Pluckern als Konzept: Wie sich die Albumform in der elektronischen Musik breit machte

Alben gibt es in der Elektronikmusik schon lang. Schaltkreis-Pioniere wie Klaus Schulze, Brian Eno, Jean-Michel Jarre und Kraftwerk fummelten sich schon in den frühen Siebzigern Longplayer zusammen. Doch hierbei handelte es sich eher um abstrakte Klangkunst als um das, was man heute unter Electronica versteht. In den Achtzigern gewann der Pop die Oberhand, Künstler wie Art Of Noise, The Human League und Heaven 17 fanden sich mit putzig pumpenden Beats in den Charts wieder. Das, was ab Ende der Achtziger in den Clubs geschah und heute die Elektronikmusik bestimmt, hatte hingegen eine andere Funktion: Für die Macher war es eine Plattform zum Ausloten technischer Raffinesse im Wechselspiel mit der Kraft des hypnotischen Minimalismus; für die Hörer war es Funktionsmusik, zu der man im Club klasse tanzen konnte, für den Heimgebrauch aber keine Verwendung sah. Dies änderte sich erst zu Beginn der Neunziger, als Beat-Produzenten, bis dahin gebrandmarkt als bleiche Kellerasseln ohne Starpotenzial, ans Licht drängten: Mit den Debüts von The Orb, Underworld, Autechre, The KLF oder Orbital bekam Elektronikmusik um 1991 ein Gesicht – und eine Idee davon, wie man Clubmusik konzeptionell auf ein Album strecken konnte. Die DJs zogen nach: Nutzten sie das Album anfangs zum Zusammenstellen von Mix-CDs, entdeckten sie nach und nach die Chancen, die in einem Album stecken: Man musste nicht mehr nur Club-Knaller liefern, sondern konnte sich die Freiheit nehmen, auch epischer, unkommerzieller und konzeptioneller zu arbeiten. Richie Hawtin, Aphex Twin, Fatboy Slim, Sven Väth oder Squarepusher seien hier stellvertretend genannt. Heute gehört es für jeden DJ zum guten Ton, auch so genannte „Künstleralben“ zu veröffentlichen. Vereinzelt wird dabei sogar ein ganzes Genre revolutioniert – man höre nur „New Forms“ von Reprazent, wohl der Longplayer des Drum’n’Bass, das programmatisch betitelte „From The Essence Of Minimalistic Sounds“ des Frankfurters Pascal F.E.O.S. oder „Midnight’s Children“, das auf Salman Rushdies Roman basierende Ambient-Album der Saafi Brothers. Kurzum: Heute haben sich Elektronik und Album gern, der Austausch ist vital. Fragt sich nur, wie lange noch.

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