber als ich sie neulich auf einem Festival sah, stand Johnny Marr neben mir und flüsterte plötzlich in mein Ohr: Weißt Du, es ist irgendwie so viel besser als seine andere Band. Aber das festzustellen, war uns irgendwie total unangenehm.

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